Über Irans Fußballer, die die Proteste unterstützen, und Künstler, die verhaftet werden

Die Repression nimmt zu

Ein Teil des iranischen Regimes ahnt, dass das Land mit bru­­­ta­­ler Gewalt allein nicht unter Kontrolle zu bringen sein wird. Die Hardliner verweigern gleichwohl jegliche Kon­­zes­sion, während sich viele Iraner mit »Reformen«, die nur dem Sys­-temerhalt dienen, nicht mehr zufriedengeben werden.
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Als vor dem Spiel zwischen England und dem Iran bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar die iranische Hymne erklang, schwiegen die iranischen Spieler, statt mitzusingen. Ihr Kapitän Ehsan Hajsafi hatte am Tag zuvor in einer Pressekonferenz mit Blick auf die Menschen gesagt, die im Iran weiterhin jeden Tag gegen das Regime auf die Straße gehen: »Sie sollen wissen, dass wir an ihrer Seite sind und sie unterstützen. Wir sind hier, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht ihre Stimme sein sollten oder dass wir sie nicht respektieren.« Stummer Protest bei der Nationalhymne und eine offene Solidarisierung mit den Regimegegnern, das erfordert viel Mut angesichts der Konsequenzen wie Haftstrafen und Folter, die solches Handeln haben kann – für die Spieler selbst wie auch für ihre Familien im Iran.

Die Fußballer sind nicht die ersten Iraner, die sich in jüngster Zeit bei einer internationalen Sportveranstaltung geweigert haben, die Hymne zu singen. Sportler genießen im Iran ein hohes Ansehen, manche haben Millionen von Followern in den sozialen Medien, ihr Einfluss gerade auf jüngere Iraner ist groß. Schon fordert deshalb Mohsen Kookhan, der einflussreiche Vorsitzende der Gesellschaft der ehemaligen Abgeordneten, kritische Sportler zu »entfernen«. Der Parlamentarier Mousa Ghazanfarabadi, zugleich Vorsitzender des Rechtsausschusses und früher Leiter der Revolutionsgerichte in Teheran, ging sogar noch weiter. »Mittlerweile kennen wir sie alle«, tönte er und forderte wörtlich: »Sie müssen mit Abzeichen gekennzeichnet werden.«

Die Repression im Land nimmt immer weiter zu. Über 15 000 Menschen sind seit Beginn der Proteste festgenommen worden, die Revolutionsgerichte haben die ersten Todesurteile ausgesprochen. In Teheran schossen iranische »Sicherheitskräfte« Mitte November in einer U-Bahnstation mit scharfer Munition in eine Menschenmenge und schlugen auf Frauen ein, die kein Kopftuch trugen. Weit über 300 Menschen sind bei den Demonstrationen bislang durch Mitglieder des staatlichen Repressionsapparats zu Tode gekommen, aus den Gefängnissen wird über Folter berichtet.

Ein Augenmerk richtet das Regime nicht nur auf Sportler, sondern auch auf regimekritische Künstler. Der Tageszeitung Shargh zufolge wurden in den vergangenen zwei Monaten mehr als 100 von ihnen inhaftiert oder erhielten ein Ausreiseverbot. Zu den Verhafteten zählt beispielsweise der Rapper Toomaj Salehi, der in seinen Liedern und in den sozialen Medien zum Sturz des Regimes aufgerufen hat. Freunde von ihm berichten nun, er werde im Gefängnis schwer gefoltert. 32 Künstler aus den Bereichen Musik, Theater und Film kamen wegen der Unterzeichnung einer Petition gegen die Gewaltanwendung des Regimes in Haft, bei zehn Dokumentarfilmern genügte dafür bereits die Teilnahme an einem Workshop im Ausland. Einige der Inhaftierten sind bereits zu Freiheitsstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt worden.

Das Regime geht mit den Protesten in mancher Hinsicht anders um als mit denen früherer Jahre. Es geht nicht mehr um deren möglichst rasche Niederschlagung auch um den Preis eines Blutbads, zumal Teile der iranischen Führung offenbar davon ausgehen, dass das Land mit brutaler Gewalt und extremer Repression allein nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist. Stellenweise gibt es Überlegungen, etwa den Kopftuchzwang zu lockern, doch das lehnen die Hardliner strikt ab: Den Hijab begreifen sie als unverzichtbares Mittel, um die Unterwerfung unter das Regime kontrollieren und Verstöße bestrafen zu können.

Auch die Aufhebung der Ächtung von Mohammad Khatami lässt sich als Versuch interpretieren, die im Schwinden begriffene Legi­timation der »Islamischen Republik« wieder zu stärken. Khatami war Staatspräsident von 1997 bis 2005 und zuletzt mehr als ein Jahrzehnt lang aus der Öffentlichkeit verbannt, weil er für Reformen innerhalb des Systems plädiert hatte. Mitte November trat er erstmals wieder öffentlich auf und sagte, eine Revolution sei weder möglich noch wünschenswert, doch es könne auch nicht alles bleiben, wie es ist, sonst drohe der Zusammenbruch. Der Grund für die Proteste sei die Unzufriedenheit mit der Regierung, die Grundrechte der Demonstranten müssten respektiert werden.

Offenbar rechnet das Regime damit, auch nach dem Ende der Proteste deutlich an Akzeptanz eingebüßt zu haben. Allerdings sind die Demonstrationen noch lange nicht vorbei, und viele Iraner werden sich mit »Reformen«, die vor allem dem Systemerhalt dienen, nicht mehr zufrieden geben. Selbst die drohende Repression hindert etliche Menschen weiterhin nicht, auf die Straße zu gehen oder sich öffentlich mit den Demonstranten zu solidarisieren.