Queerfeminismus oder Schlägerei
Im August 2022 wurde der Autor Jörg Finkenberger vom Infoladen, dem Archiv und Bibliotheksraum des linken Leipziger Zentrums »Conne Island«, angefragt, ob er Interesse hätte, seine Texte »Wozu ist die linke Szene eigentlich gut?« und »Neues von der Pseudo-Linken« zu diskutieren. Nachdem die Biologin Marie-Luise Vollbrecht, die mit einem Vortrag über Zweigeschlechtlichkeit an der Humboldt-Universität zu Berlin Anfang Juli 2022 für Proteste von Queeraktivist:innen gesorgt hatte, über Twitter angekündigt hatte, die Veranstaltung zu besuchen, tauchten in den sogenannten sozialen Medien Drohungen gegen die Veranstalter:innen, die zu erwartenden Gäste und ganz explizit gegen Vollbrecht auf. Eine Twitter-Nutzerin schrieb beispielsweise, man müsse Vollbrecht »irgendwo hinhängen«. Auch eine Protestkundgebung wurde seitens der Linksjugend Leipzig Ost, eine Splittergruppe, die aus der Linksjugend Leipzig hervorgegangen ist, angekündigt. Am Abend selbst wurden dann Gäste der Veranstaltung sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg von den Teilnehmer:innen der Kundgebung angegriffen. Die Auseinandersetzungen über die Vorfälle halten im Internet weiter an.
Anders als bei der Biologin Vollbrecht geht es in den Texten Finkenbergers inhaltlich eigentlich nicht um Fragen des Geschlechts. Er kritisiert in seinen Texten unter anderem die Verstaatlichung von Teilen der Linken und die damit einhergehende Neutralisierung ihrer Kritik. Der Staat verleibe sich die Opposition ein und integriere sie in die eigenen Strukturen, um sie unschädlich zu machen. An Beispielen wie Black Lives Matter oder der Kritik an Patriarchat und Gender beobachtet Finkenberger, wie sich die Herrschaft Fragmente einer Sozialkritik borgt, ihres Kerns beraubt, sie in einen Jargon gießt und sie den eigenen Zwecken dienlich macht. So wurde aus linker Kritik an den herrschenden Verhältnissen eine Pseudo-Kritik im Dienste der Verhältnisse, lautet Finkenbergers Fazit.
Bewegungungsmanager:innen setzen sich selbst an die Spitze von Protesten und sichern ihre Stellung mit einer von den Unterdrückten geborgten »Pseudo-Moral« ab, die ihre eigenen Positionen unangreifbar machen soll.
Er erkennt in der »Pseudo-Linken« ein Bündnis des sozialdemokratischen Machtblocks mit progressiven Fraktionen des Kapitals, das sich mit einer geborgten Moral – einer »Pseudo-Moral« – gegen Kritik und Widerstand zu immunisieren trachtet, um die eigene Machtposition abzusichern. Er meint, diese Art des Krisenmanagements besonders seitens der Sozialdemokratie verstärkt seit der Finanzkrise von 2008 zu beobachten. Opposition gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur werde in einem Spektakel der Kritik lediglich gemimt, das zugleich den Bereich des Verhandelbaren abstecke und somit grundlegende Veränderungen verhindere.
Bewegungungsmanager:innen setzen sich selbst an die Spitze und sichern ihre Stellung mit einer von den Unterdrückten geborgten, »scheinheiligen Moral« ab, die ihre eigenen Positionen unangreifbar machen soll. Dabei wird eine Debatte zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb einer Bewegung verunmöglicht, weil einzelne Fraktionen moralische Unfehlbarkeit beanspruchen und ihre Positionen über jede Diskussion erhaben wähnen. Finkenberger greift beispielhaft die Verhinderung des Vortrags von Marie-Luise Vollbrecht auf sowie die Verhinderung einer Veranstaltung der Berliner Ortsgruppe des Vereins Sisters, der Ausstiegshilfe aus der Prostitution anbietet.
Finkenbergers Texte sind kursorisch, zum Teil inkohärent, unabgeschlossen – Fragmente einer Kritik, die erst noch zu entfalten wäre; auch mittels der Kritik an seinen Thesen. Zu diesem Zweck wurde er eingeladen. Im Internet wurde jedoch nicht nur fälschlich verbreitet, dass Finkenberger mit christlichen Fundamentalist:innen auf einem Podium saß, sondern auch, dass eigentlich Marie-Luise Vollbrecht eingeladen sei. Tatsächlich hatte aber der Infoladen im »Conne Island« Vollbrecht nie eingeladen, aus mehreren Gründen: Zum einen hat sie nie etwas geschrieben, was Interesse an der Diskussion mit ihr geweckt hätte, zum anderen betreibt sie einen mehr als unsympathischen Internetaktivismus. Sie beteiligt sich an der spektakulären Inszenierung des Gegensatzes zwischen Radikal- und Queerfeminismus innerhalb der Affektökonomie der »sozialen Medien«. Und so drohte und droht dieses Spektakel das Anliegen der Diskussion zu verdrängen.
