Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigt Reformen im Klinikwesen an

Die Revolution frisst ihren Minister

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das »Ende der Ökonomisierung in den Kliniken« angekündigt. Ob sein Reformvorhaben das wirklich einlösen kann, darf bezweifelt werden.

Lange Wartezeiten, unfreundliches und gestresstes Personal, wegen Überlastung gesperrte Notaufnahmen? Daran hat man sich fast schon gewöhnt im deutschen Gesundheitssystem. Doch die Bilder überfüllter Kinderkliniken der vergangenen Wochen ließen sich nicht mehr so leicht beiseitewischen. Im ganzen Land sind etliche Kliniken am Rande der Belastungsgrenze, nur mit größter Mühe kann die Versorgung schwerkranker Kinder noch sichergestellt werden.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) machte in dieser Lage zunächst durch einen absurden Vorschlag auf sich aufmerksam: Man könne ja Personal aus der Erwachsenenmedizin in die Kinderkliniken verlegen, um dem dortigen Personalmangel kurzfristig zu begegnen. Nachdem besonders Fachleute dies heftig kritisiert hatten, wurde es für Lauterbach höchste Zeit, Kompetenz zu demonstrieren. Da fügte es sich gut, dass eine von ihm eingesetzte Expertenkommission in der vergangenen Woche einen Plan zur Verbesserung der Krankenhausversorgung präsentierte. Die »größte Reform seit 20 Jahren« und ein »Ende der Ökonomisierung in den Kliniken« kündigte Lauterbach in einer Pressekonferenz an.

Bei der Betrachtung zahlreicher chirurgischer Abteilungen hierzulande drängen sich Vergleiche mit der fordistischen Produktion in der Autoindustrie auf.

Lauterbach verwies dabei auf eklatante Versäumnisse und Fehlentwicklungen in der bundesdeutschen Gesundheitspolitik der vergangenen 20 Jahre, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, da er selbst für diese als langjähriger führender Gesundheitspolitiker der SPD einige Verantwortung trägt. Diese Politik hat unter anderem dazu geführt, dass Kinderkliniken und Notaufnahmen derzeit die Versorgung nicht gewährleisten können und unter der Belastung einer saisonalen Krankheitswelle fast zusammenbrechen.
Die herausragende Leistungsfähigkeit deutscher Kliniken hat sich seit Jahren in anderen Bereichen gezeigt, zum Beispiel bei der operativen Versorgung mit künstlichen Hüft- und Kniegelenken. Hierbei ist die BRD im weltweiten Vergleich unter den führenden Staaten, was die Anzahl an Eingriffen pro Einwohner betrifft. So wurden im Jahr 2019 doppelt so viele Kniegelenke ersetzt wie in Norwegen und 35 Prozent mehr Hüftgelenke als in Schweden.

Haben Skandinavier bessere Gelenke? Vermutlich nicht, eher dürfte die Tatsache eine Rolle spielen, dass mit diesen Eingriffen Geld verdient wird – besonders dann, wenn sie wie am Fließband erfolgen. Volle Operationspläne und ausgelastete Operationssäle lassen das Herz eines jeden Krankenhausmanagers höher schlagen, denn sie steigern die Rentabilität. Personal, dass nicht wie im Akkord arbeitet, und Maschinen, die stillstehen, verursachen nur Kosten, sie sind totes Kapital. Bei der Betrachtung zahlreicher chirurgischer Abteilungen hierzulande drängen sich Vergleiche mit der fordistischen Produktion in der Autoindustrie auf. Diese Mechanismen werden außerhalb des Krankenhauses genauso verschwiegen wie die Prämien, die viele Chefärzte für das Erreichen festgelegter Operationszahlen erhalten, um die Mediziner zu deren Steigerung zu motivieren.

