Das iranische Regime empört sich über die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo

Empörte Mullahs

Das iranische Regime protestiert gegen Karikaturen des französischen Satiremagazins »Charlie Hebdo« – das jüngst Ziel eines Hackerangriffs wurde.

Im Iran wurde jüngst protestiert, aber nur von einer lautstarken Minderheit. Nein, die Rede ist nicht vom Aufstand gegen Frauenunterdrückung und die Diktatur der Islamischen Republik, dessen Grundanliegen zweifellos von einer Mehrheit der iranischen Bevölkerung geteilt werden. Aber auch die Regimeanhänger haben nun bittere Klage erhoben und sind auf die Straße getragen.

Gegenstand ihres nicht nur tolerierten, sondern von offizieller Seite ermutigten Protests war die Veröffentlichung einer neuen Karikaturenserie in Frankreich, die in der als religionskritisch bekannten satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo erschienen sind. Dieses Mal ging es nicht, wie bei früheren Veröffentlichungen, um Karikaturen des Propheten Mohammed, die die Zeitung auch über die Landesgrenzen hinweg bekannt machten, spätestens seitdem Jihadisten im Januar 2015 in der Redaktion zwölf Menschen ermordet hatten. Für ihre erste Ausgabe im neuen Jahr, die am Mittwoch voriger Woche in die Kioske kam, hatte Charlie Hebdo zu einem »Karikaturenwettbewerb« aufgerufen.

»Aus Solidarität mit den Iranerinnen und Iranern«, die derzeit oft unter Lebensgefahr in ihrem Land sowie an zahlreichen Orten im Exil protestieren, rief die Redaktion dazu auf, möglichst lustige und respektlose Zeichnungen des Obersten Führers des iranischen Regimes, des 83jährigen Ali Khamenei, zu einzureichen.

Die Vorder- und Rückseite der jüngsten Ausgabe ziert eine Riesenzeichnung unter der Überschrift: »Mullahs, geht dahin zurück, wo ihr herkommt!« Man sieht kleine, bärtige und Turban tragende Männer Schlange stehen, um einer nach dem anderen in der Vagina einer mit geöffneten Schenkeln daliegenden Frau verschwinden – eine Anspielung auf Gustave Courbets ­Gemälde »Der Ursprung der Welt«. Bereits am Donnerstag voriger Woche war diese Ausgabe an mehreren Kiosken im zweiten und zehnten Pariser Bezirk ausverkauft.

Niemand wird überrascht sein, dass sich in den Karikaturen in Charlie Hebdo auch zahlreiche sexuelle Anspielungen finden. Auf einer von ihnen ist Khamenei auf einer Couch wie bei einer Psychoanalyse zu sehen, ihm gegenüber sitzt mit einem Notizblock in der Hand ein anderer klerikaler Funktionär. In einer Sprechblase malt Khamenei sich eine iranische Fahne aus, in deren Innenteil statt des Hoheitszeichens der Islamischen Republik eine Vagina zu sehen ist. Mehrere Zeichnungen zeigen Khamenei jedoch auch mit Galgenstricken, eine Anspielung auf die vom iranischen Regime zur Niederschlagung der Proteste angeordneten Hinrichtungen.

Am Sonntag demonstrierten rund 100 Personen, viele von ihnen Studenten an vom Klerus geleiteten Religionsseminaren, vor der Botschaft Frankreichs in Teheran und verbrannten französische Flaggen. Eine ähnliche Kundgebung fand in der 150 Kilometer südlich gelegenen Stadt Qom, einem Zentrum des schiitischen Klerus, statt. Der Sprecher des Außenministeriums in Teheran, Nasser Kanaani, forderte Frankreich am selben Tag zur »Einhaltung der Grundprinzipien der inter­nationalen Beziehungen« auf. Die Meinungsfreiheit dürfe nicht missbraucht werden, um religiöse Persönlichkeiten zu beleidigen. Dass die französische Regierung gar nicht kontrollieren kann und darf, was eine Zeitung wie Charlie Hebdo veröffentlicht, scheint für die islamistischen Machthaber keine Rolle zu spielen.

Möglicherweise bedient sich das iranische Regime zudem anderer Methoden, um gegen das Satiremagazin vorzugehen. Am Mittwoch voriger Woche, dem Erscheinungstag der Wochenzeitung, wurde ein Hackerangriff auf Charlie Hebdo publik. Offenkundig waren Dateien auf Computern der Redak­tion entwendet worden, diese wurden nun für 20 Bitcoin – das entspricht derzeit rund 320 000 Euro – online zum Kauf angeboten. Die Anzeige dafür erschien in Hackerforen.

Die angebotenen Dateien sollen Angaben über ungefähr 200 000 Personen enthalten, die mit Charlie Hebdo Kontakt hatten. Potentiell Kaufinteressierte wurden zu einer Anfang Januar in Malaysia geschaffenen Webdomain weitergeleitet. Darüber berichteten zunächst die französische Nachrichtenagentur AFP sowie der Radiosender Europe 1. Kurz darauf bestätigte die Pariser Abendzeitung Le Monde, zwei ihrer Journalisten hätten Personen kontaktiert, deren Daten sich in den veröffentlichten Auszügen aus den entwendeten Dateien fanden. Diese hatten demnach entweder Charlie Hebdo abonniert oder aber mindestens einmal in ihrem Onlineshop, der auch Bücher und Plakate vertreibt, eingekauft. Ein Abonnent berichtete, er beziehe die Wochenzeitung erst seit Mitte Dezember; der Datendiebstahl muss also in jüngster Zeit erfolgt sein.

Zusätzlich zum Angebot, gestohlene Daten zu erwerben, wurde ein Video veröffentlicht, das über mindestens 40 allem Anschein nach eigens eingerichtete, frisch geschaffene Twitter-Konten verbreitet wurde; als Urheber wurde der Name »Holy Souls« angegeben. Die »heiligen Seelen« oder, wie es in der französischen Version lautet, »gesunden Geister« behaupten, der Datendiebstahl habe Charlie Hebdo »demaskiert« und zeige, dass sich die Auflage des Magazins im freien Fall befinde. Nur aufgrund staatlicher Subventionen, so wird als politischer Kommentar hinzugefügt, überlebe die Zeitung. Zudem heißt es: »Überall auf der Welt machen Linke pleite.«

Diese Aussagen verleihen dem Datendiebstahl eine politische Dimension, offenbar handelt es sich bei dem Hacker­angriff nicht nur um eine finanziell motivierte Erpressung. Die Urheber könnten westliche Rechte sein, wie Le Monde anmerkt, doch kommen auch Islamisten in Frage, nicht zuletzt Gefolgsleute des iranischen Regimes. Die liberale Zeitung deutet dies nur vorsichtig an, weist jedoch auf den zeitlichen Zusammenhang mit den Pro­testen im Iran hin. Ferner ist bekannt, dass iranische Revolutionswächter im vergangenen Jahr unter Decknamen Wirtschaftsunternehmen in Malaysia gründeten, etwa um verdeckte Geschäfte im Telekommunikationssektor in Syrien zu betreiben.