Beim Bundesparteitag der AfD dominierte der völkische Flügel mehr als je zuvor

Parteitag der Höcke-Partei

Mehr als 500 Delegierte der AfD wählten am Wochenende im sächsischen Riesa einen neuen Parteivorstand und stritten sich über die Ausrichtung ihrer Partei. Der völkische Flügel um Björn Höcke dominierte dabei mehr als je zuvor.

Bei der AfD scheint jeder Parteitag ein Richtungsparteitag zu sein. So auch der am Wochenende. Die AfD befindet sich in einer Krise. Im Januar verließ Jörg Meuthen, bis dahin einer der beiden Bundessprecher, die Partei und attestierte der AfD, dass von ihr nur eine ostdeutsche Regionalpartei mit »totalitären Anklängen« übrigbleiben werde. Insbesondere in den westlichen Bundesländern verliert die AfD an Zuspruch. Das zeigten in den vergangenen Monaten der gescheiterte Wiedereinzug in den Landtag von Schleswig-Holstein sowie die schwachen Wahlergebnisse im Saarland und in Nordrhein-Westfalen. Zudem bestätigte das Verwaltungsgericht Köln im März, dass die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet werde dürfe; die Partei legte Anfang Juni dagegen Berufung ein.

Die Konflikte in der Partei sind nicht kleiner geworden, auch das wurde am Wochenende deutlich. Uneinigkeit besteht zum Beispiel in der Positionierung zum Ukraine-Krieg. Vorwiegend ostdeutsche Putin-Anhänger treffen innerhalb der AfD auf Nato-Hardliner, wenn auch Letztere klar in der Minderheit sind. Doch die wichtigste Meinungsverschiedenheit herrscht bei der Frage, wie nah die Partei rechtsextremen Bewegungen wie Pegida und »Querdenken« oder neurechten Stichwortgebern wie dem Institut für Staatspolitik ­stehen sollte.

Da auf dem Bundesparteitag in Riesa die Neuwahl des gesamten Bundesvorstands anstand, machte sich dieser Richtungsstreit vor allem an Personalentscheidungen fest. Der amtierende Bundessprecher Tino Chrupalla aus Sachsen war zuletzt parteiintern deutlich kritisiert worden. Mit dem Gegenkandidaten Norbert Kleinwächter wurde er bei der Wahl zum Parteisprecher von als gemäßigter geltenden Kräften herausgefordert. Kleinwächter, der stellvertretender Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion ist, spielte in der Partei jedoch bisher eher eine untergeordnete Rolle und verfügt über wenig Rückhalt.

Mit 53,45 Prozent der Stimmen holte Tino Chrupalla ein denkbar schlechtes Ergebnis.

Zugleich wurde Chrupalla jedoch auch von völkischen Kräften attackiert, die sich um den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke scharen. Dieser und andere hatten am ersten Tag der Delegiertenkonferenz die nötige Zweidrittelmehrheit für den Antrag erhalten, dass die Partei zukünftig auch von nur einem Sprecher statt von einer Doppelspitze geführt werden könne. Höcke war es jedoch auch, der den Delegierten – wohl mit Blick auf Chrupalla – mitteilte, dass jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt sei, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Höcke hat bisher kein Amt auf Bundesebene angestrebt. Nun kann spekuliert werden, dass er plant, irgendwann alleiniger Vorsitzender zu werden.

Mit 53,45 Prozent der Stimmen holte Chrupalla ein denkbar schlechtes Ergebnis. Ihm zur Seite wird als zweite Bundessprecherin Alice Weidel stehen, für die immerhin zwei Drittel der Delegierten stimmten. Chrupalla betonte anschließend auf seinem Twitter-Kanal, dass im neuen Bundesvorstand alle Strömungen seiner Partei eingebunden und damit ein Aufbruch eingeleitet sei. Tatsächlich schaffte es jedoch von denjenigen, die aus dem Umfeld des ehemaligen Bundessprechers Meuthen stammen, wie etwa Nicolaus Fest oder Norbert Kleinwächter, keiner in den Bundesvorstand. Stattdessen wurden Vertraute von Björn Höcke, wie Christina Baum und Stephan Brandner, sowie einige der Wunschkandidaten Chrupallas gewählt. Höcke kommentierte das Ergebnis auf Facebook mit den Worten: »Der neue Bundesvorstand gibt viel Hoffnung, daß die Zeit der Flügelkämpfe vorbei ist.«

