Kampf um Gehalt und Anerkennung
Am Freitag vergangener Woche brannte es bei einer Kundgebung von Lehrern auf dem Heldenplatz in Budapest. Das lag nicht etwa an Krawallen, vielmehr verbrannten die Lehrer Briefe, in denen die Schulbehörden ihnen mit Entlassung gedroht hatten, sollten sie weiter aufmüpfig sein. Eine Demonstration durch die Stadt, organisiert von Schülern und Schülerinnen der Facebook-Gruppe »Schüler für Lehrer«, führte dann zu einer Kundgebung vor dem Innenministerium unter dem Motto »Hände weg von unseren Lehrern«. Auch die Gewerkschaften hatten zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen. Die Demonstrierenden forderten sofortige Gehaltserhöhungen, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken, berufliche Autonomie für Lehrer, Lehrmaterial, das »lehrbar und lernbar« ist, »lebenswerte Schulen« und einen Dialog über Bildung.
Seit dem 5. Oktober streiken die Lehrer Ungarns, üben sich aber auch in zivilem Ungehorsam. Das liegt auch an einer diesjährigen Verordnung, mit der die ungarische Regierung die Streikgesetze verschärft und die Bedingungen, unter denen Lehrkräfte legal streiken können, eingeschränkt hat. Die Verordnung wurde erlassen, nachdem die Lehrergewerkschaften im Januar zu einem Warnstreik aufgerufen hatten. Sie ordnet an, dass die Gewerkschaften und der Schulbezirk eine Einigung über die Aufrechterhaltung der Notbetreuung der Schüler während eines Streiks erzielen müssen.
Die Lehrer sehen sich ihres Grundrechts auf Streik beraubt und greifen immer wieder zum Mittel des zivilen Ungehorsams.
Doch dadurch wird Druck aus dem Streik genommen. Denn die Eltern wissen ihre Kinder weiterhin sicher betreut, so dass der Streik nur für einen gewissen Unterrichtsausfall sorgt, aber den Alltag außerhalb der Schule kaum stört. Die Lehrer sehen sich faktisch ihres Grundrechts auf Streik beraubt. Deshalb greifen einige immer wieder zum Mittel des zivilen Ungehorsams und sprengen damit das enge Korsett des Streikrechts.
Die beiden größeren Gewerkschaften – die postkommunistische Gewerkschaft der Pädagogen (Pedagógusok Szakszervezete, PSZ) und die linksliberale Demokratische Gewerkschaft der Pädagogen (Pedagógusok Demokratikus Szakszervezete, PDSZ) –, die auch zum legalen Streik aufgerufen haben, unterstützen den zivilen Ungehorsam, soweit sie das können, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen. Sie solidarisieren sich mit »ungehorsamen Kollegen«, fordern die Regierung öffentlich auf, auf Repression gegen sie zu verzichten, und fordern die Wiederherstellung des Streikrechts.
Die Regierung reagiert mit Drohungen und in einigen Fällen auch mit Entlassungen. Dabei kann sich das Land eigentlich keinen weiteren Verlust an Pädagogen leisten. Dass die Bedingungen im Bildungssystem verbessert werden müssen, damit Lehrer nicht aus Frust aus dem Beruf ausscheiden und genug Menschen den Beruf ergreifen, ist eine der wichtigsten Erwägungen, die die Streikenden antreibt. Tamás Totyik, stellvertretender Vorsitzender der PSZ, stellt in einem Interview im politischen Online-TV-Magazin Partizán verbittert fest, dass das Bildungssystem nicht zusammenbrechen werde: »Vielmehr ist es bereits zusammengebrochen, weil es keine gute Bildung mehr ermöglicht. Das ganze Bildungssystem wurde auf das Level einer Kinderaufbewahrung verdummt.« Wie abschreckend die Arbeit als Lehrer mittlerweile auf junge Leute wirkt, belegt Totyik mit einer eindrücklichen Zahl. Vor ein paar Jahren hätten noch 8 000 junge Leute den Beruf des Lehrers ergriffen, nunmehr seien es bloß 2 000. Das reiche nicht mehr aus, um die Verrentungen auszugleichen.
Das Bildungssystem krankt an vielen Stellen. Regelmäßig landet Ungarn in der Pisa-Studie zur Erhebung der Kompetenzen von Schülern in Industrieländern in den Bereichen Mathematik, Lesen oder Naturwissenschaften unter dem Durchschnitt. Auch wenn die Studie nicht unumstritten ist, passt das schlechte Abschneiden Ungarns zu den Klagen von Lehrern über die Wissenspaukerei, die die rückwärtsgewandten Bildungspläne vorschreiben und die keine nachhaltigen Lernerfolge ermöglicht. Für Kritik sorgt seit Jahren auch die Ideologisierung der Unterrichtsinhalte durch die regierende Koalition aus der rechtspopulistischen Partei Fidesz und der christdemokratischen KDNP. Staatliche Schulen haben das Recht verloren, die Schulbücher selbst auszuwählen. Und die Inhalte in den staatlich vorgeschriebenen Schulbüchern haben es in sich: Unkritische Beiträge über verurteilte Kriegsverbrecher und Autoren antisemitischer Gedichte wie Albert Wass sind nunmehr Pflichtlektüre.
Natürlich ist das Gehaltsniveau in Ungarn auch in anderen Berufen niedriger als etwa in Westeuropa, doch an Schulen und Universitäten verdient man in dem Land auch im Vergleich mit Ländern der Region wenig. Lehrer erhielten einer vom Fernsehsender Euronews veröffentlichten Erhebung zufolge 2021 beim Berufseinstieg 8 063 Euro pro Jahr und lagen damit nur ganz knapp vor ihren rumänischen Kollegen. In der EU zahlen lediglich Polen und Bulgarien noch deutlich weniger, in Deutschland lag das Einstiegsgehalt hingegen bei 54 000 Euro, in Österreich bei 39 000.
Die Regierung schiebt die Verantwortung für ihre Probleme wie immer auf die EU, die Gelder aufgrund von Verstößen Ungarns gegen die Rechtsstaatlichkeit zurückhalte. Daher könnten die Lehrergehälter noch nicht erhöht werden. Sobald das EU-Geld ankomme, möchte man, so heißt es immer wieder von Regierungsseite, das Gehalt der Lehrer auf 80 Prozent des Durchschnittsgehalts von Akademikern im Land anheben, was eine Verdopplung des aktuellen Gehalts bedeuten würde. Auch Ungarn leidet unter der Inflation, die Anhebung der Gehälter wird immer dringlicher. Das stetig schwindende Vertrauen in die ungarische Währung Forint verschlimmert die Lage im Land zusätzlich. Ob die Lehrergewerkschaften auch ohne EU-Geld Erfolg haben, hängt auch von der Größe des Streiks ab. Bislang finden Ausstände an einzelnen Tagen an einigen Schulen statt. Von einem kompletten, dauerhaften Stillstand des Unterrichts ist der Streik noch weit entfernt.