Im Film »Museum of the Revolution« geht es um obdachlose Frauen in Belgrad

Am Rand der Räume

Der Dokumentarfilm »Museum of the Revolution« von Srđan Keča begleitet drei verarmte Frauen, die in der Ruine des einst geplanten Revolutionsmuseums in Belgrad leben – und erzählt nebenbei über die postjugoslawische Transformation der Stadt.

Das zeltförmige, skulpturale Dach sollte an der Spitze 50 Meter in den Himmel ragen. Darunter der mehrstöckige Ausstellungsraum, ummantelt von Spannbeton, der die »Wahrheit über die Bevölkerung Jugoslawiens« bewahrt. Jedoch sollten hier nicht bloß Errungenschaften musealisiert und damit zur Neutralisierung verdammt werden, stattdessen war der größte Raum für das Theater vorgesehen, in dem Menschen zusammenfinden und diskutieren sollten.

Doch das 1961 von Vjenceslav Richter entworfene Museum of the Revolution, welches als Wahrzeichen für das Städtebauprojekt Novi Belgrad fungieren sollte, wurde nie errichtet. Die Realisierung des ambiti­onierten modernistischen Entwurfs wurde jahrzehntelang verschoben und der einzig vollendete Teil des Gebäudes bleibt bis zum heutigen Tag das Kellergeschoss.

Das Interesse für Stadtentwicklung, das Nachdenken über die Erinnerungskultur Serbiens und der aktivistische Impuls, extrem arme Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, kommen in »Museum of the Revolution« zusammen.

Der Filmemacher Srđan Keča taucht zu Beginn seines ersten Langfilms »Museum of the Revolution« hinab in diese düstere Ruine. Zuvor sieht man jedoch orange eingefärbtes Archivmaterial, auf dem die jugosla­wischen Arbeitsbrigaden zu sehen sind, wie sie die ersten Gebäude auf dem sumpfigen Boden von Novi Belgrad errichten. Dann folgt ein harter Schnitt in die Gegenwart. Jemand stapft durch den pappigen Schnee und schleppt Feuerholz. Streunende Hunde bellen auf dem Fundament des Museums, wo heute lediglich eine Handvoll verrosteter Stahlstangenbündel aus der Erde ragen und das gleißende Sonnenlicht durch eine rechteckige Öffnung auf den ­Boden des höhlenhaften Kellers gelangt. In einem verlassenen Winkel wird nun das Holz verbrannt und im limitierten Lichtkreis einer Kerze bringt Mara, auf deren Falten das orangene Licht flackernd ausleuchtet, der kleinen Milica das Stricken bei.

 

Museum of The Revolution
Milica und ihre Mutter Vera

 

Der Film verwandelt sich dann in ein intimes Porträt von Mara, Milica und ihrer Mutter Vera. Ihre Geschichten führen hinaus aus dem dunklen Gewölbe und hinein in die hektischen Straßen des heutigen Novi Belgrad. Vera und Milica reinigen die Windschutzscheiben der Autos, die an den Ampeln der Kreuzungen gedrängt stehen – der einzige Kontakt mit der Glasfassadenwelt des Viertels. Ihre Orte sind dagegen ein abgelegener Teich, wo die Haare gewaschen werden, trockene Wiesen, die als provisorische Schlafplätze dienen, und ein brachliegendes Gelände an der Save, das sie zum Spazieren nutzen. Einen erheblichen Teil des Geldes, das sie durch die Fenster ­zugesteckt bekommen, schickt Vera an Milicas Vater, der im Gefängnis sitzt, und wenn die verbliebenen Scheine nicht mehr für das Nötigste reichen, müssen sie sich woanders Geld leihen. Sobald Vera die Last aus bitterer Armut und Mutterdasein zu zermürben droht, wird sie immer wieder von Milicas erleichternder Unbekümmertheit und von der treuen, unterstützenden Freundschaft zu Mara aufgeheitert.

Der Film oszilliert über seine Dauer zwischen dem intimen Porträt dieser drei Frauen aus drei Generationen und essayistischen Exkursen, die diesen einst mit utopischem Eifer erdachten Ort ergründen. Immer wieder gleitet der Film dabei in eine entrückte Stille, spielt mit dem Sound, beispielsweise dann, wenn ein klassisches Konzert unter freiem Himmel ganz in der Nähe der Museumsruine stattfindet. Man sieht das applaudierende Publikum, doch der Klang der klatschenden Hände schwillt sukzessiv ab und der nuanciert sphärische Score von Hrvoje Nikšić setzt ein. Diese akustische Distanz unterstreicht die zwischen ­derartigen Kulturveranstaltungen und der davon abgetrennten Welt der drei Frauen.

