Nach dem Rücktritt von Liz Truss wird Rishi Sunak britischer Premierminister

Truss raus, Sunak rein

Nach dem Rücktritt von Liz Truss ist Rishi Sunak der neue britische Premierminister. Doch der Streit über die politische Ausrichtung der konservativen Partei ist damit keineswegs vorüber.

Rishi Sunak ist der neue britische Premierminister. Er setzte sich gegen zwei Konkurrenten durch, Boris Johnson und Penny Mordaunt, die Leiterin des Unterhauses. Boris Johnson, der seinen Familienurlaub in der Dominikanischen Republik unterbrach, um seine Chancen zu sondieren, hatte bereits am Sonntagabend seinen Verzicht angekündigt. Johnson sagte, er habe zwar genügend Unterstützung, doch es sei nicht die richtige Zeit für ihn, ins Amt zurückzukehren. Über das Wochenende hatte es Spekulationen über eine mögliche Wiederauflage der Regierung Johnson gegeben, nicht wenige konservative Abgeordnete hatten angekündigt, aus der Partei auszutreten oder sogar in die Labour-Partei zu wechseln, sollte dies geschehen.

Penny Mordaunt hatte noch bis zum Ende versucht, die Unterstützung von 100 konservativen Abgeordneten zu erhalten, um in die Stichwahl mit Sunak zu gelangen, was einen Mitgliederentscheid notwendig gemacht hätte. Anders als bei den Abgeordneten, wo sie deutlich hinter Sunak lag, erhoffte sie sich bei den Mitgliedern breitere Unterstützung. Doch am Ende kamen ihre 100 Stimmen nicht zusammen. Damit war der Weg frei für Rishi Sunak, der als einziger Kandidat automatisch, ohne Abstimmung der Fraktions- oder Parteimitglieder, Parteivorsitzender und damit auch Premierminister wurde.

Mit der zurückgetretenen Premier­ministerin Truss scheiterte die Idee, dass Wachstum durch niedrige Steuern und reduzierte Regulation allein erreicht werden kann.

Am Donnerstag voriger Woche hatte die Premierministerin Liz Truss inmitten einer eskalierenden Regierungskrise ihren Rücktritt angekündigt, nach lediglich 45 Tagen im Amt; tags zuvor war Innenministerin Suella Braverman vom rechten Flügel der Tories zurückgetreten. Bereits am Freitag vorvergangener Woche hatte Liz Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen, der als ihr loyaler politischer Weggefährte galt. Kwarteng hatte Steuersenkungen geplant, ohne dass eine Gegenfinanzierung vorgesehen war; mit diesem wirtschaftspolitischen Programm hatte Truss, die sich als neue Margaret Thatcher inszenierte, Anfang September den Parteivorsitz und damit das Amt als Premierministerin gewonnen. Doch im Lauf des Septembers büßte das Pfund im Verhältnis zum US-Dollar erheblich an Wert ein; die Bank of England intervenierte und kaufte Staatsanleihen auf, um deren Preisverfall aufzuhalten und gegen einen drohenden Kollaps von Pensionsfonds vorzugehen, die ihre Einlagen häufig in Staatsanleihen investiert hatten.

Kaum hatte sich Rishi Sunak als neuer Premierminister durchgesetzt, erneuerten die britischen Oppositionsparteien ihre Forderung nach sofortigen Neuwahlen; in Umfragen rangieren die Tories derzeit weit hinter der größten Oppositionspartei Labour. Doch die Konservativen verfügen über eine signifikante Mehrheit im Unterhaus. Mindestens 40 konservative Abgeordnete müssten mit der Opposition stimmen, um Neuwahlen zu erzwingen, und ­danach sieht es zumindest derzeit nicht aus.

Am Dienstag beauftragte König Charles III. Rishi Sunak mit der Regierungsbildung. Dieser sagte in seiner Antrittsrede, er wolle das Land einen, übte Kritik an der gescheiterten Steuerreform seiner Vorgängerin Truss und sagte, er wolle die »wirtschaftliche Stabilität« ins Zentrum der Regierungsarbeit stellen.

