Imprint: Die geographische Mitte wird ideologisiert

Kritik der Mitte

In der Geopolitik werden geographische Bedingungen ideologisch gedeutet. Während die Peripherie belächelt wird, gelten Mittellagen als Sitz der Macht. So argumentierte auch der einflussreiche britische Geograph Halford Mackinder in seiner 1904 vorgestellten Heartland-Theorie. In dieser erschien Russland aufgrund seiner räumlichen Lage als die aufstrebende Weltmacht. Aber auch Deutschland hat sich im Laufe seiner Geschichte immer wieder zum Nabel der Welt erklärt. Über die Konstruktion der Mitte und warum sie mal in Thüringen, mal in Umbrien zu finden ist.
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»Geographie als Argument« betitelt Tilo Felgenhauer sein Buch, das zeigt, wozu die Wissenschaft von der Erdoberfläche manchmal herhalten muss. Jenseits der Beschreibung und Untersuchung landschaftlicher Erscheinungen werden Schlüsse für politische Prozesse aus diesen Gegebenheiten gezogen. Das ist nicht überraschend. Raumwahrnehmung ist mit Interpretation verbunden. Wir Menschen sehen Räume selten als neutral an, sondern setzen uns zu ihnen in Beziehung. Wir messen ihnen Werte zu, glauben sogar, diese in den Räumen selbst vorzufinden, statt ­diese einfach in der Landschaft liegen zu lassen. Raumordnung schafft Sicherheit. Das war an der Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie und der Deutung von Orten als Nabel der Welt bereits nachzuvollziehen. Ebenso bedeutungsgebende Wirkung können geographische Mittellagen haben – die man zuvor natürlich erst einmal als solche bestimmen musste. Sinnstiftung ist ohne Konstruktionsleistung nicht zu haben.

Die Herzlandkarte ist derart arrangiert, dass Zentralasien in der Mitte liegt und Ostasien, Europa und Afrika wie Blütenblätter davon abstehen. Dass diese konstruierte Zen­tral­lage nichts über Weltpolitik aussagt – geschenkt. Man muss daran glauben. So mag die Heartland-These vor allem als Warnung vor der Macht der Bilder dienen.

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