Putsch gegen Putschisten
Zu Wochenbeginn kehrte wieder weitgehend Ruhe in der Stadt ein: Am Montag öffnete der Flughafen in Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Burkina Faso, erneut. Die meisten Einwohner gingen ihren Alltagsbeschäftigungen nach. Der vormalige Übergangspräsident, sprich Leiter der Militärjunta, Paul-Henri Damiba, meldete sich und bestätigte, dass er sich in Togo aufhalte.
Am Freitag voriger Woche waren Schusswechsel im Regierungsviertel zu vernehmen, als sich der zweite Militärputsch in diesem Jahr anbahnte. Armeeeinheiten schossen aufeinander, zwei Tote und neun Verletzte waren ersten zugänglichen Informationen zufolge zu verzeichnen. Am Samstag folgte die Belagerung der französischen Botschaft durch eine wütende Menge, Feuer brachen dort aus, ebenso wie am französischen Kulturzentrum Institut français in der im Westen des Landes gelegenen Stadt Bobo-Dioulasso.
Am selben Tag fanden in Ouagadougou und mehreren anderen Städten Demonstrationen zur Unterstützung des neuen starken Manns Ibrahim Traoré statt, dieser zog im Triumphzug durch die Straßen der Hauptstadt. Der 34jährige Hauptmann steht derzeit an der Spitze der Patriotischen Bewegung für die Bewahrung und Wiederherstellung (MPSR). Diese ging aus den Streitkräften hervor und wird vor allem von jüngeren Offizieren und einfachen Soldaten getragen. Die Armee als Institution hatte noch am Samstag in einem Kommuniqué davon gesprochen, den Putschversuch vom Vortag nicht anzuerkennen und an der Legitimität der Übergangsregierung, die im Januar selbst aus einem Putsch hervorgegangen war, nicht zu rütteln.
Zu dieser Zeit befand sich ihr Anführer Damiba bereits auf der Flucht und an einem unbekannten Ort. Gerüchte behaupteten fälschlich, er werde im französischen Armeecamp von Kamboinsin versteckt, was die Regierung in Paris dementierte.
Am Sonntag rief Traoré seine Landsleute zur Ruhe auf und mahnte, von Angriffen auf französische Einrichtungen abzusehen. Am Nachmittag des Vortags hatten die Ordnungskräfte die Protestierenden vor der Botschaft mit Tränengas auseinandergetrieben.
Schon seit Samstag wurden Flaggen Russlands aus der Menge der Protestierenden heraus gezeigt. De facto versucht Russland, seinen Einfluss in der Region des französischsprachigen Westafrika auszubauen, die lange Zeit – auch nach der formalen Unabhängigkeit ihrer Staaten in den Jahren zwischen 1958 und 1960 – von politischen und ökonomischen Interessen der ehemaligen Kolonialmacht dominiert blieb.
Im Nachbarland Mali, wo im August 2020 und Mai 2021 ebenfalls Militärputsche stattfanden, hat Russland unter anderem Einheiten der berüchtigten Söldnertruppe Wagner stationiert, ähnlich wie bereits seit fünf Jahren in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Überdies überfluten Nachrichten aus russischen Quellen wie den staatsnahen Medien RT (früher Russia Today) und Sputnik seit Jahren die Internet-Nachrichtenportale in Ländern wie Mali, Burkina Faso, Niger und der ZAR.
Der Wladimir Putin nahestehende Gründer der Gruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, beeilte sich BBC zufolge, den Machtwechsel in Burkina Faso explizit zu begrüßen, ungeachtet dessen, dass er offiziell keine politische Funktion innehat.
Die Anführer der neuen Übergangsregierung in Ouagadougou bekundeten ihrerseits indirekt, jedoch deutlich ihren Willen zur Annäherung an Russland. In einer ihrer ersten Verlautbarungen war von einer »Diversifizierung der Partnerschaften« bei der Bekämpfung der jihadistischen Gewalt die Rede, Traoré bezeichnete Russland als »normalen Staat«. Damit antwortete er unter anderem auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser hatte am 21. und 22. September der UN-Vollversammlung in New York beigewohnt und dort Russland »Imperialismus und Kolonialismus« vorgeworfen. Traoré sagte im Interview auf Radio France international (RFI), die neue Übergangsregierung wolle noch vor der von Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) gesetzten Frist bis Juli 2024 zugunsten einer zivilen Regierung abtreten.
Gestürzt ist der ehemalige Machthaber Damiba vor allem über die notorische Unfähigkeit, dem jihadistischen Terror Einhalt zu gebieten. Die Jihadisten kontrollieren etwa 40 Prozent des Landes, derzeit sind circa zwei Millionen Binnenflüchtlinge in Burkina Faso zu verzeichnen. Seit Februar belagern jihadistische Gruppen die Stadt Djibo im Norden des Landes. Am 27. September griff die mit al-Qaida verbündete Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime (GSIM) einen Versorgungskonvoi an, der Lebensmittel nach Djibo transportieren sollte. Etwa 100 Fahrzeuge wurden zerstört, mindestens elf Soldaten getötet, 50 Zivilisten wurden als vermisst gemeldet. Dieses Massaker war mutmaßlich der unmittelbare Anlass für den Putsch.
Den bisherigen Machthabern wurde zudem vorgeworfen, dass sie den verhassten, nach 27 Amtsjahren 2014 von der Bevölkerung gestürzten Präsidenten Blaise Compaoré im Juli zu politischen Treffen ein- und unbehelligt wieder ausreisen ließ. Compaoré war zuvor im April wegen des Mordes an seinem Amtsvorgänger Thomas Sankara zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Sankara war selbst Armeeangehöriger und 1983 ebenfalls durch einen Putsch an die Macht gekommen, jedoch marxistisch inspiriert und insbesondere für Frauenrechte und gegen Korruption engagiert. Ein solches Profil haben die neuen Machthaber nicht.