Russland hat die Gaslieferungen an Deutschland stark reduziert

Putin drückt aufs Gas

Russland hat die Gaslieferungen an Deutschland gedrosselt. Im Winter könnte es zu erheblichen Versorgungsengpässen kommen. Die Bundesregierung versucht deshalb, den hiesigen Verbrauch zu senken.

Seit die russischen Gaslieferungen nach Deutschland angeblich wegen Wartungsarbeiten erheblich verringert wurden, ist die Sorgen groß, dass bald ein vollständiger Lieferstopp erfolgen könnte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte vergangene Woche bereits die Alarmstufe, die zweite von drei Stufen des Notfallplans Gas, ausgerufen. Das Befüllen der Speicher habe jetzt »oberste Priorität«, sagte er. Es komme auf »jede Kilowattstunde« an. Deutschland müsse seinen Gasverbrauch senken, um nicht länger von Russland erpressbar zu sein.

Sollten die russischen Lieferungen ganz ausfallen, drohen erhebliche Versorgungsschwierigkeiten. Um einigermaßen unbeschadet durch den Winter zu kommen, sollen die Speicher bis November durchschnittlich zu 90 Prozent gefüllt sein. Derzeit beträgt der Füllstand gerade einmal 60 Prozent. Der mit etwa 20 Prozent der Gesamtkapazität größte Gasspeicher Deutschlands in Rehden war Anfang des Jahres so gut wie leer. Er gehört einer Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom, inzwischen ist er in staatlicher Treuhandverwaltung.

In spätestens zwei Jahren wollte die Bundesregierung ganz auf russische Importe verzichten. Russland scheint dieses Vorhaben nun beschleunigen zu wollen.

Zwar konnte die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen in den vergangenen Monaten reduziert werden, doch eine vollständige Kompensation teilweise oder ganz ausbleibender russischer Lieferungen innerhalb weniger Monate ist nur schwer möglich. Um den benötigten Vorrat anzulegen, während gleichzeitig immer weniger Gas geliefert wird, muss bereits jetzt der Verbrauch gedrosselt werden.

Deutschland hatte im vergangenen Jahr rund 50 Prozent des benötigten Erdgases aus Russland bezogen. Vor der jüngsten russischen Lieferdrosselung waren es nur noch 35 Prozent, was vor allem auf zusätzliche Lieferungen von Flüssiggas aus den USA zurückzuführen ist. In spätestens zwei Jahren wollte die Bundesregierung ganz auf russische Importe verzichten. Russland scheint dieses Vorhaben nun beschleunigen zu wollen.

Privathaushalte sind in Deutschland für rund ein Drittel des Erdgasverbrauchs verantwortlich. Sie könnten den Mangel bald zu spüren bekommen. Bislang beschränkt sich die Bundesregierung auf Appelle und verbreitet Spartipps für private Verbraucher. Weiterreichende Maßnahmen sind aber nicht ausgeschlossen.

Der Verband der Wohnungsunternehmen und die Bundesnetzagentur forderten bereits, die bei Mietwohnungen vom Eigentümer zu gewährleistende Mindesttemperatur von mindestens 20 Grad Celsius tagsüber auf 18 Grad herabzusetzen. Reduzierten die Bewohner der EU-Staaten die durchschnittliche Temperatur in ihren Wohnungen nur um ein Grad Celsius, hätte das jährliche Energieeinsparungen von etwa zehn Milliarden Kubikmetern Erdgas zur Folge, wie die Internationale Energieagentur Im März vorrechnete.

Die Ökonomin Veronika Grimm fordert zudem, für private Haushalte Prämien auszuschreiben, wenn sie ihren Gasverbrauch reduzieren. Robert Habeck scheint dagegen eher auf ­Opferbereitschaft zu hoffen. Als er im ZDF nach einer Sparprämie gefragt wurde, antwortete er: »Wenn jemand sagt: ›Ich helfe nur, wenn ich nochmal 50 Euro kriege‹, dann würde ich sagen: ›Die kriegst du nicht, Alter.‹«

Sparen soll aber auch die Industrie. Um größere Verbrauchsreduktionen zu erreichen, hat die Bundesregierung ein Auktionsmodell angekündigt. Dabei sollen Industriebetriebe eine Vergütung erhalten, wenn sie ihren Gasverbrauch senken und dadurch auf Gasmengen verzichten, die sie sich vertraglich bereits gesichert haben. Zusätzlich sollen Kohlekraftwerke wieder hochgefahren werden, um bei der Stromproduktion Erdgas zu ersetzen. »Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken«, sagte Habeck kürzlich. Dennoch wird weiterhin Erdgas für die die Stromproduktion gebraucht, auch wenn vergangenes Jahr nur zwölf Prozent des Gasverbrauchs auf die Stromproduktion entfielen.

Gespart werden könnte nicht nur beim Gas-, sondern auch beim Ölverbrauch. Über das von der FDP so vehement bekämpfte Tempolimit wird mittlerweile wieder diskutiert. So fordert Greenpeace, die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen endlich einzuführen. Einer Studie der ­Organisation zufolge könnten damit rund zwei Prozent der Ölimporte eingespart werden. Auch Sonntagsfahrverbote, wie es sie bei der Ölkrise 1973 ­gegeben hat, sind wieder im Gespräch, wie auch das Verbot von Inlandsflügen. Peter Kasten, Verkehrsexperte beim Öko-Institut, verlangt außerdem, den öffentlichen Nahverkehr und die Bahn attraktiver zu gestalten. »Sinnvoll wäre auch die flächendeckende Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets«, zitierte ihn das Handelsblatt.

Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die »Vielzahl von Energiesparmaßnahmen« für einen substantiellen Beitrag dazu, die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu verringern. Durch Energiesparen könnte der Ölverbrauch um bis zu 15 Prozent gesenkt werden, sagte sie dem Handelsblatt. Das entspreche in der Summe etwa der Hälfte des Öls, das Deutschland aus Russland importiere. Andere Wirtschaftswissenschaftler sehen solche Vorschläge eher skeptisch, zum Beispiel Hubertus Bardt vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW): Er wisse nicht, »ob der Gesamteffekt wirklich spürbar ist«.

Einen ganz anderen Vorschlag hat indes der Präsident des Münchner Ifo-­Instituts, Clemens Fuest, vorgebracht, der auch von Lars Feld, dem Wirtschaftsberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), unterstützt wird. Demnach soll die Laufzeit der drei noch arbeitenden Atomkraftwerke verlängert werden. »Auf Atomkraft als Energieträger in der akuten ­Situation zu verzichten, lässt sich den Bürgern kaum vermitteln«, sagte Feld dem Handelsblatt. Der Vorstoß hat jedoch wenig Aussicht auf Erfolg. Selbst die Betreiber der Atomkraftwerke halten eine Laufzeitverlängerung aus technischen und juristischen Gründen für nicht möglich.