Voneinander isolierten Sphären wie diesen, die keine Berührungspunkte zulassen, spürte Keča bereits in seinem Film »Mirage« (2011) nach, in welchem er die gegensätzlichen Lebensrealitäten in Dubai ins Verhältnis setzte. Die Briefe an die Familie eines Arbeiters, der auf den Baustellen der Stadt ausgebeutet wird und bis zur kompletten Erschöpfung schuftet, kontrastiert er darin mit Interviews der Bewohner dieser Gebäude, die in Pools und auf Golfplätzen die Zeit totschlagen, und ergänzt beide durch extensive Kamerafahrten, die Stadt und Wüste durchkämmen.

In »Escape« (2013) begleitete Keča drei Roma-Frauen bei ihren verschiedenen Befreiungskämpfen gegen die beengenden Verhältnisse der Community, und im zutiefst persönlichen Film »A Letter to Dad« (2011) befragte er seinen plötzlich verstorbenen Vater sowie hinterbliebene Wegbegleiter nach dessen militärischer Vergangenheit und der Rolle seines Vaters im Krieg.

 

Museum of The Revolution
In Belgrad nimmt die Obdachlosigkeit vor allem bei Roma stark zu

 

Das Interesse für Stadtentwicklung, das Nachdenken über die Erinnerungskultur Serbiens und der aktivistische Impuls, extrem arme Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, kommen in »Museum of the Revo­lution« zusammen. Ein in den Filmen von Srđan Keča wiederkehrendes Thema sind die vom politischen System torpedierten Lebensentwürfe seiner Protagonistinnen und Protagonisten, und auch das ­Leben von Vera und Milica wird von prekären informellen Arbeitsverhältnissen, konstanter Unsicherheit und dem Fehlen sozialer Auffang­systeme ­bestimmt.

Sowohl die Armut als auch die Ortlosigkeit der Roma-Familie und die alleinerziehende, sich aufopfernde Mutter sind zwar geläufige Topoi im postjugoslawischen Kino, dennoch erschöpft sich »Museum of the Revolution« nicht in tradierten Bildern. Durch überlegte Auslassungen und reduzierte Szenen eröffnet er einen gleichsam intimen wie skizzen­haften Einblick in das Leben der drei Frauen, ohne ihre Lebenswege aus­zuschlachten.

Auch in den kontemplativen Passagen, die das Untergeschoss des ­Museums erkunden, vermeidet Kečas Kamera abgegriffene Bilder. Die Ruinen architektonischer Großprojekte als Emblem verschütteter Träume zu begreifen, kann schnell in klischierten ruin porn driften, der die Repräsen­tation architektonischer Überreste in postjugoslawischen Regionen bis heute plagt. Dem Regisseur gelingt es jedoch, auch dieses Klischee zu umgehen, indem seine behutsamen Einstellungen über kontrastreiche Bilder abgewetzter Wände und zugeschütteter Paläste hinausgehen und er das Kellergeschoss gleichsam als Echokammer der Geschichte und konkreten Rückzugsraum behandelt.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Vjenceslav Richter das Museum plante, entwarf er sein visionäres Konzept des Synthurbanismus – eine Idee, in der Wohnen, Arbeit und Freizeit von ihm innerhalb einer pyramidalen Baustruktur zusammengedacht wurden. Eine Form der sozialistischen Stadtplanung, die verschiedene Sphären miteinander verbindet und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zur Priorität macht. Keča zeichnet nun das Bild einer Stadt, die sich meilenweit von dieser Utopie entfernt hat und stattdessen neoliberalen Transformationsprozessen unterliegt.

Die von Le Corbusier entworfenen Sozialbausiedlungen in Novi Belgrad sind längst privatisiert, das mutmaßlich auf ihn zurückgehende Urteil »Belgrad ist die hässlichste Stadt der Welt am schönsten Ort der Welt« dient mittlerweile als Travel-Blog-Floskel, und das Megaprojekt »Belgrade Waterfront« pflastert mit ­Investorengeldern aus Abu Dhabi die Stadt mit Luxusapartments zu. Die Pro­tagonistinnen des Films sind an den Rand der urbanen Räume gedrängt und die einzige utopische Kraft, die noch in der Ruine des Museums waltet, ist der unbedingte Zusammenhalt der drei Frauen.

Museum of the Revolution (RS/HR/CZ 2021). Regie: Srđan Keča. Filmstart: 1. September