Die Exilbewegung Demokrati-JA will informiert über das Putin-Regime

Stress in der Diaspora

Demokrati-JA ist eine Initiative der russischsprachigen Diaspora und der russischen Demokratiebewegung im deutschen Exil. Sie will Russen und Deutsche gleichermaßen über das Putin-Regime aufklären und das deutsche Geschichtsbild korrigieren.

»Jetzt gibt es nur noch schwarz und weiß – ohne Zwischentöne«, urteilt Natascha. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die Spaltung der russischsprachigen Diaspora in Deutschland vertieft. Natascha und ihre Mitstreiterinnen von der Gruppe Demokrati-JA kämpften schon vor der Invasion gegen den russischen Kriegskurs und das autoritäre System von Präsident Wladimir Putin. Als der Krieg am 24. Februar begann, gingen sie sofort auf die Straße. Seitdem haben sie in Berlin mehrere Großkundgebungen organisiert. »Wir dürfen jetzt nicht schweigen«, meint Natascha, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung sehen will.

Gegründet hat sich Demokrati-JA im Jahr 2021. Das achtköpfige Kernteam traf sich bei einem Protestcamp vor dem Brandenburger Tor. Gegner Putins forderten damals die Freilassung des Oppositionsführers Aleksej Nawalnyj und weiterer politischer Gefangener. Man kam ins Gespräch und vernetzte sich. Seitdem ist Demokrati-JA öffentlich tätig. »Wir veranstalten Straßenaktionen«, erzählt Natascha, »mit dem Ziel, unsere Position sichtbar und hörbar zu machen sowie die demokratisch eingestellte Diaspora zu konsolidieren.« Ei­nige der Mitglieder von Demokrati-JA haben Russland erst in den letzten Jahren verlassen. Natascha hingegen ist schon seit 30 Jahren in Deutschland. Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim beschreibt sie als ihr politisches Erweckungserlebnis. Seitdem engagiert sie sich in der russischen Demokratiebewegung: »Ich habe ein erhöhtes Gerechtigkeitsempfinden. Ich kann das nicht hinnehmen.«

Deutschland hat auch gegenüber Staaten wie der Ukraine und Belarus eine historische Verantwortung.

Als eine der wichtigsten Aktionen vor Kriegsbeginn erachtet Natascha die Teilnahme ihrer Gruppe an der weltweiten Kampagne »Stimm im Ausland ab«. Vor den Duma-Wahlen im September 2021 rief die Oppositionsbewegung russische Staatsbürger im Ausland dazu auf, zur Wahl zu gehen und gegen die Regierungspartei Einiges Russland zu stimmen. Am Wahlausgang änderte das nur wenig, doch »das Projekt hat sehr geholfen, die Diaspora weltweit zu vernetzen«, so Natascha.

Seit dem 24. Februar hat Demokrati-JA das Engagement stark ausgeweitet. Die Gruppe organisierte Kundgebungen vor dem Brandenburger Tor und Protestzüge vor die russische Botschaft. Dort hätte auch eine besonders eindrucksvolle Aktion stattgefunden, wäre da nicht die Polizei gewesen. Am Abend des 2. April zogen die Aktivsten der Gruppe mit zwei Projektoren vor die Botschaft. Sie wollten Bilder vom Krieg gegen die Ukraine an das Gebäude werfen. Kaum waren die Projektoren an, griff die Polizei ein. Es hätte eine Genehmigung gebraucht, hieß es seitens der Behörden.

Laut Medienberichten teilte die Polizei den Protestierenden jedoch auch mit, es sei nicht möglich, eine derartige Genehmigung zu erhalten. Schließlich gehe es hier um ein Botschaftsgebäude. Das behördliche Vorgehen stieß bei Demokrati-JA auf wenig Verständnis. In einer Stellungnahme schrieb die Gruppe deutschen Behörden eine »tiefsitzende Angst vor Moskau« zu. Privatpersonen setzten die Aktion auf eigene Faust fort. Sie projizierten die Bilder auf das Gebäude des russischen Staatskonzerns Gazprom im Zentrum Berlins, die chinesische Botschaft und ein Wohnhaus in Neukölln.

Neben derartigen Aktionen bemüht sich die Initiative auch, den russischen Neuankömmlingen in Berlin zu helfen. Man suche zu denen Kontakt, die das Land nach Kriegsbeginn verlassen mussten, sagt Natascha. Berlin sei für russische Exilanten ein wichtiger Ort. Natürlich sei es immer noch einfacher, nach Litauen oder Georgien zu gehen. »Die beiden kleinen Länder platzen langsam«, fügt sie hinzu. Dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Einreise und die Aufnahme von politischen Geflüchteten aus Russland und von Deserteuren der russischen Armee vereinfachen will, deutet sie als Signal in die richtige Richtung.

Wenig Verständnis haben Natascha und Demokrati-JA hingegen für die »Putinisten« in Deutschland. Als Migranten aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken am 2. April in einem Autokorso durch Berlin zogen, um ihre Unterstützung für den Kriegskurs Putins auszudrücken, organisierte die Gruppe Gegenprotest. Unter dem Motto »Menschen gegen Zombies« fand am 24. April eine weitere Demonstration statt – der »prorussische« Autokorso wurde hingegen abgesagt. Daneben richtet sich das Enga­gement von Demokrati-JA auch gegen deutsche Unterstützer Putins. Als sich Antiamerikanisten und Nato-Gegner aus der Partei »Die Linke« am 21. Mai mit Gleichgesinnten zu einer Tagung an der Berliner Humboldt-Universität trafen, bezog die Initiative vor dem Gebäude Stellung und protestierte gegen sie.

Die politische Arbeit der Gruppe zielt auch auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft. So beteiligte sie sich am Bündnis »Gedenken gegen den Krieg«. Diesem gehören russische Oppositionsgruppen und deutsche Vereine an. In einer Reihe von Veranstaltungen wollten die Beteiligten ein Zeichen gegen die Vereinnahmung der Sieges­feier über Nazi-Deutschland durch die russische Regierung setzen. Daneben will »Gedenken gegen den Krieg« auch Lücken im deutschen Geschichtsverständnis füllen und dieses auch etwas korrigieren: »Viele sagen, dass Russland den Krieg gewonnen hat, und vergessen dabei, den Einsatz und die Opfer der Ukraine zu erwähnen«, sagt Natascha. Deutschland habe nicht nur gegenüber Russland eine historische Verantwortung, sondern auch gegenüber Staaten wie der Ukraine und Belarus.

Am 8. und 9. Mai veranstaltete Demokrati-JA deshalb eine Gegenveranstaltung zu den Feierlichkeiten am ­sowjetischen Ehrenmal im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick. Die Gruppe wollte auf den Ukraine-Krieg und auf die Situation in Russland hinweisen. Auch hier schritt die Polizei ein und sorgte für die Entfernung von Informationsmaterial und Antikriegsparolen. Für die Zukunft plant Demokrati-JA Natascha zufolge weiterhin, Russen und Deutsche gleichermaßen über das Putin-Regime und die unterdrückte russische Opposition aufzuklären: »Wir wollen der russischen Zivilgesellschaft helfen, die in Russland erstickt wurde, aber hier weiterlebt.«