Vor 25 Jahren startete Quentin Tarantinos »Jackie Brown« in den Kinos

Ehrenmann des Kinos

Vor 25 Jahren lief »Jackie Brown« in den US-amerikanischen Kinos an. Als größter Kritiker von Quentin Tarantinos Film entpuppte sich der Regisseur Spike Lee, der Tarantino seitdem eine Art kultureller Aneignung vorwirft, nämlich den exzessiven Gebrauch des N-Worts.

2012 fand sich der Schauspieler ­Samuel L. Jackson in einer kuriosen Situation wieder. Während eines Promotermins für Quentin Tarantinos Film »Django Unchained«, in dem Jackson die Rolle des gegenüber seinem Eigentümer loyalen Sklaven Stephen Warren gespielt hatte, kam der Fernsehjournalist, der Jackson interviewte, auf das »N-word« zu sprechen, dessen Gebrauch in Tarantinos Film zu Kontroversen geführt habe. Doch weit kommt der Journalist mit seiner Frage nicht: Prompt wird er von Jackson unterbrochen, der ihn spitz fragt, welches Wort er denn genau meine. »Ich will es nicht aussprechen«, flüstert der Interviewer vor sich hin, was bei Jackson nur Hohn hervorruft. »Sag es!« herrscht er ihn an und macht klar: »Wir werden dieses Gespräch nicht führen, bevor du es nicht sagst.« So kommt es dann auch, der Reporter zieht die Frage zurück und fügt noch hinzu, wie schade das sei, denn sie sei gut gewesen. »Es ist keine gute Frage, wenn du das Wort nicht sagst«, gibt Jackson zurück.

Es war nicht das erste Mal, dass Tarantino und seinen Schauspielern jenes Wort auf die Füße fiel. Bereits 1997, vor 25 Jahren, gab es eine Debatte über den Film »Jackie Brown«, genauer darüber, dass in ihm 38 Mal das Wort »Nigger« fällt. Besonders wütend darüber war der afroamerikanische Regisseur Spike Lee, der ein paar Jahre zuvor mit seinem Biopic »Malcolm X« berühmt geworden war. Seine Begründung: »Ich habe nichts gegen das Wort und ich benutze es auch, aber nicht exzessiv. Und manche Leute sprechen auch so. Aber Quentin ist ganz vernarrt in dieses Wort. Was will er denn werden – ein schwarzer Ehrenmann?«

»Jackie Brown« ist Tarantinos einziger Film, den man, ohne dabei das Gesicht verziehen zu müssen, als sozial­realistisch oder sogar sozialkritisch bezeichnen könnte.

Die Debatte über »kulturelle Aneignung« gab es in den Neunzigern noch nicht in ihrer heutigen Form, Lees Insinuieren aber ist so etwas wie Kritik an »cultural appropriation« avant la lettre. Er ging sogar so weit, mit der Produktionsfirma Miramax und dem Produzenten Lawrence Bender Gespräche über Tarantinos Gebrauch des Wortes zu führen und folgende Botschaft loszuwerden: »Ich möchte, dass Quentin weiß, dass alle Afroamerikaner dieses Wort nicht für trendy oder schick halten.«

Dass Tarantino ausgerechnet in »Jackie Brown« das Wort »Nigger« so oft hat sprechen lassen, weil er einem Trend hinterher gewesen sei, ist ein absurder Gedanke, ist doch der an Weihnachten vor 25 Jahren in den US-amerikanischen Kinos angelaufene Film sein einziger, dem man, ohne dabei das Gesicht verziehen zu müssen, als sozialrealistisch oder sogar sozialkritisch bezeichnen könnte – es ist eine Milieustudie, in der die Figuren nicht ohne Grund so reden, wie sie reden. Die Geschichte: Die schwarze, mittellose und nicht mehr ganz junge Flugbegleiterin Jackie (gespielt von der unnachahmlichen Pam Grier) gerät zwischen die Fronten: auf der einen Seite der Waffenhändler Ordell (Samuel L. Jackson), auf der anderen die Polizisten Ray und Mark (Michael Keaton, Michael Bowen), die Ordell auf den Fersen sind. Für diesen schmuggelt ­Jackie bei ihren Flügen Geld, Ray und Mark drohen ihr, sie dafür hochzunehmen, wenn sie nicht hilft, Ordell für seine Waffengeschäfte hinter Gitter zu bringen. Doch Jackie hat andere Pläne: Zusammen mit dem Kautionsagenten Max (Robert Forster) täuscht sie Ordell sowie die Polizei und kann sich dabei noch eine halbe Million Dollar unter den Nagel reißen.

