Terror wie früher
Wenn die ausländerfeindliche Hetzkampagne »Operation Dudula« in Südafrika Jagd auf Ausländer macht, kann es schon mal Tote geben – und manchmal schaut die Polizei einfach zu. In Pietermaritzburg, der Hauptstadt der an der Ostküste des Landes gelegenen Provinz KwaZulu-Natal, begleitete die Polizei vor zwei Wochen einen xenophoben Mob geradezu partnerschaftlich. Während etwa 30 Dudula-Aktivisten auf der Haupteinkaufstraße die Aufenthaltspapiere mutmaßlich ausländischer Straßenhändler zu sehen verlangten, blieb die Polizei in ihren Fahrzeugen sitzen und gab dem Vorgehen so den Anschein von Legitimität.
Die Operation Dudula – das Wort heißt übersetzt in etwa »zurückdrängen« oder »wegstoßen« – hatte schon einige Wochen zuvor lokale Unternehmen aufgefordert, ausländische Arbeitskräfte zu entlassen. »Wir haben eine Anzahl von Leuten verhaftet, die keine Dokumente haben«, sagte ein Leiter der Papierkontrolle, Bheki Dzanibe, der Tageszeitung The Witness. Er ließ dabei jedoch offen, was eine »Verhaftung« durch einen Mob genau bedeutete. Oft versuchen Dudula-Aktivisten, die mutmaßlich papierlosen afrikanischen Immigranten an die Polizei zu übergeben. Allerdings kam es bei anderen Aktionen der Organisation auch zu schwerer Gewalt bis hin zum Lynchmord. Vor zwei Monaten erschoss ein mutmaßliches Mitglied der Aktion Dudula in Pietermaritzburg einen ausländischen Straßenhändler.
Die Regierungspartei ANC tut sich erschreckend schwer im Umgang mit Dudula.
Dass die Polizei bei der Papierkontrolle vor zwei Wochen nur zuschaute, kann da als eindeutiges Signal verstanden werden. Trotzdem zeigt sich Dzanibe unzufrieden. »Die Polizei muss anfangen, ihre Arbeit zu machen und all diese Leute verhaften, die illegal im Land sind«, zitierte ihn The Witness.
Nur drei Tage zuvor war eine Dudula-Aktion ganz anders verlaufen. In Alexandra, einem Armenviertel in Johannesburg, verhinderten ungenannte Anwohner eigenen Angaben zufolge die nächtliche Vertreibung einer älteren Anwohnerin aus ihrer Hütte. »Dudula kam, um jemanden zu vertreiben, und die Community hat Widerstand geleistet«, sagte der Bezirksabgeordnete Tefo Raphadu der Times-Mediengruppe. »Es gab einen Streit, und Dudula schoss auf die Community, und die Community begann zu kämpfen und zurückzuschlagen.« Raphadu zufolge wurden neun Menschen verletzt. Die Polizei gab am folgenden Tag bekannt, 14 Personen im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung verhaftet zu haben.
Die Dudula-Bewegung operiert seit vergangenem Jahr in verschiedenen Städten des Landes, hauptsächlich in den Provinzen KwaZulu-Natal und Gauteng. Sie bekundet freimütig, dass sie auch bewaffnet für Ordnung sorgen will. Angeführt und mutmaßlich auch finanziert wird sie von dem Piloten und Geschäftsmann Nhlanhla »Lux« Dlamini, der eine Charter-Fluggesellschaft namens Native Airways besitzt. Dlamini wurde erstmals einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als er mit Gleichgesinnten im vergangenen Jahr ein Einkaufszentrum in Soweto vor Plünderung und Zerstörung schützte. Die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma wegen Korruptionsvorwürfen hatte die damaligen Unruhen ausgelöst. Dlamini präsentierte sich daraufhin als Beschützer der »Community« und behauptete trotz mangelnder Beweise, die verhinderten Plünderer seien afrikanische Einwanderer gewesen. Einige Wochen danach begann er die medienwirksamen »Razzien« auf Märkten und in Wohngebieten.
