Eine neue Biographie des Tennisstars und Impfgegners Novak Dokovic

Querdenker auf dem Tennisplatz

Der Journalist Daniel Müksch hat eine Biographie des serbischen Tennisstars Novak Dokovic geschrieben.

Am 10. Januar begannen in Melbourne die ersten Spiele des Tennisturniers Australian Open, eines der vier Grand-Slam-Turniere. Das sind die bedeutendsten Wettkämpfe des sogenannten weißen Sports. Am 13. Januar stieg der Favorit Novak Dokovic ins Turnier ein. Im vergangenen Jahr hatte seine Anwesenheit dort aus diesem Sportgroßereignis ein kontinentübergreifendes Politikum gemacht – denn Dokovic war ohne Nachweis einer Coronaimpfung angereist.

Der serbische Tennisstar musste zunächst in einem Quarantäne-Hotel wohnen. Sein Visum wurde nach erst gewonnenen, dann verlorenen Gerichtsprozessen über mögliche Ausnahmen und Interpretationen der Infektionsschutzbestimmungen schließlich aufgehoben. Dokovic wurde aus Australien abgeschoben. Um sich für das sportliche Aushängeschild stark zu machen, hatte der sich damals im Wahlkampf befindende serbische Präsident Aleksandar Vučić alle Register verbaler Kraftmeierei in der Außenpolitik aufgeboten – inklusive öffentlich geäußerter Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit Australiens.

Dass der Kosovo zu Serbien gehöre, mit dieser Meinung steht Dokovic in der serbischen Sportwelt nicht alleine.

Zu Beginn des vergangenen Jahres galten in Australien noch sehr strikte Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Dieses Jahr hingegen gibt es bei den Australian Open überhaupt keine Infektionsschutzbestimmungen mehr. Dokovic konnte anreisen und könnte das Turnier die­ses Jahr zum zehnten Mal gewinnen.

Er ist nicht erst seit der Kontroverse um seinen Impfstatus umstritten. Der Sportjournalist Daniel Müksch, der sein Handwerk bei Focus, Playboy und Bunte lernte, hat ihm nun die gut lesbare Biographie »Ein Leben lang im Krieg« gewidmet. Chronologisch zeichnet er den holprigen, von Aussetzern geprägten Weg Dokovics nach, der ihn zu dem Tennisstar machte, der bislang am längsten die Weltrangliste anführte.

Anders als die früheren Arbeitgeber des Autors vermuten lassen könnten, kommt sehr wenig Boulevard in der Biographie vor. Vielmehr erfährt der Leser auch einiges über die Organisation und Ökonomie im Profitennis, dem neben der Formel 1 wohl reiseintensivsten Wettkampf­sport des Planeten. Während der elfmonatigen Wettkampfsaison spielen die erfolgreichen Spieler fast jede Woche in einem anderen Land, fliegen von Kontinent zu Kontinent.

Für Dokovic ist es ein lohnendes Geschäft. Er soll bis heute allein an Preisgeldern 150 Millionen US-Dollar verdient haben. Dazu kommen noch Sponsoringgelder und gutdotierte Ver­träge mit seinen wechselnden Aus­stattern. Über seinen ehemaligen Sportausstatter Sergio Tacchini wird erzählt, dass er Dokovic nicht mehr habe bezahlen können, da der Vertrag leistungsbezogene Boni beinhaltete, die nach Dokovics Durchbruch 2011 schlichtweg zu teuer für die italienische Sportmarke wurden. Auch mit Merchandise aller Art wird Geld verdient; zum Beispiel organisierte eine Agentur den Verkauf von Đokovićs Hochzeitsbildern an das höchstbietende Medium für eine knappe Million US-Dollar.

Müksch sucht in der Kindheit und vor allem in den traumatischen Erlebnissen des Jugendlichen Novak während der Nato-Bombardierungen Serbiens im Jahr 1999 Antworten auf die Frage, warum Dokovic ist, wie er ist. Warum er sich nicht den Anstandsregeln des Profitenniszirkus unterwirft, obwohl dieser ihm so viel Geld einbringt. Warum er es nie zum Publikumsliebling außerhalb des postjugoslawischen Raums sch­aff­te, obwohl er, mit Ausnahme der Olympischen Spiele, alles gewonnen hat, und das oft mehrfach, was es im Sport mit dem gelben Filzball zu gewinnen gibt.

Müksch zufolge war Dokovic weder von Geburt an mit einem alles in den Schatten stellenden Talent ausge­stattet, noch kommt er aus einer Familie, die so fest im Berufssport verankert ist, dass ihm von Anfang an alle Türen offen gestanden hätten. Das unterscheidet ihn von seinen Dauerrivalen, dem Schweizer Roger Federer und dem Spanier Rafael Nadal. Dokovic machte und macht dies durch Selbstdisziplin wett. Er ist eine Trainingsmaschine, strahlt gelegentlich die Aura eines Buchhalters aus und scheut gleichzeitig nicht davor zurück, sich bei Fans des Sports und dessen Funktionären unbeliebt zu machen.

