Im Film »Nope« schwebt ein Ufo über der kalifornischen Sierra

Unruhige Pferde

Bedrohliches im kalifornischen Himmel: Jordan Peeles »Nope«, in dem die Geschwister OJ und Emerald versuchen, ein über ihrer Ranch kreisendes Ufo zu fotografieren, ist ein Metafilm darüber, dass Afroamerikaner nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera stehen wollen.

Genau genommen beginnt die Geschichte des Kinos mit einem Afroamerikaner auf einem Pferd. Zumindest wenn es nach der Darstellung von Emerald Haywood, gespielt von Keke Palmer, geht. Zu Beginn von Jordan Peeles neuem Film »Nope« fragt sie ein wenig interessiertes Team an ­einem Filmset, ob man denn wisse, dass die allererste Zusammenstellung von einzelnen Fotos zu einem zweisekündigen Film einen schwarzen Mann auf einem Pferd wiedergibt.

Tatsächlich zeigt die berühmte Fotoserie »The Horse in Motion«, die der Fotograf Eadweard Muybridge 1878 in Palo Alto in Kalifornien aufnahm, vermutlich einen schwarzen Reiter auf einem galoppierenden Pferd. Dass die Animation dieser Fotos, auf die sich Emerald bezieht, von Muy­bridge einige Jahre später vorgenommen wurde und nur quasi aus Ver­sehen – das Interesse war zunächst zoologischer Natur – die Grundlagen für das Kino legte, ist da nur eine kleine Ungenauigkeit.

Jordan Peele nimmt es hier mit der Faktentreue nicht so genau. Die Intention aber ist klar: der Geschichte des Kinos gerecht zu werden und den afroamerikanischen Reiter nicht unter den Tisch fallen zu lassen. In »Nope« sind die extrovertierte Emerald und ihr kauziger Bruder Otis Jr. Haywood, kurz OJ genannt und grandios gespielt von Daniel Kaluuya, direkte Nachfahren des Reiters, dessen Identität bis heute nicht geklärt ist. Sie betreiben im kargen und bergigen Hinterland Kaliforniens eine Ranch, auf der sie Pferde für Filmproduktionen ausbilden.
Auf der Ranch häufen sich seit ­einiger Zeit seltsame bis furchterregende Ereignisse. Die Stromspannung schwankt immer wieder, das Licht geht aus und an. Pferde suchen völlig aufgeschreckt das Weite. Und vor sechs Monaten wurde der Vater der Haywood-Geschwister von einer Münze getötet, die neben anderem Kleinzeug wie Schlüsseln wortwörtlich vom Himmel fiel und durch das Auge des Getroffenen in den Kopf eindrang.

Wie bereits bei seinen ersten beiden Filmen »Get Out« (2017) und »Us« (2019), die den modernen Horrorfilm neu definierten, zeigt sich ­Jordan Peele als Meister darin, das Publikum in den Bann seiner alptraumhaften Geschichten zu ziehen, die immer auch den Schrecken der US-amerikanischen Gesellschaft ­offenlegen. Während er in »Get Out« den Rassismus in den USA in einem so absurd-komischen wie erschreckenden Horrorfilm thematisierte, ist »Us« eine ebenso skurrile wie verstörend gruselige Parabel über die Schattenseite des American dream. Auf der einen Seite die Reichen, Mächtigen und Saturierten, auf der anderen die Verarmten, Abgehängten und Ausgebeuteten.
Peeles Filme verschreiben sich bei aller Gesellschaftskritik aber immer auch den großen Gesten des Popcornkinos. In »Nope« geht er in dieser Hinsicht einen Schritt weiter und macht die Gier nach dem Spektakel zum Thema seines Films. In einem Interview mit dem britischen Filmmagazin Empire sagte er: »Als ich anfing, das Drehbuch zu schreiben, begann ich, mich mit der Natur des Spektakels, unserer Sucht nach Spektakeln und der heimtückischen Natur der Aufmerksamkeit zu beschäftigen. Das ist es, worum es geht.«

Entgegen herrschenden Konventionen zeigt Peele das übermächtige Böse, das sich recht schnell als Ufo entpuppt, klar und deutlich. Er verzichtet auf visuelle Täuschungsmanöver, die den Schrecken nur schemenhaft andeuten.

Nicht nur der Film ist ein gigantomanisches Spektakel, sondern auch das unidentifizierte Flugobjekt, das sich über der Haywood Ranch am Himmel zeigt. OJ und Emerald wollen es unbedingt fotografisch festhalten. Was das Ding genau ist und woher es kommt, spielt keine Rolle. Ihnen geht es um den Beweis seiner Existenz. Hätten sie erst mal ein Foto oder Video davon, würde das große Geld auf sie warten. Geld, das die in ­finanzielle Schwierigkeiten geratene Ranch auch dringend benötigt. Der »Money Shot« oder auch »Oprah Shot«, wie Emerald das Vorhaben in Anspielung auf »The Oprah Winfrey Show«, die mit Abstand erfolgreichste Talkshow der USA, bezeichnet, würde ihnen zugleich einen Platz ganz vorne in der Rangliste der nationalen Medienattraktionen sichern.

