Ungarns Ministerpräsident warnt vor »Rassenmischung«

Ungarische Ethnographie

In einer Rede warnte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán vor einer »gemischtrassigen Welt«.
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Viel Kritik hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner Rede bei der alljährlichen Sommerakademie Tusványos im rumänischen Băile Tușnad, ausgelöst. Einst ein interkulturelles Fest, ist es heute Pilgerort der rechten ungarischen Intelligenzija.

2014 hatte er dort bereits sein Modell der »illiberalen Demokratie« vorgestellt. Oswald Spengler zitierend sprach er am 23. Juli dieses Jahres dort davon, dass westeuropäische Staaten keine Nationen mehr seien, sondern »nichts anderes als Volkskonglomerate«. »Um 2050« werde sich »der finale demographische Wandel« ereignen, wenn sich in den großen Städten »der Anteil der Menschen nichteuropäischer Herkunft auf über 50 Prozent« erhöhe. Ungarn werde von Georg Soros und der EU genötigt, Migranten aufzunehmen, was das »Ende der ungarischen Kultur« bedeute, so die seit 2015 geltende Auffassung der ungarischen Rechten. Auch seinem gewohnt antisemitischen Jargon der judäo-kommunistischen Verschwörung blieb Orbán in seiner Rede treu, schwenkte aber vom bisherigen kulturalistischen zu einem deutlich biologistischen Rassismus um: Die »internationalistische Linke« habe eine List, die »Behauptung (…), dass in Europa schon immer gemischtrassige Völker leben«. Orbán teilte die Welt hingegen ein in eine »gemischtrassige«, in der sich »die europäischen Völker mit den außereuropäischen Ankömmlingen vermischen«, und »uns, wo sich innerhalb Europas lebende Völker miteinander vermischen«. Deshalb, so Orbán, »sind wir im Karpatenbecken keine Mischrasse, wir sind einfach eine Mischung der Völker, die einheimisch in Europa sind«. Diese verschmelzen ihm zufolge »zu einer ›hungaro-pannonischen‹ Sauce, die eine eigenständige europäische Kultur« hervorbringe. »Dafür haben wir immer gekämpft. Miteinander sind wir bereit, uns zu vermischen, aber wir wollen nicht gemischtrassig werden.« Mal sind die Ungarn eine europäische Kulturnation, mal betreibt das Forschungsinstitut für Hungarologie Genforschung an Gebeinen aus dem Karpatenbecken, um die ethnischen Ursprünge der Ungarn in Zentralasien nachzuweisen. Aufgabe dieser von der Regierung und dem Ministerium für Humanressourcen unterstützten Einrichtung ist es, »die Vergangenheit, die Sprache und die Herkunft der Ungarn zu erforschen«. Aufgrund dieser ethnischen Verbindungslinien trat Ungarn 2018 der Organisation der Turkstaaten als Beobachter bei, wo Orbán verlauten ließ: »Die Ungarn sehen sich selbst als späte Nachfahren Attilas des Hunnen, hunnisch-turkischen Ursprungs, und das Ungarische ist ein Verwandter der Turksprachen.« Diese Abstammungsidee entspringt dem wiedererstarkenden Turanismus des 19. Jahrhunderts, der an die Abstammung von einer turanischen Urrasse glaubt und auch unter den faschistischen Pfeilkreuzlern verbreitet war, die eng mit Nazi-Deutschland kooperierten. Operiert wird mit Kategorien wie »Volk« und »Rasse«, wobei dem »ungarischen Volk« eine messianische Rolle für die Zukunft Europas zugeschrieben wird. Dass sich ein »ungarisches Urvolk« auf dem Weg zur Besiedelung des Karpatenbeckens mit diversen außereuropäischen Bevölkerungsgruppen vermischt haben muss, wird nur erwähnt, wenn es gerade ins Konzept passt. Orbáns Tusványos-Rede wurde insbesondere von jüdischen und ­Roma-Organisationen in Ungarn wie auch international scharf verurteilt. Beim Staatsbesuch vergangene Woche in Wien war Orbán daher bemüht, wieder zu beschwichtigen: »Dass ich mich manchmal missverständlich ausdrücke, das kann passieren.« Er lobte die »phantastischen Erfolge im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus« seiner Regierung und sagte, in Ungarn dürfe es »für politische Fragen überhaupt keine Annäherung auf Grundlage von Biologie geben. Was möglich ist, ist die Annäherung auf Grundlage von Kultur.« Der heraufbeschworene Kulturkampf wird also mit einem »Rassismus ohne Rassen« fortgeführt.