Die Räumung eines Protestcamps vor dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg war rechtswidrig

Putsch auf Entenwerder

Das Verwaltungsgericht Hamburg stellte vergangene Woche in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil die Rechtswidrigkeit der Räumung des »Antikapitalistischen Camps« während des G20-Gipfels 2017 fest.

»Die Begründung liegt noch nicht vor«, sagt Rechtsanwalt Martin Klingner im Gespräch mit der Jungle World. »Es ist aber klar, dass das Verwaltungsgericht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hier als verletzt ansieht, das ist ein wichtiger Erfolg.« Klingner vertrat den Kläger, den Anmelder des »Antikapitalistischen Camps«, bereits im Sommer 2017, als in Hamburg der G20-Gipfel stattfand.

Die Hamburger Polizeiführung kam vor selbigem auf die Idee, die Zahl der anreisenden Protestierenden zu reduzieren, indem sie die geplanten Protestcamps, in denen mehrere Tausend Menschen übernachten sollten, verbot. Schon früh hatte Hamburgs rot-grüner Senat klargestellt, dass er solche Camps nicht zulassen würde. Am Sonntag vor dem G20-Gipfel hatten ­Polizeibeamte dann das »Antikapitalistische Camp« auf der abgelegenen Elbhalbinsel Entenwerder – unter Missachtung zuvor ergangener Gerichtsentscheidungen – geräumt. Es war der Auftakt zu einem einwöchigen Eskalationskurs der Hamburger Polizeiführung.

Das Urteil werde »keinerlei Konsequenzen haben, denn die Polizei wusste ja damals selbst, dass sie offenen Rechtsbruch begeht«, sagt Andreas Blechschmidt

Klagen vor Verwaltungsgerichten dauern lange, aber der Anmelder des Camps gab nicht auf. In der vergangenen Woche urteilte das Verwaltungsgericht Hamburg, dass die Absperrung des Zugangs zu der Elbhalbinsel Entenwerder zur Errichtung eines Protestcamps anlässlich des G20-Gipfeltreffens, die Untersagung des Camps und das Verbot von Schlafzelten rechtswidrig waren. Ein harsches Urteil, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. In einer Presseerklärung des Verwaltungsgerichts heißt es, das Protestcamp sei »in erheblichen Teilen« als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes anzusehen. »Vor diesem Hintergrund sei die nicht näher eingegrenzte, insbesondere nicht zeitlich klar befristete Verfügung, mit der die Errichtung des Protestcamps zunächst untersagt wurde, ebenso wie die im Rahmen der späteren Verfügung erfolgte vollständige Untersagung des Aufstellens von Schlafzelten, des Errichtens von Duschen und des Aufbaus von Küchen rechtswidrig gewesen.«

Das Urteil, sagt Rechtsanwalt Klingner, »durchbricht die Erzählung des Senats, es habe keine Rechtsbrüche beim G20-Gipfel gegeben, und eröffnet vielen zukünftigen Camps, die sich auf die Versammlungsfreiheit berufen, bessere Chancen«. Die Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft, Sabine Boeddinghaus, sagt im Gespräch mit der Jungle World: »Ein Erfolg ist die Feststellung des Gerichts, dass die Absperrung des Zugangs zur Elbhalbinsel Entenwerder rechtswidrig war.« Das Urteil zeige auch, dass der damalige Gesamteinsatzleiter für den G20-Gipfel der Polizei, Hartmut Dudde, »sich über einen Beschluss des Verwaltungsgerichts hinweggesetzt« habe. »Das war ein Putsch der Polizei gegen das Gericht, eine Missachtung der Gewaltenteilung«, so Boeddinghaus.

Für die damalige Polizeiführung um Dudde habe das Urteil jedoch »keine persönlichen Konsequenzen«, sagt Christiane Schneider, die 2017 innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft war, der Jungle World. »Das Verwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns überprüft und festgestellt: Da wurde ein Grundrecht, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, verletzt, Dudde muss aber keine Strafe zahlen.« Schneider sieht die Bedeutung des Urteils ähnlich wie Anwalt Klingner: »Die Hamburger Polizei müsste sich, wenn das Urteil rechtskräftig wird, zukünftig daran halten.«

Skeptischer ist Andreas Blechschmidt, der Anmelder der im Juli 2017 vier Tage nach dem Camp ebenfalls von der Polizei rabiat aufgelösten Demonstration »Für eine solidarische Welt und gegen den G20« des Bündnisses Welcome to Hell. Im Gespräch mit der Jungle World sagt er: »Die aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts gibt letztlich nur einen versammlungsrechtlichen Gemeinplatz wieder, nämlich dass Protestcamps grundsätzlich auch unter den Schutz des Versammlungsrechts fallen.« Das sei allerdings bereits im Sommer 2017 allen Beteiligten klar gewesen, so Blechschmidt. »Die Hamburger Polizei hatte aber die Rückendeckung der Politik, in einem Akt des eklatanten Rechtsbruchs die gerichtlichen Entscheidungen ignorieren zu können.« Das Urteil aus der vergangenen Woche werde »keinerlei Konsequenzen haben, denn die Polizei wusste ja damals selbst, dass sie offenen Rechtsbruch begeht«, sagt Blechschmidt. »Das war politisch sozusagen eingepreist und durch den regierenden rot-grünen Senat gedeckt.« Ohnehin habe die Hamburger Polizei »zum Versammlungsrecht ein rein taktisches Verhältnis«, so Blechschmidt.

Schneider sagt, das Verwaltungsgericht habe ihrer »Erinnerung nach mindestens fünf Mal« von Hartmut Dudde verantwortete Polizeieinsätze als rechtswidrig verurteilt. Das Problem sei, »dass in solchen Fällen konkrete Maßnahmen für rechtswidrig erklärt werden, und das oft drei oder, wie jetzt, sogar fast fünf Jahre später«, so Schneider.

Blechschmidt resümiert: »Andere Menschen sammeln Demokratiepreise oder Auszeichnungen für vorbildliches zivilgesellschaftliches Engagement, Hartmut Dudde sammelt gerichtliche Entscheidungen für wiederholt rechtswidrige und versammlungsfeindliche Polizeieinsätze. Aber genau das hat ihn ja aus Sicht der politisch Verantwortlichen für den Posten des Gesamteinsatzleiters während des G20-Gipfels prädestiniert.«

Trotzdem muss der rot-grüne Senat ab Juni dieses Jahres auf Dudde verzichten. Er wird 60 Jahre alt und geht in Pension. Die fällt hoch aus, wurde Dudde doch 2018 zum Leiter der Hamburger Schutzpolizei befördert – wegen seiner Einsatzerfahrung und seiner sehr hohen Reputation, so Polizeipräsident Ralf Martin Meyer damals.