Das sogenannte Klimaticket hat mit seinem Vorgänger, dem Neun-Euro-Ticket, kaum etwas gemein

Das Ende der Leichtigkeit

Das sogenannte Klimaticket ist zu teuer und wird die grundlegenden Probleme des öffentlichen Nahverkehrs nicht lösen.

Alles wird teurer. Das gilt auch für das Neun-Euro-Ticket. Mehr als das Fünf­fache soll das bundesweit gültige Nahverkehrsticket ab dem 1. Januar des kommenden Jahres kosten.

Zwischen Juni und August lockte das Neun-Euro-Ticket Millionen Passagiere in Busse und Bahnen. 52 Millionen Mal wurde das Ticket in dieser Zeit verkauft. Viele nutzten es nicht nur auf dem Weg zur Arbeit, sondern auch für Tagesausflüge und Familienbesuche oder um in den Urlaub zu fahren. Nicht nur der günstige Preis machte das Neun-Euro-Ticket attraktiv. Nie zuvor war die Nutzung des ÖPNV so einfach. Man musste keine Tarifzonen beachten, keine Grenzen der Verkehrsverbünde und keine Zeitbeschränkungen, zudem war das Ticket relativ leicht erhältlich. Die hektische Suche nach dem richtigen Fahrschein zur richtigen Zeit im unübersichtlichen Tarifdschungel des ÖPNV war vorbei, Mobilität wurde leicht.

Angesichts des unerwartet großen Erfolgs mehrten sich schnell die Rufe nach einer Nachfolgeregelung. Nach zähen Verhandlungen einigten sich Mitte Oktober die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister von Bund und Ländern auf ein 49-Euro-Ticket. Zwar wird weiterhin um die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern gerungen, ab dem 1. Januar des kommenden Jahres sollen jedoch alle Verkehrsmittel im ÖPNV deutschlandweit für 49 Euro pro Monat nutzbar sein – zumindest vorerst.

Das als »Klimaticket« vermarktete Angebot hat mit seinem Vorgänger, dem Neun-Euro-Ticket, wenig zu tun. Der Preis von zunächst 49 Euro ist lediglich ein Lockangebot
für Neukunden.

Mit der Leichtigkeit und Einfachheit seines Vorgängers hat das neue als »Klimaticket« vermarktete Modell allerdings wenig zu tun. Der Preis von zunächst 49 Euro ist de facto ein Lock­angebot. Er gilt nur im ersten Jahr der auf zwei Jahre angelegten Einführungsphase. So sollen möglichst viele Neukunden gewonnen werden. Bereits im zweiten Jahr ist dann eine »Dynamisierung« des Preises vorgesehen. Auch die Möglichkeit, mal eben beim Busfahrer die neue Monatskarte zu erwerben, ist passé, stattdessen ist das »Klimaticket« als Abonnement konzipiert. Wird es nicht gekündigt, was monatlich möglich sein soll, verlängert es sich automatisch.

Die größte Verschlechterung des ­sogenannten Klimatickets gegenüber ­seinem Vorgänger bleibt jedoch der Preis. Für zahlreiche Pendlerinnen und Pendler, die bereits derzeit den ÖPNV nutzen, ist das Ticket zwar eine spürbare finanzielle Entlastung, eine Breitenwirkung wie das Neun-Euro-Ticket dürfte es jedoch nicht entfalten. Sozial- und Wohlfahrtsverbände kritisieren, dass arme Menschen sich das »Klimaticket« schlicht nicht leisten können. Sowohl Geringverdiener als auch Sozialleistungsbeziehende bleiben so einmal mehr auf der Strecke.

Auch zu einer klimafreundlichen Verkehrswende wird das Ticket nach Einschätzung vieler Umweltverbände deshalb kaum beitragen. Für sehr viele Menschen in Deutschland sei das »Klimaticket« zu teuer, es werde deshalb weniger Menschen für Bus und Bahn gewinnen als notwendig, kritisierte beispielsweise Greenpeace in einer Stellungnahme. Hinzu kommt, dass es mancherorts sogar einen deutlichen Preisanstieg im ÖPNV auslösen könnte. So wurden in den vergangenen Jahren in einigen Verkehrsverbünden 365-Euro-Jahrestickets eingeführt, von denen insbesondere arme Menschen profitieren. Ob es diese Angebote auch in Zukunft geben wird, ist fraglich.

Die Einführung des sogenannten Klimatickets treibt die Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern auf die Spitze. Man hat sich zwar nun auf ein Modell verständigt, wie dies jedoch genau finanziert werden soll, ist weiterhin unklar. Der Bund verweist auf die Länder und ihre Verantwortung für den Nahverkehr. Die Länder hingegen fordern vom Bund eine umfassende finanzielle Beteiligung.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) knüpfte eine Zusage über Bundesmittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für eine Nachfolgemodell des Neun-Euro-Tickets an die Bedingung, dass die Länder mindestens ebenso viel aufbringen. Diese drängen jedoch auf weit höhere Zuschüsse und vor allem auf eine dauerhafte Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel, die der Bund den Ländern gewährt, um Busse und Bahnen zu ­finanzieren. Sollte das nicht erfolgen, müssten wegen der stark gestiegenen Energiekosten und der Kosten für das »Klimaticket« wohl Leistungen ein­zelner Verkehrsverbände eingeschränkt werden.