Dabei ist das Spektakel die Sache des Infoladens nicht. Viel mehr war und ist das Anliegen die Kritik des Spektakels durch die Entfaltung des Widerspruchs. Das schließt die Kritik der Gegensätze ein: Die Kritik am Radikalfeminismus, wo er sich in die erste Natur verguckt, und die Kritik des Queerfeminismus, wo er außer der zweiten Natur, also der Gesellschaft als Natur, nichts mehr erkennen will. Zu diesem Thema aber war Finkenberger nicht eingeladen, er hat lediglich am Beispiel des Aktivismus einiger Queerfeminist:innen eine indiskutable Vorgehensweise kritisiert. Doch damit hat er bereits das Spektakel herbeizitiert und fand sich so rasch in dessen Mitte wieder. Das zeigte sich nicht nur an der Resonanz im Internet, sondern auch an der Teilnahme von circa 130 Gästen an der Veranstaltung sowie den 30 bis 50 Teilnehmer:innen der Gegenkundgebung.
Während allerdings bei der Veranstaltung ohne Zwischenfälle diskutiert wurde, wurden aus der Kundgebung heraus Gäste beschimpft und auch angegriffen. Eine schwangere Frau wurde von ihrem Begleiter getrennt, beide wurden umringt, beschimpft, nach ihm wurde geschlagen, sie wurde, obwohl sie bereits auf ihre Schwangerschaft hingewiesen hatte, geschubst und angeraucht; beide konnten sich zum Glück befreien, wurden aber noch bis zu ihrem Auto verfolgt und angegangen. Zuletzt wurde ein Gast auf dem Heimweg nach einem Wortgefecht mit Reizgas angegriffen.
Inzwischen sind die Vorfälle in einem Bericht dokumentiert, der die Gedächtnisprotokolle der Security-Kräfte, der Abendverantwortlichen und der Betroffenen bündelt und auf der Seite von »Internet Archive« einsehbar ist. Frappierend ist an dem Bild, das sich ergibt, dass von der Kundgebung aus anscheinend gezielt Einzelne – vor allem einzelne Frauen – umkreist und angegangen wurden, um sie zu demütigen. Bekannt ist solches Verhalten von Schulhof-Bullys, aus Sekten oder auch von vielen stalinistischen und maoistischen Gruppen der siebziger und achtziger Jahre.
Die Veranstalter:innen waren von diesem Verhalten überrascht. Sie hatten sich zwar um ein Sicherheitskonzept gekümmert, hatten aber nicht mit Angriffen außerhalb des Geländes des »Conne Island« gerechnet und sich deshalb vor allem um den Schutz der Gäste im Saal bemüht. Nach einer Häufung von Nachrichten über Angriffe außerhalb der Veranstaltung wurde die Diskussion beendet und die Gäste gebeten, in Gruppen heimzugehen, manche Einzelne wurden begleitet, um einen Abzug in möglichst großen Gruppen zu ermöglichen.
Bereits vor der Veranstaltung hieß es im Aufruf zur Kundgebung, dass mit Finkenberger ein »rechter Demagoge« ins »Conne Island« geladen wurde, Vollbrecht eine »rechte Influencerin« und »Freundin« des Ladens sei und dieser deshalb nicht mehr geduldet werden könne. Auf der Kundgebung selbst wurde in einem Redebeitrag der Linksjugend Leipzig Ost das »Conne Island« als »Zentrum des Rechtspopulismus« bezeichnet und der Radikalfeminismus als »spezifisch weibliche Variante von Rechtsradikalismus«. Das könnte erklären, warum wahllos Gäste und sogar Jugendliche, die schlicht auf dem Gelände rumhängen wollten, als »Terfs«, »Faschisten« und »Nazis« beschimpft und insbesondere Frauen angegriffen wurden.
Schockierend ist darüber hinaus eine weitere Zeile aus dem Aufruf zur Kundgebung: »Das Conne Island fällt schon länger durch nicht tolerierbare Methoden und Inhalte auf, mehrmals wurde z. B. die Polizei gerufen, um Probleme zu lösen!« Schockierend deshalb, weil im letzten bekannten Fall, bei dem die Polizei von Mitarbeiter:innen des »Conne Island« eingeschaltet wurde, dies nach einer Vergewaltigung während eines Konzerts und in Abstimmung mit der Betroffenen erfolgte. Man kann nur hoffen, dass den Autor:innen des Aufrufs dies nicht klar war – statt einfach egal.
Manche Gruppen scheinen über jeden Selbstzweifel erhaben zu sein und sich als Avantgarde zu setzen. Alle anderen Strömungen haben sich demnach unterzuordnen oder werden bekämpft. Ein anonymer Aufruf, der am 1. Februar auf dem linken Internetportal »Knack-news« veröffentlicht wurde, hielten so manche im Conne Island noch für einen Fake. Darin heißt es: »Wir fordern das ›Conne Island‹ auf, seine Infrastruktur widerstandslos der queerfeministischen Bewegung zu übergeben! Wir haben nämlich genug davon, dass ihr so viel Scheiße labert und konservative, peinliche Hetze publiziert! Und die Veranstaltungen, denen ihr Raum gebt, sind viel zu oft richtig schlimmer Mist.«
Besonders interessant ist dabei, welche Statistenrolle den feministischen Gruppen im »Conne Island« in der Utopie der Autor:innen zugestanden wird: »Die im ›Conne Island‹ organisierten feministischen Projekte fordern wir auf, die Übernahme durch die feministische Bewegung vorzubereiten und sich uns anzuschließen.« Die Darstellung, man habe sich entweder einer queerfeministischen Avantgarde anzuschließen oder müsse als rechts bekämpft werden, dürfte weiterhin nicht nur Zustimmung erzeugen. Knapp fünf Jahre ist es her, dass im »Conne Island« der Sammelband »Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten«, herausgegeben von Patsy l’Amour laLove, vorgestellt wurde. Diese Kritik bleibt aktuell.