Vor genau dieser Entwicklung hatten linke Gesundheitswissenschaftler bereits vor Einführung der diagnosebezogenen Fallgruppen (diagnosis-related groups, DRGs) 2004 durch die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) gewarnt. DRGs sind Fallpauschalen, die jeder Behandlung einen Wert zuschreiben. Ob Blinddarmentzündung oder Herzinfarkt – für alle Erkrankungen erhält das behandelnde Krankenhaus von den gesetzlichen Krankenversicherungen einen Festbetrag. Die ökonomische Motivation für die Krankenhausbetreiber besteht darin, weniger auszugeben, als die Krankenkassen erstattet, und so Profite zu generieren.

Hierbei werden die aus anderen Branchen bekannten Maßnahmen angewandt: Kostenreduktion insbesondere durch Personalabbau, Schließung unrentabler Abteilungen und Verkürzungen der Liegedauer der Patienten. Kommt es nach einer vorzeitigen Entlassung zu Komplikationen, die eine erneute Krankenhausaufnahme erfordern, ist das kein Problem, denn diese kann meistens erneut abgerechnet werden. In großen Kliniken gibt es ganze Abteilungen aus Ökonomen und Juristen, die auf die Auseinandersetzung mit den Krankenkassen und die dabei anzuwendenden Tricks zur Gewinnmaximierung spezialisiert sind.

Die BRD hat im internationalen Vergleich ein sehr teures, relativ ineffizientes Gesundheitssystem. Prävention und damit die Vermeidung von Krankenhausbehandlung wird hierzulande eher vernachlässigt. Besonders ärmere Menschen haben oft eine schlechtere ambulante Versorgung, sozialmedizinische Konzepte werden kaum berücksichtigt. Auch erhält die Pflege immer noch zu wenig finanzielle, aber auch gesellschaftliche Anerkennung. Nicht nur das Beispiel der Krankenhäuser zeigt also, dass eine grundlegende Reform im deutschen Gesundheitssystem dringend notwendig wäre. Stattfinden wird sie deshalb noch lange nicht, nicht einmal nach der Vorstellung des Gesundheitsministers. Denn sein Reformvorhaben wird nun einen langwierigen Gesetzgebungsprozess durchlaufen, bei dem auch die Unionsparteien im Bundesrat mitzureden haben.

Lauterbachs Vorschläge sehen keineswegs die vollständige Abschaffung der Fallpauschalen vor. Doch soll es zukünftig eine gemischte Finanzierung geben, bestehend aus einem Festbetrag je Behandlung in Kombination mit einer Vorhaltepauschale. Diese soll Klinikleitungen dazu bewegen, Kapazitäten und Personal bereitzuhalten, gerade in Bereichen mit hohem Personalbedarf wie Kinderkliniken – anstatt sie wie bislang oft auf das absolute Minimum zu reduzieren, um dann bei der nächsten mehr oder weniger unerwartet hereinbrechenden saisonalen Grippewelle kaum noch alle Patientinnen versorgen zu können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verringerung der Zahl der bundesweiten Krankenhäuser und die Einordnung aller verbleibenden in drei Versorgungsstufen. Komplizierte Behandlungen sollen künftig nur noch in einigen großen Krankenhäusern erfolgen. Kleinere Krankenhäuser, vor allem auf dem Land, sollen nur noch für einfachere Behandlungen zuständig sein.

Außerdem sollen unterschiedliche sogenannte Leistungsstufen eingeführt werden, die ebenfalls definierten Qualitätsstandards unterliegen. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass eine Abteilung für Innere Medizin nicht mehr einen Patienten mit Herzinfarkt behandeln darf. Dieser kann dann nur noch in einer zertifizierten Kardiologie therapiert werden, da nur dort die Expertise vorhanden sein wird.

Außerdem soll es eine engere Verbindung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie eine engere Zusammenarbeit von Kliniken der Basis- mit denen der Maximalversorgung geben. Videosprechstunden, gezielter Einsatz von Personal und Abbau von Überversorgung sind ebenfalls Ziele der geplanten Gesundheitsreform. Einige der Vorschläge weisen in die richtige Richtung, ob aber wirklich eine »Revolution« ansteht, darf bezweifelt werden.