Für die Forderung erhalten die Länder auch Unterstützung aus den Kommunen. Der Deutsche Städtetag begrüßte zwar das ge­plante 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr, Haupt­geschäftsführer Helmut Dedy schließt sich jedoch der Forderung nach mehr Geld vom Bund an. »Das Ticket darf wichtige Investitionen in den Nahverkehr nicht ausbremsen, etwa weil es zu Lasten der Grund­finanzierung oder des Angebotsausbaus geht. Wir wollen und brauchen in vielen unserer Städte neue, umweltfreundlichere Busse und Bahnen, attraktive Haltepunkte und kürzere Taktzeiten«, sagte Dedy der DPA.

Er trifft damit den wunden Punkt: Schon das Neun-Euro-Ticket hatte die Schwachstellen des deutschen ÖPNV schonungslos offengelegt. Das bestehende öffentliche Nahverkehrssystem wäre einer höheren Nachfrage derzeit schlicht nicht gewachsen. Das Schienennetz ist marode und störanfällig, die Fahrzeuge sind veraltet und nicht zahlreich genug, zudem fehlt nach jahrzehntelangem Sparkurs sowohl im Schienen- als auch im Busverkehr ausgebildetes Personal. Darüber hinaus wurden das Schienensystem und das Busnetz in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten verkleinert statt ausgebaut.

Die Erfahrung des Sommers zeigt, dass ein billiges, einfaches und einheitliches Ticket für eine tatsächliche Mo­bilitätswende zwar unverzichtbar ist, allein die Probleme des öffentlichen Nahverkehrs jedoch nicht löst. Um den ÖPNV dauerhaft für die große Mehrheit der Menschen hierzulande attraktiver und nutzbar zu machen, bräuchte es Investitionen in Milliardenhöhe.

Neben Tausenden Kilometern Strecken und Gleisen sind seit der Privatisierung der Deutschen Bahn 1994 auch fast 9 000 Gleisanschlüsse abgebaut worden, bei den Bahnhofsgebäuden hat sich ein Investititionsstau von rund sieben Milliarden Euro ange­sammelt. Eine gemeinsame Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft und des ­Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung von 2019 beziffert allein den Investitionsbedarf bei der Deutschen Bahn auf rund 60 Milliarden Euro. Um den Per­sonennahverkehr auszubauen, wären weitere 20 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren nötig.

Hinzu käme der Finanzbedarf bei Straßenbahnen und Bussen. Nur um den kommunalen Nahverkehr in derzeitiger Form überhaupt aufrechterhalten zu können, wäre eine Erhöhung der jährlichen Regionalisierungsmittel um 1,5 Milliarden Euro notwendig. Der Ausbau des Netzes, nicht zuletzt um den ÖPNV auch im ländlichen Raum überhaupt wieder nutzbar beziehungsweise attraktiver zu machen, würde weitere Milliarden kosten.

Enorme Investitionen bräuchte es auch beim Personal. Bundesweit fehlen bereits heutzutage Tausende Fah­rerinnen und Fahrer. Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Christine Behle, sagte Ende September: »Im ganzen Land werden bereits die Fahrpläne im ÖPNV ausgedünnt und Linien eingestellt, weil Personal fehlt. Wir brauchen deshalb noch in diesem Jahr zusätzliche Mittel von Bund und Ländern.«

Nachwuchskräfte sind wegen der ­belastenden Arbeitsverhältnisse kaum zu finden. Die Deregulierung des Arbeitsmarkts in den vergangenen beiden Jahrzehnten traf auch den öffentlichen Nahverkehr. Kommunale Verkehrsgesellschaften bildeten eigene Servicegesellschaften, in die Personal ausge­lagert wurde, das für die gleiche Tätigkeit weniger Lohn bei schlechteren ­Arbeitsbedingungen erhielt. Viele Verkehrsbetriebe haben zudem jahrelang keine eigenen Fahrer ausgebildet, sondern ehemalige Zeitsoldaten und Wehrdienstabsolventen rekrutiert, die in ihrer Bundeswehrzeit die erforder­liche Fahrerlaubnis erworben hatten. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem Umbau der Bundeswehr fiel diese Personalressource weitgehend weg. »Jahrelang haben sich die Unternehmen mit Händen und Füßen gegen Entlastungsmaßnahmen gewehrt. Nun findet man kaum noch jemanden, der zu diesen Bedingungen arbeiten will«, so Behle.

In den kommenden Jahren dürfte sich die Situation weiter zuspitzen. Bis 2030 verabschiedet sich dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zufolge fast die Hälfte des derzeitigen Fahrpersonals in den Ruhestand. Allein um das bestehende Angebot des ÖPNV zu erhalten, werden in den kommenden zehn Jahren rund 100 000 neue Beschäftigte benötigt. »Ohne zusätzliches Geld werden wir den Arbeitsplatz ÖPNV nicht attraktiver machen können«, so Behle. »Dieses Geld muss von Bund und Ländern kommen. Sonst wird es den ÖPNV, wie wir ihn kennen, nicht mehr geben.