In Thüringen gab es Razzien gegen Neonazis, die mit Drogen handeln sollen

Schlag gegen die Nazi-Mafia

Vergangene Woche gab es eine Razzia gegen die thüringische »Bruderschaft Turonen«. Die Nazi-Kameradschaft soll in großem Stil Drogen verkauft haben.

Die Aufzählung der Vermögenswerte ist so lang wie unspektakulär. Neben Mobiltelefonen und Kryptohandys beschlagnahmte die Polizei nach eigenen Angaben eine größere Menge Bargeld, einen hochwertigen PKW, eine Harley-Davidson, zwei hochwertige Uhren, einige Computer, diverse Speichermedien, Sportbekleidung und Sportgeräte sowie eine kleine Menge Betäubungsmittel. Darüber hinaus wurden zwei Schreckschusswaffen und eine »vermutlich beschussfähige Handfeuerwaffe mit Munition« aufgefunden. Als Beifang konnten die Fahnder eine kleinere Menge Anabolika, einige gefälschte Impfausweise und einen alten US-amerikanischen Streifenwagen beschlagnahmen.

Mehrere Hundert Beamte von Polizei, Zoll und Landeskriminalamt durchsuchten Donnerstag voriger Woche 26 Wohn- und Geschäftsräumen vor allem in Thüringen, aber auch Schleswig-Holstein und Berlin. Sie beschlagnahmten Vermögenswerte in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro. Insgesamt sieben Personen wurden festgenommen, dar­unter mehrere Mitglieder der »Bruderschaft Turonen« und der »Garde 20«, die zusammen auch als »Bruderschaft Thüringen« bekannt sind. Trotz der auf den ersten Blick eher mageren Ausbeute bezeichnete der thüringische Innenminister Georg Maier (SPD) die Razzia als »Wirkungstreffer« gegen die rechte Szene.

Die Abgeordnete Katharina König-Preuss verweist darauf, dass »Personen aus dem Turonen-Netzwerk schon vor zehn Jahren mit Drogendelikten aufgefallen« seien.

Die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linkspartei) bestätigt der Jungle World: »Die Razzia ist tatsächlich ein wichtiger und richtiger Schritt gegen Teile der Thüringer Neonazi-Szene, die sich in und um das militante Turonen-Netzwerk gruppieren.« Eine Vertreterin von Dissens/Antifa Erfurt sagte der Jungle World, dass mit der derzeitigen juristischen Strafverfolgung zumindest »zeitweise den Finanzströmen von Teilen der hiesigen Neonazi-Strukturen ein Schlag versetzt wurde«.

Es handelte sich nicht um den ersten Versuch der Justiz, das kriminelle Netzwerk der thüringischen Neonazis zu zerschlagen. Im vergangenen Jahr erhob die Staatsanwaltschaft Gera, die für organisierte Kriminalität zuständig ist, Anklage gegen neun Beschuldigte aus Thüringen wegen bandenmäßigen Drogenhandels, schwerer Zwangsprostitution, Geldwäsche und der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Ermittler gingen damals davon aus, dass die Beschuldigten die rechtsextremen Strukturen der Turonen genutzt hätten, um diese Taten zu begehen.

Die Verquickung von bandenmäßiger Kriminalität und der regionalen Neonazi-Szene ist in den östlichen Bundesländern kein neues Phänomen. König-Preuss verweist darauf, dass »Personen aus dem Turonen-Netzwerk schon vor zehn Jahren mit Drogendelikten aufgefallen« seien. Die Versuche der Turonen, in der Region die Drogengeschäft zu übernehmen, sind dem Antifaschistischen Infoblatt (AIB) zufolge sogar so weit fortgeschritten, dass sie die zuvor bestehende Dealer-Netzwerke in der Region verdrängt haben.

»Die Aktivitäten der Turonen liegen unter anderem in der Begehung von Straftaten, auch mit Gewinnerzielungsabsicht, oder in der Organisation von Neonazi-Konzerten«, sagt König-Preuss. Die etwa 30 Personen umfassende Kameradschaft nutzt ihre engen Verbindungen zur Neonazi-Szene in europäischen Nachbarländern, insbesondere in Österreich und der Schweiz, für ihre kriminellen wie auch ideologischen Machenschaften. »Mit ihrem Mix aus Drogenhandel und Rotlichtgeschäften haben die Turonen das Geschäftsmodell der oberösterreichischen Gruppierung ›Objekt 21‹ übernommen und ausgebaut«, konstatiert das AIB.

In Thüringen existieren König-Preuss zufolge regional unterschiedliche Verbindungen zwischen dem Rotlichtmilieu und der extrem rechten Szene. Vor 20 Jahren waren im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt Neonazis am Betrieb eines Bordells beteiligt und sind heute noch in diesem Milieu tätig. Gut 70 000 Mark, die bei einem Überfall eines Geldtransporters erbeutet wurden, sollen in das Bordell geflossen sein. Daran beteiligt waren auch Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes (THS), der einstigen Dachorganisation Thüringer Neonazis.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera im vergangenen Jahr zeigten auf, wie eng die Verbindungen zwischen der lokalen Neonazi-Szene und dem Rotlichtmillieu noch sind. Im Februar 2021 wurden im Zuge eines Überfalls in Ballstädt mehrere Verdächtige aus der Turonen-Szene rund um Thomas W. festgenommen, ihnen wird neben dem Drogenhandel in großem Stil auch der Betrieb eines Bordells zur Last gelegt. Bei den Durchsuchungen beschlagnahmten die Fahnder damals ein Kilogramm Crystal Meth und Kokain, 130 000 Euro in bar, mehrere Langwaffen sowie Immobilien und Sachwerte im Umfang von 350 000 Euro. Anders als vergangene Woche hatten die Neonazis damals wohl nicht mit einer Razzia gerechnet.

Die Behörden verzeichneten in den vergangenen drei Jahren 32 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Turonen, unter anderem wegen Körperverletzung und Betrugs. Das ging aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der thüringischen Linkspartei im Landtag von Anfang Mai hervor. Kritiker bemängeln vor allem die schleppende juristische Aufarbeitung der Straftaten. »Unbefriedigend« findet König-Preuss, »dass angesichts der von Neonazis erzeugten Atmosphäre der Angst zwischen gewalttätigen Übergriffen auf alternative Jugendliche und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, und einem konsequenten Durchgreifen oft Jahre vergehen.« Die Antifa aus Erfurt verweist darauf, dass »zahlreiche Mitglieder der Gruppierung Erfahrungen mit staatlicher Repression und Razzien« hätten. Dass trotz der Durchsuchungen im vergangenen Jahr erneut Waffen gefunden wurden, bestätigt ihre Annahme, dass die Neonazis trotz Repression weitermachen wie zuvor.

Die »Bruderschaft Turonen« be­zieht einen Teil ihrer Anziehungskraft aus den Mythen des Rockermillieus. Neben den obligatorischen Kutten und den verwendeten Zahlencodes gehört dazu ein enger Zusammenhalt. Die Kameradschaft hat offenbar auch Verbindungen ins NSU-Milieu. Steffen R., der Mitglied bei den Turonen sein soll, war dem AIB zufolge maßgeblich für eine Solidaritätskampagne für den verurteilten NSU-Helfer Ralf Wohlleben verantwortlich.