Der Bundestag hat das »Sondervermögen« für die Bundeswehr beschlossen

Jetzt geht’s los

Deutschland nutzt den russischen Überfall auf die Ukraine, um aufzurüsten.
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Deutschland wird die größte Militärmacht der EU. Diese Einschätzung stammt nicht von ewig mahnenden Pazifisten, sondern von dem sozialdemokratischen Bundeskanzler, der für diese Aufrüstung verantwortlich ist. Deutschland werde »in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen«, sagte Olaf Scholz kürzlich. Eine ganz große Koalition aus SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP hat am Freitag vergangener Woche dem sogenannten Sondervermögen für die Bundeswehr zugestimmt. 100 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren zusätzlich für Rüstungsgüter ausgegeben werden, langfristig soll der deutsche Militäretat bei zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts liegen – 2021 wären das über 70 Milliarden Euro gewesen.

Dass Olaf Scholz so einen Satz sagt und dafür auch noch Anerkennung erwartet, könnte fast wichtiger sein als die 100 Milliarden. Das Overton-Fenster, also der Bereich des öffentlich Akzeptierten, ist in Sachen Aufrüstung weit geöffnet. Der CDU-Parteivorsitzende Friedrich Merz fordert bereits, mit Frankreich eine gemeinsame europäische »nukleare Kapazität« zu entwickeln, es dürfe »keine Tabus« mehr geben. In der FAZ liest man, dass »die hundert Milliarden Euro nur ein Anfang sein dürfen«, denn »der Weg wird deutlich länger sein.«

Deutschland hat den russischen Überfall auf die Ukraine genutzt. Nicht um sich an die Spitze der Länder zu stellen, die der Ukraine militärisch helfen, sondern um sich selbst zu bewaffnen. Es hat peinlichst genau darauf geachtet, dass die eigene Industrie an den Russland-Sanktionen keinen Schaden nimmt, nutzt aber die Gelegenheit, die heimische Rüstungsindustrie hochzuzüchten.

Die Linkspartei war als einzige Partei im Bundestag klar gegen die Aufrüstung. Der Partei ist die Erleichterung deutlich anzumerken, nun endlich die deutsche Aufrüstung als zentrales Thema zu haben. In den vergangenen Monaten hatte sie sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und ein weitreichendes Energieembargo gegen Russland ausgesprochen. Prominente Vertreter machten deutlich, dass die Interessen der ukrainischen Bevölkerung für sie bestenfalls eine lästige Nebensache sind.

Für eine angebliche Friedenspartei war das bizarr, wenn auch kaum überraschend. Eine friedenspolitische Haltung, die ernsthaft gegen deutsche – oder russische – Interessen gerichtet wäre, gibt es von der Linkspartei nicht. Sie hätte zum Beispiel fordern können, die 100 Milliarden zu nutzen, um die Auswirkungen eines Gas­embargos gegen Russland abzufedern. Ein solches Embargo würde Deutschlands Wirtschaft schaden, aber den Druck auf Russland erhöhen, was den Krieg verkürzen könnte. Aber die deutsche Industrie ist den Friedensfreunden heilig.

Zweifellos richtig bleibt die auch von Gewerkschaften geäußerte Kritik, dass nun riesige Summen ins Militär fließen, die anderweitig gebraucht werden. Für das Sondervermögen war eine Grundgesetzänderung nötig, um die im Grundgesetz verankerte »Schuldenbremse« zwar zu umgehen, aber ansonsten beizubehalten. Weil sie fortbesteht, werden die höheren Militärausgaben unter den derzeitigen Machtverhältnissen wohl durch Einsparungen bei anderen Haushaltsposten aufgebracht werden. Womöglich werden Rentner ein wenig länger arbeiten müssen, um deutsche Panzerfabriken zu subventionieren.

Es ist nicht originell, aber deshalb nicht weniger wahr: Die gewaltigen Summen, die weltweit ins Militär gesteckt werden, sind ob­szön. Sie sind das Produkt einer Weltordnung, die im Endeffekt auf Gewalt und dem Recht des Stärkeren beruht. Diese zu überwinden, würde zwar auch die Macht des Westens einschränken, doch der russische Überfall auf die Ukraine zeigt, dass unter den gegebenen ­Bedingungen eine einfache Abdankung der USA als Hegemon die Welt weder friedlicher noch gerechter machen würde. Ohne die ­US-amerikanische Militärmaschinerie wäre die Ukraine womöglich verloren gewesen.

Deutschlands Aufrüstung geht zum Teil darauf zurück, dass die USA ihre Militärpräsenz in Europa weiter reduzieren wollen. Es sind vor allem Diktaturen und nationalistische Autokratien, für die Krieg derzeit wieder zum gängigen Mittel der Politik geworden ist. Sie müssen keine freien Wahlen und keine freie Presse fürchten, sie können ihre Bevölkerung mit nationalistischer Hetze abspeisen, statt ihr wenigstens ein Mindestmaß an Freiheit und Wohlstand zu bieten – allen voran Russland, der Iran, aber auch das Nato-Mitglied Türkei.