Johannes Dörrenbächer vom Netzwerk »Tasche leer – Schnauze voll« über die inhaftierte Schwarzfahrerin Gisa März

»Gisa sitzt in Haft, weil sie arm ist«

Seit dem 4. November sitzt Gisa März wegen fahrscheinlosen Fahrens im Gefängnis. Weit über 100 Personen haben den nordrhein-westfälischen Justiz­minister Benjamin Limbach (Grüne) in einem offenen Brief um Begnadigung gebeten. Die Jungle World sprach mit Johannes Dörrenbächer vom daran beteiligten Netzwerk »Tasche leer – Schnauze voll« über Gisa März und den Brief.
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Um was geht es in dem Brief?

Wir fordern in dem Brief den nordrhein-westfälischen Justizminister auf, Gisa zu begnadigen. Sie sitzt ­wegen zwei Mal fahrscheinlosen Fahrens für sechs Monate in Haft. Zweitens fordern wir, dass es das Neun-Euro-Ticket langfristig geben soll. Drittens geht es um den Paragraph 265a StGB, der das »Erschleichen von Leistungen« zum Gegenstand hat und aus dem Jahr 1935, das heißt aus dem Nationalsozialismus stammt. Falschparken mit dem SUV gilt als Ordnungswidrigkeit, Fahren ohne Fahrausweis hingegen als Straftat. Der Paragraph ist also absolut armutsdiskriminierend. Hier fordern wir den Landesjustizminister auf, sich auf Bundesebene für die Abschaffung des Paragraphen einzusetzen.

Wer ist Gisa März?

Gisa ist eine Verkäuferin des Straßenmagazins Fiftyfifty in Düsseldorf. Sie hat sehr viel öffentlichkeitswirksame Arbeit geleistet und sich auch für das Neun-Euro-Ticket eingesetzt. Zum Beispiel hat sie mit dem SPD-Vorsitzenden von Nordrhein Westfalen, Thomas Kutschaty, gesprochen, und immer wieder auf Kundgebungen. Weil sie drogensüchtig ist und eine Methadontherapie macht, musste sie täglich vom Stadtrand in die Innenstadt fahren. Eine Wohnung in der Stadtmitte kann sie sich nicht leisten. Und auch das Ticket konnte sie sich oft nicht leisten. Sie lebt von Grundsicherungs- und Transferleis­tungen, also knapp über dem gesetzlich festgelegten Existenzminimum.
2019 ist sie zwei Mal erwischt worden und wurde zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Leider konnte sie die Bewährungsauflagen, teils wegen eines aufgebrochenen Briefkastens, teils wegen ihrer Drogenprobleme, nicht einhalten, weshalb aus der Bewährung eine Haftstrafe wurde. Die wurde jetzt vollstreckt.

Könnte sie sich mit den Transferleistungen nicht ein Monatsticket kaufen?

Das Geld reicht eben oft nicht. Wenn Menschen schon Ratenzahlungen haben, die Waschmaschine kaputtgeht, andere besondere Zahlungen anstehen, dann ist das Geld einfach nicht mehr da. Hartz IV ist nur nach und nach ein bisschen angepasst worden, ab und an gab es Einmalzahlungen, dazu sind die ­Ticketpreise gestiegen. Da bleibt oft nichts mehr übrig.

Und auch das Sozialticket ist blanker Hohn. Der Preis dafür liegt bei fast 40 Euro. Das sind fast zehn Prozent der Bezüge. Entsprechend oft passiert es, dass Empfänger:innen von Transferleistungen wegen nicht gelöstem Fahrschein in Haft sitzen. Deshalb sagen wir: Gisa sitzt in Haft, weil sie arm ist, und nicht, weil sie kriminell ist.

Was sind die Folgen der Haft?

Natürlich ist die psychische Belastung im Gefängnis sehr groß. Gisas Therapie ist ausgesetzt und ein Rückfall wahrscheinlich. Selbst aus staatlicher Sicht ergibt das kaum Sinn. Die Resozialisierung wird ­unwahrscheinlicher und die Kosten der Haft sind enorm. Ein Tag im Gefängnis kostet den Staat etwa 170 Euro, dann kommen noch die Polizeikosten zur Verhaftung et cetera dazu. Das ist ein wahnsinniger Kostenaufwand, nur um arme Menschen zu verfolgen. Der deutsche Staat ist hier in einem kapitalistischen Sinne ineffizient.