Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige hoffen auf Bauernproteste

Warten auf den Bauernaufstand

Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige hoffen, dass die Bauernproteste aus den Niederlanden auf Deutschland übergreifen. Bisher wird hierzulande nur sporadisch demonstriert.

Seit mehreren Wochen protestieren Bauern in den Niederlanden gegen strengere Umweltauflagen. Die niederländische Landwirtschaft muss ihren Stickstoffausstoß reduzieren, um EU-Grenzwerte einhalten zu können – die Bauern befürchten, dass deshalb viele Viehbetriebe werden schließen müssen. Der Protest war militant und zum Teil von rechtsextremen und verschwörungsgläubigen Kräften bestimmt.

Ab Anfang Juli kam es auch in Deutschland zu vereinzelten Protesten, bei denen sich Bauern mit ihren Trak­toren zumeist auf Brücken stellten, die über Autobahnen führen. Die einschlägige Szene zeigte sich begeistert. Das rechte Magazin Compact schrieb schon am 12. Juli: »Bauernproteste erreichen Deutschland«. »Noch standen sie nur auf Autobahnbrücken mit Lichtsignalen und Hupen«, hieß es dort. »Doch schon bald könnte sich der Protest auch hierzulande in Blockaden wichtiger Zufahrtsstraßen, Supermarktlager und Häfen entladen.«

Die »Freien Sachsen« warben bereits Anfang Juli für die Bauernproteste. Man könne sie mit Protesten gegen die »Asylflut 2015, Corona­wahnsinn 2020–22 oder die kommende Energie­krise« verknüpfen.

Doch bislang blieben die Proteste in Deutschland klein und sporadisch. Anthony Lee, der Sprecher einer Gruppe namens »Landwirtschaft verbindet Deutschland«, kündigte allerdings vergangene Woche größere Kundgebungen an. Lee ist schon früher mit ­ultrakonservativen Äußerungen aufge­fallen und war Mitglied bei der Werteunion, einem Verein weit rechtsste­hender CDU-Mitglieder. Der Neuen Osna­­brücker Zeitung sagte er: »Wir werden auf jeden Fall auf die Straße gehen, und der Protest wird sehr laut. Wir wehren uns dagegen, dass man uns abschafft.«

Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands, Hubertus Beringmeier, sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung ebenfalls, dass bald wieder Landwirte auf die Straße gehen würden. Grund sei vor allem die Preispolitik der großen Einzelhandelsketten. Hinzu kommt, dass auch die Bundesregierung derzeit ein Gesetz plant, um die Stickstoffbelastung durch die Landwirtschaft zu reduzieren – wenn auch in deutlich geringerem Umfang als in den Niederlanden, denn in Deutschland spielt die Agrar­industrie wirtschaftlich keine so große Rolle wie im Nachbarland.

Dass Bauern für ihre Interessen demonstrieren, ist ein durchaus bekanntes Phänomen. Mit Blick auf die Proteste in den Niederlanden scheinen aber derzeit rechtsextreme Kräfte zu glauben, solche Proteste kapern zu können. Die »Freien Sachsen« – eine rechtsex­treme Kleinstpartei, die im Zuge der »Querdenken«-Proteste an Bedeutung gewann – hatten bereits Anfang Juli für die Bauernproteste geworben. Man könne diese mit Protesten gegen die »Asylflut 2015, Coronawahnsinn 2020–22 oder die kommende Energiekrise« verknüpfen, hieß es in der Telegram-Gruppe der Partei.

Auch bei der Identitären Bewegung war man offenbar begeistert. Martin Sellner, Anführer der rechtsextremen Gruppe in Österreich, habe Anfang Juli in einer Sprachnachricht auf Telegram eine ähnliche Ansicht wie die »Freien Sachsen« verbreitet, berichtete die Website »Endstation rechts«: Sellner stelle dabei die Bauernproteste in eine Reihe mit dem Kampf gegen Migration, Klimaschutzmaßnahmen und Pandemiemaßnahmen – all dies seien »patriotische« Kämpfe« gegen die »globalistischen Eliten« und den angeblich geplanten »Great Reset« der Weltwirtschaft.

Neben »Landwirtschaft verbindet Deutschland« hatte auch eine weitere Gruppe namens »Land schafft Verbindung« (LsV) zu den Protesten Anfang Juli aufgerufen. LsV war 2019 als Facebook-Gruppe gegründet worden, aus Protest gegen ein angekündigtes sogenanntes Agrarpaket der Bundesregierung (diese Maßnahmen knüpften einen Teil der Subventionen für Bauern an die Einhaltung von Umweltauflagen). 2019 organisierte die Gruppe die bislang größte Bauerndemonstration hierzulande. Mit über 8 000 Treckern protestierten Landwirte in Berlin. Der Verein ist wegen seines rabiaten Auftretens auch unter Landwirten umstritten. ­Sebastian Dickow, früherer Sprecher der bayerischen Sektion von LsV, sei vergangenes Jahr wegen »Schreihälsen und Hetzern« in den eigenen Reihen ausgetreten, berichtete das Nachrichtenportal Nordbayern. Man habe ihn in Chats als »Verräter« beschimpft und als jemanden, der »erschossen gehöre, wenn wir Kriegsrecht hätten«.