Emerald und OJ besorgen sich Hightech-Überwachungskameras, um das Unfassbare zu fassen. Unterstützung bekommen sie von dem etwas unbeholfenen Installateur Angel (Brandon Perea), der in einem nahegelegenen Elektrofachmarkt arbeitet. Doch ihre Versuche scheitern, da sämtliche elektronischen Geräte den Geist aufgeben, sobald sich die Erscheinung am Himmel bemerkbar macht.

Spektakulär ist »Nope« auch visuell. Die Bildgestaltung übernahm der niederländisch-schwedische Kameramann Hoyte van Hoytema, der vor allem für die epischen Bilderwelten in Christopher Nolans »Interstellar« und »Dunkirk« bekannt ist. Für »Nope« drehte er auf Imax-Kameras im bildgewaltigen 70mm-Format. Und das sieht man dem Film in jeder Einstellung an. Die Bilder fangen auf beeindruckende Weise die Weite der kalifornischen Sierra ein, in der sich die Ranch in einem Tal, umgeben von einem breiten Bergmassiv, befindet. Gedreht wurde in Agua Dulce, einem Gebiet nordwestlich von Los Angeles.

Entgegen herrschenden Konventionen des Horrorfilms zeigt Peele das übermächtige Böse, das sich recht schnell als ein Ufo entpuppt, klar und deutlich. Er verzichtet auf visuelle Täuschungsmanöver, die den Schrecken nur schemenhaft an­deuten.

Von der Erscheinung am Himmel wissen nicht nur die Haywoods. ­Ricky »Jupe« Park (Steven Yeun) betreibt unweit der Ranch einen Western-Freizeitpark, wo er aus dem Ufo bereits Geld zu schlagen weiß. In ­einer Show opfert er Pferde, um die fliegende Untertasse anzulocken. Auch Jupe hat den Drang zum Spektakel und das Kapitalisieren von Leid und Trauma, auch seinem eigenen, perfekt verinnerlicht. In den Neunzigern war er ein Kinderstar in einer Sitcom, in deren Zentrum ein Schimpanse stand. Während des Drehs einer Folge, die in einem der verstörendsten Momente in »Nope« gezeigt wird, musste er mit ansehen, wie der Affe in einem Amoklauf die anderen Schauspieler zerfleischte. In seinem Freizeitpark bietet Jupe interessierten Gästen gegen viel Geld eine Führung durch ein kleines Museum an, in dem Originalgegenstände aus der Serie zu bestaunen sind.

»Nope« ist ein Bündel aus Anspielungen und Querverweisen. Peele verneigt sich ebenso vor Steven Spielbergs Horrorklassiker »Jaws« (»Der weiße Hai«) wie vor dessen Science-Fiction-Erfolg »Close Encounters of the Third Kind«. Horror, Western, Science-Fiction und Buddy-Komödie vermengen sich, und Peele geizt auch nicht mit Verweisen auf die Popkultur. Als sich beispielsweise das Ufo erneut ankündigt und sämtliche elek­tronischen Geräte versagen lässt, verwandelt sich Corey Harts New-Wave-Hit »Sunglasses at Night« vom musikalischen Antidepressivum zum verzerrt-wummernden Wiederhall der Katastrophe. Peele und sein Komponist Michael Abels wissen, wie sie in nur wenigen Sekunden ein Gefühl des Unbehagens erzeugen können.

Während der Vorfahr der Haywoods auf dem Pferd noch dem Blick der Kamera ausgesetzt war, schlagen OJ und Emerald die entgegengesetzte Richtung ein. Sie wollen, so könnte man letztlich den Film auch betrachten, die Kontrolle über den filmischen Blick und die Kamera erlangen. Gegen Ende des Films, so viel sei verraten, richtet sich eine Analog­kamera wie ein Maschinengewehr auf das Ufo und schießt seine Einzelbilder, bis das Filmmagazin neu geladen werden muss. Das Wort »Nope«, das im Laufe des Films mehrmals wiederholt wird, ist die Weigerung, sich dem Blick des Ufos auszuliefern. Zugleich beharren die Subjekte dieser Weigerung darauf, ihren Blick zu richten, wohin sie es wollen. Sie blicken aus einer afroamerikanischen Perspektive, die Jordan Peele mit seinen Filmen nach und nach dem US-amerikanischen Bilderkosmos einschreibt.

Nope (USA 2022). Buch und Regie: Jordan Peele. Darsteller: Daniel Kaluuya, Keke ­Palmer, Steven Yeun, Brandon Perea. ­Kinostart: 11. August