Die mehrmonatige Bombardierung Serbiens durch die Nato, um die Unabhängigkeit des Kosovo zu erzwingen, prägt Dokovic laut Müksch bis heute, macht ihn zum »Krieger. Immer und überall. Ein Leben lang.« Heutzutage befindet sich ein Graffito an der Wand des Belgrader Wohnhau­ses seines Großvaters Vlado, eines Plattenbaus, in dessen Keller er vor den Bomben Schutz suchen musste. Es zeigt den jungen Dokovic, einge­rahmt von seinem Opa und seiner Entdeckerin, der Trainerin Jelena Genčić. Diese soll auch Anteil am großen Erfolg der jugoslawischen Weltklassespielerin Monika Seleš, der Einfachheit halber Monica Seles geschrieben, gehabt haben. Seles’ Karriere war am 30. April 1993 durch den Messerangriff eines Fans von Steffi Graf während eines Matches in Hamburg abrupt unterbrochen worden; Seles kehrte zwar 1995 ins Profitennis zurück und zählte wieder zu den Spitzenspielerinnen, ihre alte Dominanz erreichte sie aber nicht mehr.

Geprägt wurde der junge Dokovic aber auch durch die Nachkriegszeit, in der es nach der Zerstörung durch die Bombardierungen keine Ressourcen für eine staatliche Förderung des Tennistalents mehr gab. Die Familie gab ihr gesamtes Erspartes aus und lieh sich Geld bei Kredithaien, damit ihr Sohn in Deutschland auf eine Ten­nisschule gehen konnte. Die Schulden plus Wucherzinsen wurden mit den Preisgeldern der ersten Jahre zurückgezahlt. Es war eine Alles-oder-nichts-Wette der Familie auf den Erstgeborenen.

Dokovic hält an seiner Ansicht fest, dass der Kosovo weiterhin ein fester Bestandteil Serbiens sei, und ruft damit Irritationen in der Öffentlichkeit einiger der Länder hervor, die die wichtigsten Tennisturniere austragen. Seine Mutter stammt aus dem Kosovo und einen Teil seiner Kindheit verbrachte er unweit der heutigen Grenze zum von der Nato geschaffenen UN-Schutzgebiet. Dass der Kosovo zu Serbien gehöre, mit dieser Meinung steht Dokovic in der serbischen Sport­welt nicht alleine. Alexander Mennicke, ein Experte für Sport im Balkan, nennt im Gespräch mit der Jungle World allein drei Beispiele wie Zaunfahnen, Spendensammlungen und Wechselgesänge von Zuschauern bei serbischen Sportveranstaltungen der vergangenen Wochen, in denen eine solche Haltung zum Kosovo ausgedrückt worden sei.

Auf die Frage, ob Dokovic politisch rechts einzuordnen sei, sagt der ehemalige Leiter des Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Krunoslav Stojaković, der Jungle World: »Er ist da eher pragmatisch, mit dem serbischen Staatspräsidenten lässt er sich fotografieren, weil er das für seine Projekte wie eine Tennisakademie wohl als nützlich erachtet; ob er ihm jetzt politisch wirklich nahesteht, würde ich aber verneinen.« Er ordnet Dokovic in die serbischen Debatten folgendermaßen ein: »Von rechten Me­dien, vor allem den in Serbien sehr einflussreichen Boulevardmedien, wird seine freundschaftliche Verbindung zu kroatischen Fußballern wie etwa Luka Modrić als unpatriotisch kritisiert, seine offene Sympathie für die kroatische Fußballnationalmannschaft passt da in ein ähnliches Raster.« Von eher linken und liberalen Teilen der Gesellschaft werde jedoch »seine politische Instrumentalisierung durch den Staatspräsidenten kritisch betrachtet«. In dieses Bild passt auch, dass ihm die serbische Tennisnationalmannschaft beim Davis-Cup eine Herzensangelegenheit ist, wofür er kein Geld nimmt. Dafür konnte er für sie 2008 den Kroaten Nikola »Niki« Pilić als Berater installieren. Obwohl damals die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Serbien und Kroatien bereits 13 Jahre zurücklagen, war das keine Selbstverständlichkeit.

Womöglich passt die während der Pandemie entstandene Bezeichnung »Querdenker« am besten auf Dokovic , der auch irgendwo im saturierten Westeuropa zu Hause sein könnte. De facto ist er es auch. Trotz aller patriotischen Bekundungen zieht er das Steuerparadies Monte-Carlo als Wohnsitz der alten Heimat vor. Dort eröffnete er auch das erste vegane Restaurant der Stadt. Er schwört auch auf Alternativmedizin, die wie sein zeitweiliger Arzt Igor Četojević wissen­schaftlich nicht haltbare Mythen propagiert. So soll Cetojevic zufolge beispielsweise »die Lunge mit dem Dickdarm verbunden« sein. Als medi­zinischer Ratgeber brachte er Dokovic dazu, Meditationen in seine sportlichen Vorbereitungen einzubauen. Der Tennisspieler beschäftige sich seitdem auch viel mit Innerlichkeit, wie Müksch schreibt. Trotz des Fehlens wissenschaftlicher Evidenz lässt sich sagen, dass die Ernährungsberatung und das geistige Entspannungstraining von Cetojevic im Jahr 2011 anscheinend den Knoten bei Dokovic platzen ließen: Er stand in diesem Jahr das erste Mal auf Platz eins der Weltrangliste. Aus dem einstigen Kriegskind wurde ein Superstar – manchmal versetzt der Glaube eben doch Berge, zumindest im Sport.

Daniel Müksch: »Novak Djokovic – Ein Leben lang im Krieg«. Verlag Die Werkstatt 2022, 248 Seiten, 22 Euro