Explizit rechtsextrem geht es in der Telegram-Gruppe »Landvolk schafft Bewegung« zu, die etwa 6 000 Abonnenten hat und Cemas, dem Beobachtungszentrum für Rechtsextremismus, zufolge in den vergangenen Wochen an Relevanz gewonnen hat. Der Journalistin Andrea Röpke zufolge ging der Kanal der Gruppe im Sommer 2020 online. Es seien vor allem Posts über Rechtsrock, Äußerungen aus der Verschwörungssekte Qanon und immer wieder Inhalte der Telegram-Gruppe »Arminius Erben«, wo man sich als »wahre Patrioten« versteht, geteilt worden.

In dieser Gruppe wiederum werden Ängste vor einem drohenden »Energie-Lockdown« geschürt und russische Kriegspropaganda verbreitet. Zum Beispiel wurde ein Video des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow geteilt, in dem er von der »Verteidigung des Vaterlandes durch Muslime und Christen gegen Satanismus« sprach.

Mangelnde Distanz zu völkischen ­Bewegungen ist bei Bauernprotesten symptomatisch. Immer wieder wird bei Protesten von Landwirten die Fahne der historischen Landvolk-Bewegung gezeigt, ein weißer Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Hintergrund. Im Juni 2020 formten Bauern in Schleswig-Holstein mit ihren Traktoren ein feldgroßes Landvolk-Symbol. Bei einer großen Demonstration im Januar vorigen Jahres in Berlin sei die Symbolik »omnipräsent« gewesen, schrieb der Tagesspiegel.

Die Landvolk-Bewegung wurde in den zwanziger Jahren in Schleswig-Holstein gegründet. Sie wollte die Interessen der Bauern vertreten, radikalisierte sich bald zu gewaltbereitem Rechtsex­tremismus und beging unter anderem Sprengstoffanschläge. Historiker und Historikerinnen ordnen die Bewegung als völkisch und antisemitisch ein. Man könne sie als Konkurrenz zur NSDAP einordnen, sagt Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Jungle World. »Die ideologischen Gemeinsamkeiten waren sehr stark«, so Tuchel.

Auch mit zeitgenössischen rechten Strömungen zeigt man wenig Berührungsängste. Bei einer Demonstration von LsV Anfang Juli streamte ein Mann namens Jan Häntzschel die Demons­tration und hielt außerdem eine Rede. Häntzschel war Stadtratskandidat der NPD Mittelsachsen gewesen und wurde noch vor drei Jahren auf der Website der Partei als Bundesschulungsleiter der Jungen Nationalisten bezeichnet, dem Jugendverband der NPD. Hagen Stark von LsV in Sachsen bestätigte im Gespräch mit der Jungle World, dass Häntzschel »normales Mitglied« im Landesverband sei. Man habe von Anfang an von der politischen Vergangenheit Häntzschels gewusst, sagte Stark. »Als junger Mensch hat er Fehler gemacht«, so Stark. Dass Häntzschel nun bei LsV aktiv sei, sieht Stark als »Resozialisierung«.

Maike Schulz-Boers, Bundesvorsitzende von LsV, sagte im Gespräch mit der Jungle World, sie sei »zwiegespalten«, was die Landvolk-Fahne angehe. »Das hat nichts mit völkischer Gesinnung zu tun – es ist ein Symbol des Widerstands gegen das NS-Regime«, so Schulz-Boers. »Ich bin kein Freund von Geschichtsverdrehung.«

»Von einer Opposition der Landvolk-Bewegung gegen die NSDAP« könne nicht gesprochen werden, schrieb hingegen der Historiker Alexander Otto-Morris, der ein Buch über die Landvolk-Bewegung veröffentlicht hat. »Besonders das eine Ziel des Landvolks, ein autoritäres System anstelle der Weimarer Republik zu etablieren, erfüllten die Nationalsozialisten einwandfrei.« Johannes Tuchel sagte der Jungle World, Aktionen der Landvolk-Bewegung gegen das NS-Regime seien nicht bekannt: »Die Landvolk-Bewegung kann nach 1933 nicht als Teil des Widerstands gegen den Nationalsozialismus gesehen werden – das wäre eine absurde und abwegige Vorstellung.«