Dass längst völkische Kräfte die AfD dominieren, wurde auch am letzten Tag der Delegiertenkonferenz deutlich. Am Sonntagvormittag debattierten die Delegierten den Antrag, die rechte Arbeitnehmervereinigung »Zentrum Automobil« von der Liste der mit einer AfD-Mitgliedschaft unvereinbaren Organisationen zu streichen. Dirk Spaniel, Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, warb für diesen Schritt. Die Vereinigung »Zentrum Automobil« gehöre für ihn zu den politischen Vorfeldorganisationen, mit denen die AfD stärker zusammenarbeiten müsse. Auch Höcke plädierte entschlossen für eine Streichung von der Unvereinbarkeitsliste.

Das Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch und Markus Frohnmaier, ein Vertrauter Weidels, argumentierten dagegen: »Zentrum Automobil« mache mit Neonazis wie der NPD und der Kleinpartei »Der III. Weg« gemeinsame Sache. Chrupalla und Weidel äußerten sich in der Debatte nicht. Das neue Bundesvorstandmitglied Christina Baum widersprach ihrem Vorstandskollegen und stellte sich klar an die Seite Höckes. Schließlich beschloss der Parteitag mit 60,1 Prozent der Stimmen, das »Zentrum Automobil« von der Unvereinbarkeitsliste der AfD zu streichen – ein weiterer Sieg für den völkischen Flügel der Partei.

Der Höhepunkt der Zerwürfnisse war die Debatte über eine Resolution mit dem Titel »Europa neu denken«, in der von »Globalisten« die Rede war und die »Auflösung der EU« gefordert wurde. Höcke und der Ehrenvorsitzende der Partei, Alexander Gauland, warben für die Resolution, der Parteivorstand um Weidel und Chrupalla war dagegen. Weidel zufolge gehe die Resolution zwar in die richtige Richtung, sei aber sprachlich »nicht sonderlich gelungen«.

Die Debatte darüber verlief hitzig. Am Sonntagnachmittag brachten zahlreiche Änderungs- und Geschäftsordnungsanträge den Sitzungsleiter Krzysztof Walczak an seine Grenzen. Immer wieder versuchte er, die Wogen zu glätten und die Debattenbeiträge zu sortieren. Mehrfach musste er um Ruhe im Saal bitten. Um 15.25 Uhr konnte der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk nicht mehr an sich halten und rief einen Geschäftsordnungsantrag erregt in das Saalmikrophon: »Ich beantrage ein Ende dieses Parteitages. Das ist unwürdig und wir demontieren uns gerade.« Der Antrag verfehlte mit 48 Prozent nur knapp eine Mehrheit und die scharfen Auseinandersetzungen gingen weiter.

Chrupalla versammelte über eine Stunde später eine Reihe von Landesvorsitzenden auf der Bühne hinter sich und warb dafür, dass auf diesem Parteitag wegen der sichtbaren Diskrepanzen nicht über die Europa-Resolution abgestimmt werden solle. Mit 56,5 Prozent der Stimmen wurde die Befassung mit der Resolution dann an den neuen Bundesvorstand überwiesen. Eine Viertelstunde später wurde der Parteitag mit dem Singen der Nationalhymne vorzeitig beendet, obwohl noch einige Anträge auf dem Plan standen. Man wollte das peinliche Schauspiel vor der Presse wohl nicht weiter in die Länge ziehen.

Björn Höcke geht als klarer Sieger aus dem Parteitag hervor. Obwohl die westdeutschen Landesverbände insgesamt mehr Mitglieder haben, gelingt es den völkischen Kräften, die vor allem die östlichen Landesverbände dominieren, an den entscheidenden Stellen immer wieder, Geschlossenheit zu demonstrieren und damit die ihre Po­sitionen durchzusetzen. Wie bei vorangegangenen Parteitagen führen die Richtungsstreitigkeiten in der AfD weiterhin nur in eine Richtung: immer weiter nach rechts.