Projizierte Sehnsüchte
Im Schatten eskalierender Krisen herrschen Verstörung und Orientierungslosigkeit, davon bleibt auch die Neue Rechte nicht verschont. Seit das Thema Migration an propagandistischer Bedeutung verloren hat, ist es um sie ruhiger geworden. Behördlicher Druck hat den revolutionären Enthusiasmus gedrosselt, der enge Schulterschluss mit den »Querdenkern« die Urteilskraft noch weiter getrübt.
Der Allianz ist auch Konkurrenz entsprungen, die »Identitäre Bewegung« (IB) ist schon im Gewirr der Coronaproteste von ihrem Platz in der ersten Reihe verdrängt worden. Die Zielgruppe guckt lieber Videos des Arztes Bodo Schiffmann, eines der Gurus der »Querdenken«-Bewegung, als sich weltanschaulich zu schulen. Martin Sellner hat kürzlich eine weitere Initiative zur Wiederbelebung der IB gestartet, diesmal in Form von »Straßenlage«, einem Videoblog für rechten Aktivismus. Auch die AfD ist in der Krise. Das Thema Corona hat kaum noch Zugkraft, am 8. Mai verfehlte die Partei den Wiedereinzug in den schleswig-holsteinischen Landtag.
Auffällig ist allerdings, dass auf den in der Covid-19-Pandemie etablierten Kanälen bezüglich des Ukraine-Kriegs umstandslos Russland verteidigt wird. Nach wie vor teilt die Mehrheit in der äußersten Rechten die Position des Kreml, dem die Ukraine als »Kunststaat« und »bolschewistisches Konstrukt« gilt, das sich auf ungarischem, russischem, polnischem, rumänischem und sogar österreichischem Territorium befinde. Diese Haltung ist in der EU-kritischen Rechten verbreitet, wie auch an der ungarischen Regierung zu sehen ist, die weiterhin so eng mit Russland kooperiert, wie es ohne offenen Bruch mit EU-Regeln möglich ist.
Ein Phänomen der Zeit ist der Pazifismus von rechts. Björn Höcke (AfD) wirbt derzeit mit Friedenstaube, ganz ähnlich agiert Jürgen Elsässers Zeitschrift Compact. Dort gilt die Nato als Wurzel allen Übels und die Ukraine lediglich als ein Brückenkopf angelsächsischer Interessen im russischen Großraum. Der Westen wolle Völker und Kulturen spalten, deren Schicksal durch gemeinsame Wurzeln in der Kiewer Rus, dem ostslawischen Großreich des 9. Jahrhunderts, verbunden sei. Das ist in etwa so, als betrachtete man Deutschland und Frankreich als untrennbare Einheit, da beide auf das Karolingische Reich zurückgehen.
Aus den Reihen des Antaios-Verlags und des Instituts für Staatspolitik (IfS) ist auffallend wenig zur Ukraine zu lesen. Die Großstrategen der Neuen Rechten schweigen lieber. Auf der im April in Schnellroda veranstalteten »Frühjahrsakademie« des IfS versuchte Erik Lehnert, das Terrain zu sondieren. Er könne sich zwar Sympathien für eine »Wiedergeburt einer Nation« nicht entziehen, schätze aber für Deutschland das Verhältnis zu Russland als wichtiger ein, zumal es die Abhängigkeit von den USA schwäche. Auch sei das »konservative« russische Konzept der »geführten Demokratie« zur Stärkung der Nation den eigenen politischen Vorstellungen näher. Russland müsse man wie einstmals dem Deutschen Kaiserreich zugestehen, sich gegen die »Einkreisung« zu wehren. Grundsätzlich lehne man die »moralische« Aufladung des Konflikts ab, der typisch für die bundesrepublikanische »Gesinnungsethik« sei. An die Stelle der »wertebasierten Außenpolitik« sollten nationale Interessen treten. Letztlich kommt Lehnert zu dem Schluss, dass Deutschland im Ukraine-Krieg nichts zu gewinnen habe.
In den spärlichen Berichten der Antaios-Zeitschrift Sezession zum Krieg zeichnet sich das Grundproblem der Neuen Rechten ab: In der Ukraine handeln Menschen so, wie sie es sich für das eigene Land wünscht, mobilisieren ihren Heroismus aber für und nicht gegen den »dekadenten« Westen. Zudem zeigen sich in den Videos kämpfender ukrainischer Frauen und LGBT-Personen Momente jener gesellschaftlichen Modernisierung, die als das Hauptübel des Westens gesehen wird. Die bärtigen tschetschenischen Kämpfer in Diensten des russischen Regimes, die sich auf den Straßen Mariupols mitsamt Imam beim Beten fotografieren lassen, sind schwere Kost für die rechten Retter des Abendlands. Wladimir Putin galt ihnen als Wahrer des christlich-weißen Europa, nun werden sie an die multiethnische Realität des russischen Imperiums erinnert. So ist die Rechte Opfer ihrer in die Ferne projizierten Sehnsüchte geworden, wie sie sie bei der Linken stets kritisiert hatte.
In dieser Misere widmet sich der Chefredakteur der Sezession, Götz Kubitschek, lieber der Literatur. Sicher nicht ganz zufällig bespricht er die Wiederauflage von Wassilij Grossmans Roman »Stalingrad«, immerhin wurde der Autor in der Ukraine geboren. In Kubitscheks Rezension fließt Bewunderung ein: »Überhaupt sind alle rücksichtslos gegen sich selbst. Dort, wo geschossen wird, ist das eigene Leben bloß die Fingerkuppe des Volkskörpers und wird nicht ohne Gefühl für das Schicksalhafte daran dreingegeben.« Besser als der Ennui der Gegenwart scheint sogar noch die sowjetische Position im Großen Vaterländischen Krieg. Schwere Zeiten für nationale Helden in Wartestellung.