Sunak fungierte unter Boris Johnson als Finanzminister, bis er im Juni wegen der eskalierenden Skandale von Johnson seinen Rücktritt erklärte und damit dessen Sturz beschleunigte. Mit 42 Jahren ist der Hindu einer der jüngsten Premierminister der britischen Geschichte und der erste mit indischem Hintergrund (wie Braverman auch). Sunak war vor seiner politischen Karriere Banker, ist mit der Tochter einen indischen Multimilliardärs verheiratet und verfügt zusammen mit ihr über ein geschätztes Privatvermögen von 730 Millionen Pfund. Im Sommer wuchs Kritik an Sunak, nachdem bekannt geworden war, dass seine Frau nicht in Großbritannien Steuern zahlt, weil sie legal ihren Wohnsitz in Indien hat, obwohl sie in London lebt. Im Zuge der Partygate-Affäre bekam er eine Geldstrafe, weil er an einer der Partys in Downing Street No. 10 während der Covid-19-Beschränkungen teilgenommen hatte.

Bereits im Sommer hatte Sunak für die Nachfolge von Johnson kandidiert und galt lange als Favorit, doch die Parteimitglieder der Tories bevorzugten am Ende Liz Truss, nicht zuletzt, weil viele Konservative Sunak vorwarfen, den Rücktritt Johnsons ausgelöst zu haben. Truss galt den Mitgliedern als loyaler zum immer noch von vielen an der Basis verehrten Johnson. Sunak ist also umstritten, und trotz der Rufe nach Einigkeit, die derzeit erneut aus konservativen Kreisen zu hören sind, gibt es auch unter den Abgeordneten einige, die ihn weiterhin offen und kategorisch ablehnen.

Sunak steht nun vor der Aufgabe, das Land durch eine schwere Wirtschaftskrise zu bringen. Ihm hilft, dass sein Programm dazu bereits im Sommer im deutlichen Kontrast zu Truss und ihrem wirtschaftsliberalen Kurs gestanden hatte; Sunak hatte Steuererhöhungen angekündigt und sich für die staatliche Stützung von Wirtschaft und ­Infrastruktur stark gemacht. Mit Truss scheiterte die Idee, dass Wachstum durch niedrige Steuern und reduzierte Regulation allein erreicht werden kann. Der Traum der marktliberalen Tories, nach dem britischen Austritt aus der EU so etwas wie ein »Singapur an der Themse« zu schaffen, offenbarte in seinem spektakulären Zusammenstoß mit der Realität erneut die Widersprüche des gegenwärtigen britischen Konservatismus. Während Wirtschaftsliberale unter den Tories wollen, dass die Staatsquote radikal zurückgeht, zeigt sich bei vielen Briten, auch unter der konservativen Wählerschaft, recht sozialdemokratisch eine gewisse nostalgische Sehnsucht nach dem britischen welfare state und dessen Institutionen wie den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS).

Sunak muss diese Widersprüche nun unter den Vorzeichen von Inflation und Rezession angehen und hat dabei kaum finanziellen Spielraum. Als Finanzminister unter Johnson hatte er noch großzügig Geld verteilt, zunächst um das levelling up zu finanzieren, also Projekte für die am meisten infrastrukturell benachteiligten Gebiete des Landes. In der Covid-19-Pandemie hatte er die bis dato in Großbritannien unbekannte Kurzarbeit, also vom Staat finanzierte Arbeitsplatzgarantien, eingeführt. Nun ist die Staatskasse leer. Selbst nachdem der neue Finanzminister Jeremy Hunt die meisten Aspekte der Steuerreform der Regierung Truss bereits am Montag vergangener Woche kassiert hatte, ist sein finanzieller Spielraum begrenzt, Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen oder beides dürften kommen. Ob es Sunak gelingen wird, in dieser Situation die konservative Partei bei der Stange zu halten, ist unklar.