Small Talk mit Leo Maurer über die Initiative Neun-Euro-Fonds

»Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein«

In der vergangenen Woche lief das Neun-Euro-Ticket aus. Eine angekündigte Nachfolgeregelung wurde bislang nicht konkretisiert, dürfte aber deutlich teurer werden. Die »Jungle World« sprach mit Leo Maurer von der Initiative Neun-Euro-Fonds, die die Idee des Neun-Euro-Tickets als zivilgesellschaftliches Projekt weiterführen will.
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Wie kam es zu der Idee des Neun-Euro-Fonds?

Das Neun-Euro-Ticket war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu sozial gerechter und klimafreundlicher Mobilität. Da die Bundesregierung es nicht geschafft hat, das Ticket zu verlängern, haben wir uns entschiedenen, einen solidarischen Fonds zu gründen.

Wie genau funktioniert Ihr Fonds? Wie zahlt man ein und wer kontrolliert, wer gezahlt hat? Gibt es eine Wartezeit oder ist man sofort voll abgesichert?

Die Idee ist ganz einfach: Mitglieder zahlen neun Euro pro Monat in den Fonds ein. Sobald das Geld auf dem Treuhandkonto ist, gilt unsere Ticket-Versicherung. Dann kann jede Aufforderung zur Strafzahlung infolge des Fahrens ohne Fahrschein an uns gesendet werden und wir überweisen den Betrag direkt an den jeweiligen Verkehrsverbund.

Wie viele Menschen haben bereits eingezahlt?

Nach nur vier Tagen waren schon über 9 000 Mitglieder dabei.

Was passiert, wenn zu viele Mitglieder beim Fahren ohne Fahrschein erwischt werden? Kann der Fonds dann auch leer sein und man muss doch selbst zahlen?

Der Fonds basiert auf einem Solidaritätsprinzip. Wer mehr hat, darf gerne mehr als neun Euro pro Monat einzahlen, auch Spenden sind willkommen. Falls der Fonds sich nicht mehr trägt, informieren wir unsere Mitglieder frühzeitig.

Schwarzfahren ist hierzulande kein ­Bagatelldelikt. Im schlimmsten Fall droht sogar Gefängnis. Ist Ihre Idee da nicht riskant beziehungsweise kann für einige schlecht enden?

Den Menschen, die keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland haben oder als Asylsuchende im Land sind, raten wir dringend ­davon ab, ohne gültigen Fahrschein im ÖPNV unterwegs zu sein. Eine Kontrolle hat bei ihnen teilweise gravierende Auswirkungen und kann das Aufenthaltsrecht gefährden. Dazu informieren wir alle Mitglieder umfangreich.

Ist Ihre Initiative von Kriminalisierung betroffen? Ihr warnt zwar davor, dass man nicht ohne Fahrschein fahren darf, ruft aber gleichzeitig doch auch offen dazu auf.

Wir rufen zu keiner Straftat auf, sondern unterstützen Menschen, die sich kein teures Ticket leisten können. Dafür haben wir uns rechtlich beraten lassen. Es ist ein Skandal, dass Fahren ohne Fahrschein strafrechtlich geahndet werden kann. Wir fordern die Entkriminalisierung.

Ihre gesellschaftlichen Forderungen enden nicht beim Neun-Euro-Ticket, sondern beinhalten auch Umverteilungen, faire Löhne und den Ausbau des ÖPNV. Warum?

Das Neun-Euro-Ticket hat die Defizite im ÖPNV deutlich gemacht. Um der hohen Nachfrage gerecht zu werden, braucht es beispielsweise mehr Schienenwege und Personal, kurz einen zeitgemäßen ÖPNV. Erst dann wäre ein Neun-Euro-Ticket, das allen Menschen hierzulande zugute kommt, möglich.