Vorglühen
WEDEL IM FRÜHSOMMER 2000
Prolog
Der Regen fällt, dachte Albert. Er fällt in den Fluss, und der Fluss fließt ins Meer, und dort verdunsten die Regentropfen, und dann halten sie sich eine Weile in Wolken auf, und die Wolken kehren wieder zurück, und dann regnet es wieder, ein lachhafter Kreislauf.
Schulauer Fährhaus, 12:30 Uhr, Regen. Rentner in Rentnerjacken zeigten mit Rentnerwissen auf die Elbe. Dabei rammten sie Kuchengabeln in Sahnetorten, alles mit dem ureigenen Rentnerernst. Erstaunlich, dachte Albert, sehr erstaunlich. So wie die Tatsache, dass er hier und heute in der Schiffsbegrüßungsanlage allein Dienst tat, er, die Landratte, die noch nicht einmal einen Palstek knüpfen konnte. Sein Nachbar Hans-Uwe hatte tatsächlich ein Kapitänsdiplom, außerdem ein Alkoholproblem. Albert hatte Hans-Uwe regelmäßig auf Schicht besucht; die Hymnen der Länder, unter denen die einfahrenden Schiffe fuhren, hatten ihn schon immer interessiert. Die vollkommen überflüssigen Fakten zu Bruttoregistertonnen, Ziel und Herkunft und so weiter hatten ihn immer beruhigt. Hans-Uwe hatte ihm in seiner angesoffenen stoischen Art stets jeden seiner Arbeitsschritte genau erklärt, und eines Tages stand Hans-Uwe vor Alberts Tür, wie immer in Kapitänsjacke, hatte auf seinen Seesack gezeigt und nur gesagt: Albert, ich muss ’ne Weile weg. Übernimm mal am Willkomm-Höft. Erstaunlicherweise hatte sich nie einer der übrigen Begrüßungskapitäne oder irgendwer von der Belegschaft des angeschlossenen Cafés darüber gewundert, dass Albert Hans-Uwes Schichten nun allein machte.
»Die SANTA CATALINA aus Tampico, Mexiko, Baujahr 1971, 27 407 Bruttoregistertonnen!«
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