Appropriiert, oder besser: adaptiert hat Tarantino für »Jackie Brown« tatsächlich, nämlich den Roman »Rum Punch« des Kriminalautors Elmore Leonard. In dem 1992 erschienenen Buch heißt Jackie allerdings noch Burke mit Nachnamen – und ist weiß, inklusive naturblondem Haar. Für das Skript hat Tarantino ihr den Nachnamen Brown gegeben und sie mit Pam Grier besetzt, und zwar um dem damals schon ziemlich vergessenen Genre des Blaxploitation, dessen größter Star Grier gewesen war, ein Denkmal zu setzen.

Die in den Siebzigern gedrehten Filme des Blaxploitation-Kinos waren Low-Budget-Produktionen, die in den schwarzen Suburbs spielten und meist das Milieu der Kleinkriminellen zum Thema hatten. Im Fall der Filme »Coffy« (1973) oder »Foxy Brown« (1974), in denen Pam Grier die Hauptrollen spielte, ist die schwarze Bevölkerung jedoch Opfer der Kriminalität und nicht Urheber. In »Foxy Brown« ist es gar ein rassistisches weißes Paar, das einen Drogen- und Prostitutionsring anführt, an dem sich die Hauptfigur Foxy blutig rächt, weil die beiden ihren Liebhaber auf dem Gewissen haben.

Trotz solcher Plots, in denen Armut und Rassismus angeprangert wurden, und trotz der Tatsache, dass hier schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler Hauptrollen spielen konnten (untermalt mit Funk und Soul von Musikern wie Curtis Mayfield oder James Brown), grün­deten ausgerechnet schwarze Bürgerrechtsgruppen die »Coalition Against Blaxploitation«, mit der sie das Genre schließlich tatsächlich zu Fall brachten. Sie hielten den Blaxploitation-Filmen vor, Stereotype über Afroamerikaner zu perpetuieren und schwarze Communitys auszubeuten. Dafür, dass die Filme schrill und grotesk, also camp waren und damit die Frage nach Stereotypen ästhetisch beantworteten und in gewisser Weise eben auch desavouierten, hatten die Bürgerrechtler kein Auge.

Tarantino hat übrigens einige wenige Male auf Lees Vorwürfe reagiert – manchmal klug, manchmal nicht. Zur Zeit der Veröffentlichung von »Jackie Brown« nannte er Lee tatsächlich einmal einen »Rassisten«, weil dieser ihm sage, er könne aufgrund seiner Hautfarbe bestimmte Wörter nicht benutzen. 1994 hatte Tarantino es eigentlich schon besser gewusst, als er in einem Interview erklärte: »Meiner Meinung nach ist das Wort ›Nigger‹ wahrscheinlich das brisanteste Wort in der englischen Sprache. In dem Moment, in dem ein Wort so viel Macht hat, sollte es meiner Meinung nach jeder auf dem Planeten schrei­en. Kein Wort verdient so viel Macht.« Das ist auch der Grund, wieso es in seinen Filmen so oft auftaucht. Nicht nur, weil er Autor ist und als solcher »das Recht hat, die Wahrheit zu sagen«, wie er es einmal ausdrückte, nämlich wie im Fall von »Jackie Brown« seine Figuren aus den Vororten von Los Angeles nicht wie Kleinstadtspießer sprechen zu lassen, sondern so, wie sie eben miteinander reden. Sondern auch, weil das Wort tatsächlich zu viel Macht hat, und eine Möglichkeit, diese Macht zu brechen, besteht darin, das Wort aus­zusprechen, ihm seine Wirkung zu nehmen, es redundant und banal und damit unschädlich zu machen.

Lee hat nie damit aufgehört, Tarantino anzuprangern. Der Grund dafür mag sein ernsthafter Ärger über den Gebrauch des Wortes »Nigger« sein, man darf allerdings auch andere Beweggründe vermuten. Als Lee 1997 Tarantino kritisierte, sagte er im selben Atemzug mit Bezug auf einen seiner eigenen Filme: »Wenn ich in ›Mo’ Better Blues‹ das Wort ›kike‹ (­abfälliger Slang-Ausdruck für Jude; Anm. d. Autors) 38 Mal verwendet hätte, wäre es mein letzter Film gewesen.« Zwischen Tarantinos »Jackie Brown« und Lees »Mo’ Better Blues«, 1990 erschienen, gibt es aber einen gewaltigen Unterschied: Während Tarantino nie vorgeworfen wurde, einen rassistischen Film gemacht zu haben, hagelte es für Spike Lee von mehreren jüdischen Organisationen Kritik an Figuren aus seinem Film, die als antisemitische Stereotype kritisiert wurden – ein Vorwurf, den Lee damals mit dem völlig bescheuerten Argument von sich wies, jüdische Menschen hätten in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie ja auch schwarze Geschichte ausgebeutet.

