Die italienische »Smart City« Bologna will ein digitales Tugendpunktesystem einführen

Punkte für das Karmakonto

Die italienische Stadt Bologna will ein digitales Sozialkreditsystem einführen, bei dem Bürgerinnen und Bürger »Tugendpunkte« sammeln können. Das Bonussystem könnte soziale Diskriminierung verstärken.

Wer im vergangenen Jahr die Einführung des digitalen Impfnachweises, in Italien »Green Pass« genannt, als Vorboten einer umfassenderen digitalisierten Kontrollgesellschaft nach chinesischem Vorbild kritisiert hatte, sah sich Ende März bestätigt. In Bologna hat die vom Partito Democratico (PD) geführte linksliberale Stadtverwaltung für den Herbst dieses Jahres ein Pilotprojekt für ein digitales Sozialkreditsystem angekündigt. Ähnlich den Treuepunkten, die im Einzelhandel gesammelt werden können, soll die Bürgerschaft über eine Mobilfunk-App mit dem Namen »Smart Citizen Wallet« zum Sammeln von »Tugendpunkten« eingeladen werden. Bonuspunkte soll erhalten, wer den Müll ordentlich trennt, öffentliche Verkehrsmittel benutzt, keine Ordnungswidrigkeiten begeht und für den Austausch mit der öffentlichen Verwaltung digitale Angebote nutzt. Die Bonuspunkte sollen ausschließlich innerhalb des kommunalen Wirtschaftskreislaufs eingelöst werden können, beispielsweise in Form von Rabatten oder privilegierten Zugängen zu lokalen Dienstleistungen und Kulturprogrammen.

Wo Mülltonnen regelmäßig überquellen und Busse und Bahnen nur eingeschränkt verkehren, lassen sich auch keine Punkte sammeln.

Bürgermeister Matteo Lepore (PD) hob in einer Pressekonferenz Ende März die Vorteile für den vernetzten city user hervor: Die Anstrengungen der »Besten« aus der Bürgerschaft würden honoriert. Darüber hinaus könnten auch Pendlerinnen und Touristen von Echtzeitnachrichten zu Wetter- und Verkehrslage profitieren. Die Stadt erhofft sich langfristig Einsparungen: Dank der übermittelten Daten sei eine effiziente und ressourcenschonendere Stadtentwicklung möglich. Nachfragen zum Datenschutz wischte der für Digitalisierung zuständige Stadtrat, Massimo Bugani vom Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S), mit der Bemerkung beiseite, es werde ja niemand zur Teilnahme gezwungen. Strafpunkte sollen vorerst auch keine verteilt werden.

Die fünf Sterne des M5S symbolisieren unter anderem die Themen nachhaltige Entwicklung, erneuerbare Energien, Umweltschutz, öffentliche Mobilität und Digitalisierung der politischen Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse. Für Bugani ist die angekündigte City-App daher kein Neuland: Bevor er im vergangenen Oktober in Bologna Stadtrat wurde, war er in Rom als Digitalbeauftragter für die inzwischen abgewählte Bürgermeisterin Virginia Raggi (M5S) tätig. In enger Zusammenarbeit mit dem chinesischen Technologiekonzern Huawei warb Bugani seit 2019 für die Plattform »Citizen Wallet« als Grundlage der digital gesteuerten urbanen Transformation. Die römische Experimentierphase bot jedoch nur ein sehr limitiertes Bonussystem an, lediglich für den bargeldlosen Kauf von Bus- und Metrotickets sowie die Teilnahme an einer Online-Evaluation der digitalen Dienste der öffentlichen Verwaltung ließen sich Punkte sammeln. Im Mittelpunkt der Werbekampagne stand in Rom weniger die Tugendhaftigkeit der Bürgerschaft als vielmehr die Stellung der Hauptstadt im italienischen Ranking sogenannter smarter Städte. Den Titel »Smart City« erhält die Kommune, die digitale Strategien zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene nutzt. Im nationalen Vergleich liegt Rom bis heute hinter den führenden italienischen »Smart Cities« Florenz, Mailand und Bologna.

Nach zwei Jahren Covid-19-Pandemie ist die Zeit für einen weiteren Digitalisierungsschub günstig: Zum einen kann mit den Konjunkturhilfen aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds in den Ausbau der digitalen Infrastruktur investiert werden. Zum anderen brach­te der pandemische Ausnahmezustand eine Gewöhnung an die Digitalisierung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens. Umfragen zufolge wünscht sich eine Mehrheit der italienischen Bevölkerung, weiter von zu Hause aus zu arbeiten (»Smart Work«). Distanzunterricht (»Smart Education«) und eine digital flexibilisierte Gesundheitsversorgung (»Smart Health«) bleiben dagegen umstritten. Auch das Konzept der »Smart City« dürfte abseits der gentrifizierten Innenstädte auf wenig Interesse stoßen: Wo Mülltonnen regelmäßig überquellen, Busse und Bahnen nur eingeschränkt verkehren und Fahrradverleih erst gar nicht angeboten wird, lassen sich auch keine Punkte sammeln. Das Bonussystem könnte die ohnehin herrschende soziale Diskriminierung verstärken: hier die »tugendhafte« Bürgerschaft, dort die »unzivilisierten« anderen.

Bereits seit Jahren werden Obdachlose, Bettelnde und Straßenhändler im Namen von Sauberkeit und Sicherheit aus dem öffentlichen Raum gedrängt. Migrantische Treffpunkte und Partyplätze von Jugendlichen gelten als Störung der »guten Sitten«. In Bologna sorgt sich die Stadtverwaltung vor allem um die berühmten Arkaden und Säulengänge des historischen Zentrums, die im vergangenen Sommer von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Sie sollen künftig von Plakaten und Graffiti gesäubert werden, um sich der Ernennung würdig zu erweisen. Längst gibt es zahlreiche Blogs, auf denen Bürgerinnen und Bürger ihre Empörung über den »Niedergang« der öffentlichen Ordnung zum Ausdruck bringen und den zuständigen Behörden »Anarchie« und »Vandalismus« anzeigen können. Der Übergang zu einem Sozialkreditsystem, bei dem die einen für Denunziation mit Punkten prämiert und die anderen durch Denunziation mit Punktabzug sanktioniert werden, ist also schon angelegt.