Elon Musks Twitter-Kauf

»Debattenkultur am Arsch«

Die Zukunft der Microbloggingdienste.
Die preisgekrönte Reportage Von

Die Nachricht schlug ein wie eine Zeitbombe: Der umstrittene Elektro-Milliardär Elon Musk, derzeit reichster Mann der Welt und zudem ein schlechter Mensch, hat in der vergangenen Woche das Kurzbeleidigungsportal twitter.com gekauft. Vor allem auf der Plattform selbst waren die Reaktionen heftig: »Damit geht ein Stück Debattenkultur verloren, ihr Arschlöcher«, sagte der Medienjournalist Henning Vogt.

Musk, der sich selbst als free speech absolutist sieht und die Plattform auch in diese Richtung lenken möchte, war mit transfeindlichen Inhalten und holocaustrelativierenden Memes aufgefallen. »Bisher war Twitter auf einem guten Weg«, sagt der Plattformwissenschaftler Hans Lucker. »Rechtsextreme Gruppen, Hassrede und ­faschistische Selbstorganisation breiteten sich zwar aus, aber die Twitter-Chefs hatten sich einen Code of Conduct gegeben, der sehr schön formuliert war. Außerdem wurden Nutzerinnen gesperrt, die mit allzu nazikritischen Postings provoziert hatten. Diese Fortschritte drohen unter einem CEO Musk verlorenzugehen!«

Nach Musks Spontankauf gehören fast alle großen Social-Media-Plattformen der Welt dem einem oder anderen unsympathischen Milliardär mit fragwürdigen politischen Ansichten; zuvor hatten sie mittelunsympathischen Multimillionären mit unbekannten politischen Ansichten gehört. Kein Wunder, dass sich viele Nutzer auf andere Plattformen zurückziehen – etwa auf das dezentral angelegte Mas­todon. »Mastodon steht noch am Anfang«, sagt der Medienpionier Pascha Hobo. »Leute wie ich werden schätzungsweise drei, vielleicht sogar vier Jahre brauchen, bis die Plattform hochgejazzt genug ist, um wieder für Milliardäre interessant zu werden.«

Andere wollen diese anscheinend unvermeidliche Entwicklung nicht noch einmal mitmachen. Sie organisieren sich anders: etwa in dem Autonomen Informationsprojekt Hagen. »Wir schreiben kurze Kommentare zum Zeitgeschehen auf lange Zettel, schicken sie uns gegenseitig per Briefpost im Umlaufverfahren«, so der Sprecher Gabor Thiersner. »Wenn genug zusammengekommen ist, hängen wir diesen ›Thread‹ an unser Mitteilungsbrett. Der Vorteil: Niemand wird beleidigt, und lesen muss den ganzen Mist auch niemand.«

 

Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.