Darin, dass sich sowohl die Gegner als auch die Anhänger der Operation Dudula so stark auf die »Community« beziehen, äußert sich die gemeinsame politische Herkunft der nun gespaltenen politischen Lager. Die kommunitaristische Rhetorik von einer nicht näher bestimmten »Community« kam in Südafrika in den frühen achtziger Jahren auf. Der Begriff konnte gerade durch seine Unbestimmtheit in den Auseinandersetzungen mit dem staatlichen Rassismus, bei Arbeitskämpfen, Schulboykotts und Mietstreiks mobilisieren. Er vereinte die urbane Bevölkerung gegen die Versuche des Regimes, die nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit des Landes in unterschiedliche »Stämme« und Ethnien zu teilen. Zudem ermöglichte er die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Strömungen der Bewegung gegen die Apartheid, zu der neben dem eher sozialdemokratischen African National Congress (ANC) auch Panafrikanisten, Christen, Kommunisten und Liberale gehörten. Nicht zuletzt legitimierte er die Anti-Apartheid-Kämpfer, die den Staat immer weiter zurückdrängten und in den Townships die Kontrolle übernahmen.
Der nunmehr dominante African National Congress (ANC) konnte diese breite Koalition, nachdem er 1994 die Regierung übernommen hatte, 15 Jahre lang zusammenhalten. Seitdem haben sich jedoch immer wieder Gruppen abgespalten. Der immer noch regierende ANC und der Staat zerfallen zunehmend in Patronagenetzwerke. Die Wirtschaft stagniert seit Jahren, die Arbeitslosigkeit soll Schätzungen zufolge bei fast 50 Prozent liegen. Schon in den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu gewalttätigen Pogromen gegen Einwanderer. Die Operation Dudula stellt den Versuch ihres Anführers Dlamini dar, mit Fremdenfeindlichkeit und rassistischen Grenzüberschreitungen zu punkten.
Dlamini profitierte in seiner Jugend von verschiedenen Stipendien für die prestigeträchtigsten Schulen des Landes und wurde vor seinem Dudula-Engagement immer wieder als vorbildlicher afrikanischer Geschäftsmann aus dem Township Soweto präsentiert. Er arbeitete in den USA und Großbritannien für die internationale Beratungsfirma McKinsey und die Investmentbank Morgan Stanley. Seine politischen Ambitionen konnte er innerhalb des ANC allerdings nicht erfüllen.
Bemerkenswert ist seine explizite Gegnerschaft zum Anführer der linkspopulistischen Partei Economic Freedom Fighters (EFF), Julius Malema. Der ehemalige Präsident des ANC-Jugendverbands gründete die EFF 2013, nachdem ihm innerhalb des ANC weitere Aufstiegschancen verwehrt worden waren. Der heute 41jährige Malema gehörte wie der 35 Jahre alte Dlamini zum Mittelbau der ANC-Staatsklasse, die einerseits von Staatsaufträgen profitiert, andererseits jedoch mit der alten Garde der Anti-Apartheid-Kämpfer um Präsident Cyril Ramaphosa um Aufstiegschancen ringt.
Sowohl Dlamini als auch Malema präsentieren sich trotz ihres Vermögens als Vertreter der armen schwarzen Bevölkerung. Während Malema und die EFF Versatzstücke des Antiimperialismus nutzen und vor allem gegen mehrheitlich relativ wohlhabende weiße und indischstämmige Minderheiten hetzen, bedient Dlamini mit seiner Operation Dudula seit langem vorhandene Ressentiments gegen arme afrikanische Einwanderer. In gewisser Hinsicht imitieren die Dudula-Mobs, ob bewusst oder unbewusst, die Polizei der Apartheid-Ära, die damals versuchte, den »illegalen« Zuzug schwarzer Südafrikaner in die vermeintlich »europäischen« Städte zu verhindern. Auch damals dienten Ausweispapiere als Mittel der Unterdrückung, und auch damals drangsalierten die Ordnungskräfte bevorzugt informelle Straßenhändler.
Die Regierungspartei ANC tut sich derweil erschreckend schwer im Umgang mit Dudula. Während ein Parteisprecher die Bewegung als »progressiv« lobte, verurteilte Präsident Ramaphosa die Aktionen, die »unsere Völker auf dem afrikanischen Kontinent spalten«. Damit reagiert der ANC auf Dudula so, wie er auch auf die EFF reagiert hat: Einerseits versucht er, sich von den Abspaltungen rechts und links abzugrenzen. Andererseits möchte die ehemalige Befreiungsbewegung die Bevölkerungsgruppen, die mit den populistischen Newcomern sympathisieren, selbst gerne ansprechen.