Vor allem aus ländlichen Gebieten emigrieren Letten aus ökonomischen Gründen

Das andere Lettland

Seit der Unabhängigkeit Lettlands ist die Bevölkerung des Landes um über ein Drittel geschrumpft. Die Hauptstadt Riga ist wohlhabender geworden, doch vor allem ländliche Gebiete sind von wirtschaftlicher Stagnation und Entvölkerung geprägt.

Im Jahr 2022 könnte die Bevölkerungszahl Lettlands erstmals seit der Unabhängigkeit nicht sinken. Der Grund dafür sind die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, von denen die Regierung bis Mitte August über 36 000 im Land ­registriert hat. Noch im vergangenen Jahr war die Bevölkerung um 17 500 Personen zurückgegangen, gab das Zen­­trale Amt für Statistik bekannt. Somit lebten in Lettland 1 876 000 Menschen – fast 800 000 weniger als Anfang der neunziger Jahre.

Der Rückgang im vergangenen Jahr war zu einem großen Teil auf eine niedrige Geburtenrate und die Covid-19-Pandemie zurückzuführen. Doch zuvor hatte der rapide Bevölkerungsschwund Lettlands vor allem einen ­anderen Grund: Abwanderung, seit den neunziger Jahren vor allem nach Russland oder in andere Länder der ehemaligen Sowjetunion, nach dem EU-Betritt 2004 aber primär nach Westeuropa, zunächst vor allem nach Irland, Großbritannien und Schweden, in jüngerer Vergangenheit nach Deutschland. Allein seit der Jahrtausendwende ist die Bevölkerung Lettlands um ein Fünftel geschrumpft.

In der Hauptstadt Riga, die auch das wirtschaftliche Zentrum des Landes ist, leben heute mit reichlich 600 000 Einwohnern fast ein Drittel weniger Menschen als Anfang der Neunziger. Um die Folgen der Abwanderung in ­aller Drastik zu sehen, muss man jedoch in das weniger wohlhabende Hinterland fahren, beispielsweise in die Region Latgale im Osten Lettlands. Die Stadt Daugavpils war in der Sowjetzeit ein industrielles Zentrum, doch die meisten der ­Fabriken existieren nicht mehr, auch zahlreiche Wohnhäuser stehen leer.

Anders als in Griechenland gab es in Lettland nach der Weltwirtschafts­krise ab 2007 keine Protestbewegung gegen die herrschende Politik.

Noch kein Abonnement?

Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::