Investitionen in die Pflegebranche gehören zu den lukrativsten Optionen, Kapital zu mehren

Traumrenditen in der Pflege

Seit Monatsanfang gelten in der Pflege etwas höhere Mindestlöhne. Für Menschen, die ohne Betreuung nicht leben können, steigen dadurch die Kosten erheblich. Derweil bleibt die Branche eine attraktive Investitionsmöglichkeit mit zweistelliger Renditeerwartung.

Während an Krisen nun wirklich kein Mangel herrscht, warnte die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele (SPD), kürzlich vor einem weiteren »Doomsday«: Pflegebedürftige sähen sich im September Preissteigerungen von 30 bis 40 Prozent ausgesetzt. Zum Monatsbeginn trat in der Branche eine Tariftreueregelung in Kraft, was bedeutet, dass bundeseinheitlich neue Mindestlöhne in der Pflege greifen. Seitdem dürfen für ausgebildete Fachkräfte nicht weniger als 17,10 Euro brutto pro Stunde gezahlt werden, bei ungeschultem Personal sind es geringstenfalls 13,70 Euro. Die bessere Bezahlung begrüße der VdK natürlich, so Bentele. Allerdings habe es die Politik versäumt, die höheren Löhne vernünftig gegenzufinanzieren, und für die Mehrkosten würden ausschließlich Pflegebedürftige zur Kasse gebeten: »Von Mitgliedern, die uns ­Abrechnungen für den Pflegedienst oder einen Heimplatz schicken, wissen wir, dass manche bis zu 5 000 Euro aus der eigenen Tasche bezahlen ­müssen. Für die meisten ist das unmöglich.«

Die Knochenarbeit in Heimen und Krankenhäusern macht nicht diejenigen reich, die sie erbringen – andere hingegen schon.

Kritik kommt auch von der Gewerkschaft Verdi, die an den Verhandlungen zur neuen Regelung beteiligt war. Es sei zwar gelungen, »nicht geringe« Steigerungen bei der Mindestvergütung zu erzielen, sagte das Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler; so werde »eine jahrelang praktizierte Ausbeutung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor allem bei kommer­ziellen Pflegekonzernen« künftig verhindert. Doch die Grundprobleme in der Pflegebranche ließen sich nicht allein durch höhere Mindestlöhne lösen. Bühler fordert, die Altenpflege als Daseinsfürsorge zu betrachten und dem »wirtschaftlichen Wettbewerb und der kommerziellen Gewinnmaximierung« zu entziehen.

Gemessen an den miserablen Standards des deutschen Niedriglohnsektors ist die Gehaltsentwicklung in der Pflege nicht die schlechteste: Zwischen 2010 und 2020 stiegen die Bruttoverdienste in der Branche um etwa ein Drittel, was über dem Durchschnitt in der Bundesrepublik liegt. Fraglich ist nach wie vor, ob die durchschnittlichen Monatslöhne von 3 578 Euro brutto in der Krankenpflege und 3 291 Euro in der Altenpflege (Stand 2020) in einem angemessenen Verhältnis zur gesellschaftlichen Relevanz der Tätigkeit stehen. Allerdings betonen viele Beschäftigte, dass es weniger das Lohnniveau sei, das ihren Beruf unattraktiv macht, als die Arbeitsbedingungen und der Personalnotstand. Bereits derzeit sollen 80 000 Pflegekräfte fehlen, Prognosen des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge könnte das Defizit bis 2035 auf bis zu 500 000 Pflegekräfte steigen.

Auf der einen Seite steht eine alternde Bevölkerung, auf der anderen stehen hohe Abbruchquoten in der Ausbildung: Dem RBB sagte Jens Reinwardt, der Leiter der Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg, dass ­gegenwärtig etwa 30 Prozent der Auszubildenden nicht bis zum Abschluss durchhielten. »15 bis 20 Prozent verlassen uns bereits im ersten Semester oder im ersten Ausbildungsjahr.« Ausschlaggebend sei die Überlastung.

Auch wenn das Lohnniveau nun dezent angehoben wurde: Die Knochenarbeit in Heimen und Krankenhäusern macht nicht diejenigen reich, die sie erbringen – andere hingegen schon. Da die Zinsen seit Jahren äußerst niedrig sind und viele Branchen nur überschaubare Wachstumsraten verzeichnen, zählt die Investition in den Pfle­gebereich zu den lukrativsten Optionen, Kapital zu mehren. Recherchen der Journalistengruppe Investigate Europe zufolge verwalten 20 Konzerne knapp 4 700 Heime in Europa, die mehr als 400 000 Pflegebedürftige betreuen. (Einer der Konzerne ist Deutsche Wohnen, der nicht nur am Berliner Im­­mo­bilienmarkt von der Verwertung menschlicher Grundbedürfnisse profitiert.) An den Kosten der Pflege betei­ligen sich europäische Staaten mit jährlich 220 Milliarden Euro, hinzu kommen weitere 60 Milliarden, die Pflegebedürftige als Eigenanteil beisteuern. Das ist so rentabel, dass der Marktführer Orpea seinen Aktienkurs innerhalb von sechs Jahren verdoppeln konnte.

Bereits 2018 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Gespräch mit der Zeit eingeräumt, »zweistellige Renditen für ­Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften« seien »nicht die Idee einer ­sozialen Pflegeversicherung«, und sich für mehr staatliche Regulierung aus­gesprochen. Allerdings hat sich sein Bekenntnis auch vier Jahre später nicht in konkreter Gesetzgebung niedergeschlagen. So stehen nun die Interessen von Pflegebedürftigen gegen die Interessen des Pflegepersonals, während die private Aneignung der Profite unan­getastet bleibt.