Anscheinend gesteht Lee sich selbst größere künstlerische Freiheit zu als anderen, beansprucht für sich eine moralische Sonderrolle – und ist dabei mit seiner Wortwahl, trotz Beschwerde über das Vokabular anderer, selbst höchst fahrlässig: Als »Django Unchained«, Tarantinos Film über Sklaverei, 2012 in die Kinos kam, twitterte Lee: »Sklaverei in Amerika war kein Sergio-Leone-Spaghettiwestern. Es war ein Holocaust.« Nicht nur trifft diese Kritik ins Leere, da Tarantino nur ein paar Jahre zuvor mit »Inglourious Basterds« tatsächlich einen Film über Nazideutschland gedreht hatte, für den er sich ausgiebig beim Giallo bediente – auch ist das Wort »Holocaust« der stehende Begriff für den Mord an den europäischen Juden, nicht für die US-amerikanische Sklaverei.

»Appropriation or appreciation?« Mit dieser nett-naiven Frage leitete man in den neunziger Jahren ein harmloses Gespräch über allerlei Aneignungen in der Kunst ein. Damit ist nun Schluss: Was heute irgendwie als »kulturelle Aneignung« kritisiert wird, kann nach Ansicht derjenigen, die den Vorwurf erheben, nicht im Geringsten als Anerkennung oder Würdigung gemeint gewesen sein. Dass »Jackie Brown« im Zuge der Empörung über »cultural appropriation« nie groß diskutiert wurde, mag der Tatsache geschuldet sein, dass der wohl beste Film Tarantinos schlicht vergessen ist. Dabei müssten die Aktivistinnen und Aktivisten ihn eigentlich ausgraben und lieben, denn man könnte durchaus sagen, dass »Jackie Brown« ein intersektionaler Film ist, nämlich einer, der das Leben einer mittelalten, verarmten schwarzen Frau zeigt, die sich wehrt. Und sogar mehr als das: War der Kuss zwischen Captain Kirk und Lieutenant Uhura in der Originalserie von »Star Trek« noch ein Skandal gewesen, gab es in »Jackie Brown« gleich mehrere dieser interracial relationships, die ganz unaufgeregt dargestellt und damit normalisiert wurden.

Die Debatte darüber, ob sich Tarantino in unangemessener Weise bei anderen bedient, ist ohnehin müßig – natürlich bedient er sich, und zwar überaus offensichtlich. Er führt dabei allerdings nichts Böses im Schilde: Tarantinos Filme sind Hommagen. Die Autorin Cammila Collar hat in ­einem Blogeintrag zu Recht hervorgehoben, dass »Jackie Brown« trotz zahlreicher Anleihen selbst eben kein Blaxploitation-Film ist. Überaus deutlich macht das bereits die Eröffnungsszene (eine der schönsten der Filmgeschichte), in der Pam Grier durch den Flughafen von Los Angeles läuft, und deren Vorlage eben nicht aus einem Blaxploitation-Film stammt, sondern aus dem New-Holly­wood-Klassiker »The Graduate« (1967), in der Dustin Hoffmann ebenfalls durch einen Flughafen wandelt.

Wenn Tarantino, um bei den Worten von Spike Lee zu bleiben, ein Ehrenmann sein will, dann ein Ehrenmann des Kinos, und zwar des gesamten Kinos. Denn seine Methode, Kinogeschichte zu adaptieren, bildet die Augen seiner Zuschauerinnen und Zuschauer aus, die zwar noch nie ein B-Movie oder einen chinesischen Kung-Fu-Film oder einen Giallo gesehen haben mögen, aber von Taran­tino mit deren Ästhetik vertraut gemacht werden. Und denjenigen, die trotz allem finden, er benutze das N-Wort zu häufig und es gebe zu viel Gewalt in seinen Filmen, gab er ganz frisch im November in einem Interview eine Antwort: »Dann schau dir etwas anderes an. Wenn du ein ­Problem mit meinen Filmen hast, dann sind das nicht die Filme, die du dir ansehen solltest. Offensichtlich mache ich sie nicht für dich.«