Die ­Friedenskonferenz der »Jungen Welt« in Berlin

Gruß an die Genossen

Mit ihrer diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin wollte sich die Tageszeitung »Junge Welt« für den Frieden einsetzen. Eingeladen hatte sie dazu einen Unterstützer des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine
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»Den Dritten Weltkrieg stoppen – Jetzt!« Mit diesem dramatischen Slogan wurde die 18. Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung Junge Welt sowohl im Internet als auch mit großen Plakaten in deutschen Städten fleißig beworben. Am Samstag fand sie im Mercure-Hotel in der Einkaufspassage Moa-Bogen in Berlin statt und wurde live im Internet übertragen. Bis zu 15 000 Menschen verfolgten die Konferenz im Stream, an Ort und Stelle waren 3 000 Zuschau­­er:in­nen aller Altersgruppen anwesend. Zahlreiche Referent:innen, darunter Politiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen aus verschiedenen Ländern, trugen ihre Anliegen vor und diskutierten vor allem den russischen Krieg in der Ukraine und seine Folgen.

Unter den Redner:innen befand sich keine einzige ukrainische Person, dafür aber der russische Politiker Nikolaj Platoschkin. Der Gründer der Kleinpartei »Für einen neuen Sozialismus« arbeitete viele Jahre lang als Diplomat erst für die Sowjetunion, dann für Russland unter anderem in deren Botschaften in Bonn beziehungsweise Berlin und konnte seinen Vortrag, den er mit einem Gruß an die »Genossinnen und Genossen« begann, dementsprechend auf Deutsch halten. Weil ihn ein russisches Gericht wegen »Aufrufs zu Massenunruhen« zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt hat und ihm deshalb sein Reisepass entzogen wurde, konnte er nicht persönlich nach Berlin kommen, sondern wurde aus Moskau zugeschaltet. Die staatliche Repression, die er erfahren hat, ermöglichte es, ihn bei er Konferenz als kremlkritischen Oppositionellen vorzustellen: Er werde »etwas völlig anderes erzählen, als was wir hier in den Medien lesen«, weil er »tatsächlich unabhängig berichten kann«.

Doch ebenso wie bei der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), für die Platoschkin 2019 bei den Duma-Wahlen kandidierte, handelt es sich bei dem Politiker in entscheidenden Fragen um einen Scheinoppositionellen. Die KPRF stimmte Ende Oktober für eine Verschärfung des repressiven Gesetzes gegen »homosexuelle Propaganda« und ihr Führungspersonal unterstützt mit aggressiver imperialistischer Rhetorik den russischen Angriffskrieg, aber nach Auffassung der Jungen Welt muss offenbar Kommunismus drin sein, wo er draufsteht.

Platoschkins Sozialismus äußert sich darin, die Sowjetunion zurückzufordern, wofür er tosenden Applaus bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz erntete. In der Vergangenheit äußerte er sich oft positiv über Stalin, machte die USA für die Covid-19-Pandemie verantwortlich und meinte, dass der Krieg gegen die Ukraine andauern werde, bis die Sowjetunion in Gestalt der Vereinigung der sogenannten Brüdervölker der Ukrainer und Russen wiederhergestellt ist, denn etwa 60 Prozent der Russen würden dies aktuellen Umfragen zufolge befürworten. Was die Bürger:innen der Ukraine darüber denken, die 1991 schon vor dem Zerfall der Sowjetunion in absoluter Mehrheit für die Unabhängigkeit ihres Landes stimmten, interessiert Platoschkin nicht. Er erzählt, dass Soldaten der ukrainischen Armee unter dem Symbol der SS-Division Galizien kämpften, erwähnt jedoch nicht, dass vor allem auf russischer Seite Nationalbolschewisten, Rechtsextreme jeglicher Couleur und von der Gruppe Wagner angeheuerte Verbrecher ganze Brigaden und Bataillone bilden.

Während der Konferenz beschoss die russische Armee erneut mit Raketen Ziele in der gesamten Ukraine; in der Stadt Dnipro wurde ein Wohngebäude zerstört, wobei mindestens 40 Zivilisten ums Leben kamen. Platoschkin verlor dazu in seiner Rede kein Wort. In der Vergangenheit hatte er die Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine als legitim bezeichnet und insgesamt die russische »Spezialoperation« unterstützt. Er ließ keine Gelegenheit aus, um die Souveränität der Ukraine in Frage zu stellen, während er gleichzeitig auf das Recht zur Unabhängigkeit der Donezker und Luhansker »Volksrepubliken« pochte. Den Ruf »Slawa Ukrajini« (Ruhm der Ukraine) setzte er mit dem deutschen »Sieg Heil« gleich, die ukrainische Armee mit den Kollaborateuren im Zweiten Weltkrieg, die Bedeutung von Stepan Bandera für die ukrainische Nationalbewegung überzeichnete er ins Unermessliche. Während Russland sich verhandlungsbereit zeige, eskaliere Wolodymyr Selenskyj mit Unterstützung des Westens und der Nato den Konflikt.

Kaum jemand von der gesamten Redner:innenliste, die namhafte Persönlichkeiten wie Sevim Dağdelen von der Linkspartei umfasste, verurteilte den russischen Krieg gegen die Ukraine, im Gegenteil wurden immer wieder Friedensverhandlungen und ein Ende der Waffenlieferungen gefordert – jener der westlichen Staaten an die Ukraine, nicht derer von Nordkorea und Iran an Russland. Russland und China wurden über die gesamte Konferenz hinweg als Opfer des Westens und nicht als diktatorische Staaten mit eigenen imperialen Interessen dargestellt. Eine Demonstration gegen diesen Propagandakarneval gab es nicht.