Aserbaidschan schottet das armenisch besiedelte Bergkarabach weiter ab

Isoliert, blockiert, belagert

Seit Mitte Dezember sperrt Aserbaidschan den Zugang zur armenisch besiedelten Enklave Bergkarabach. Der Diktator Ilham Alijew nutzt die humanitäre Notlage als Druckmittel gegen Armenien.

Es ist eine Belagerungssituation, die nur langsam in der Weltöffentlichkeit bekannt wird: Seit fast einem Monat wird die international nicht anerkannte ­Republik Arzach in Bergkarabach mit ihren knapp 120 000 Einwohnern von den Truppen Aserbaidschans belagert. Die Versorgung der Enklave mit Strom und Gas ist regelmäßig unterbrochen. Arzach wird überwiegend von Armeniern bewohnt, die Vereinten Nationen betrachten es aber als Bestandteil Aserbaidschans. Derzeit sieht sich die ­Regierung in Arzachs Hauptstadt Stepanakert gezwungen, Lebensmittel zu ­rationieren und das Abheben von Bargeld zu begrenzen. Medikamente ­werden knapp, Krankentransporte und schwangere Frauen können das Gebiet nur in Ausnahmefällen verlassen.

Der Auslöser der jüngsten Entwicklungen war der Protest einer Gruppe Aserbaidschaner, die sich selbst als Umweltaktivisten bezeichnen, die gegen angeblichen illegalen Bergbau von Karabacharmeniern demonstrieren. Schon am 3. Dezember versuchte die Gruppe, die Verbindungsstraße zwischen Armenien und Arzach, den Latschin-Korridor, zu blockieren. Am 12. Dezember gelang es ihnen. Da in Aserbaidschan Proteste von Umweltschützern und Oppositionellen regelmäßig verboten oder gewaltsam aufgelöst werden, scheint es wahrscheinlich, dass das Regime die Demonstrationen inszenierte. Das armenische Medienportal Civilnet veröffentlichte Fotos und Videos von Protestierenden, die das Handzeichen der türkisch-faschistischen Gruppe Graue Wölfe zeigen.

Neben der Türkei und Israel ist Russland Aserbaidschans wichtigster Waffenlieferant.

Der Latschin-Korridor wie auch Teile von Arzach werden von russischen Militäreinheiten überwacht. Nach dem 44-Tage-Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 und dem für fünf Jahre vereinbarten Waffenstillstand sind knapp 2 000 russische Soldaten im Einsatz, um dieses Abkommen durchzusetzen. Mit türkischer Waffenhilfe hatte Aserbaidschan in dem Krieg Teile des völkerrechtlich umstrittenen Bergkarabach sowie sieben umliegende Gebiete zurückerobert, die Armenien Anfang der neunziger Jahre besetzt hatte. Im Verlaufe der Kämpfe kamen auf aserbaidschanischer Seite knapp 3 000, auf armenischer Seite 4 000 Menschen ums Leben. Zehntausende wurden verwundet und mussten aus dem Konfliktgebiet fliehen.

Russland duldet die Blockade der Aserbaidschaner bislang. Neben den Autoritäten in Arzach und der armenischen Regierung verurteilen mittlerweile auch andere Länder, die EU und NGOs wie Amnesty International die Blockade. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte warnt, in Bergkarabach drohe eine ethnische Säuberung durch Aserbaidschan; die Blockade sei eine Strategie, um durch Mangel und Not die armenische Bevölkerung aus dem Gebiet zu vertreiben. Der Europäische Rat kündigte an, eine Beobachtermission zur armenischen Grenze zu schicken.

Aserbaidschans Regierung äußert sich zur Situation in Bergkarabach ­zynisch. So teilte Außenminister Jeyhun Bayramov am 22. Dezember mit, die armenische Seite habe die »angebliche« humanitäre Katastrophe inszeniert, um den Eindruck einer Blockade durch Aserbaidschan zu erwecken. Das sei falsch, denn es seien die Armenier, die Zivilisten daran hinderten, das Gebiet über den Latschin-Korridor zu verlassen.

Zudem traf sich der autoritär regierende Präsident Ilham Alijew am 24. Dezember in der Hauptstadt Baku mit angeblichen Vertretern von »West-Aserbaidschan«, die ursprünglich aus der südlichsten armenischen Provinz Sjunik stammen (Jungle World 41/2022). Sjunik trennt Aserbaidschan von seiner Exklave Nachitschewan. Alijew ist bestrebt, hier territorial zu expandieren gegen den Widerstand Armeniens und auch des benachbarten Iran mit seiner großen aserbaidschanischen Minderheit. In diesem Zusammenhang behauptete Alijew, die Armenier hätten nie einen eigenen Staat im Süd­kau­kasus gehabt. Nun gehe es darum, ein Konzept für die »Rückkehr von Aserbaidschanern« nach Sjunik zu erstellen.

Von seinem Verbündeten Russland kann Armenien kaum noch etwas erwarten, auch nicht von seiner Mitgliedschaft in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), die als Nachfolgeorganisation des Warschauer Pakts angelegt war. Die Idee ist ähnlich wie bei der Nato: Ein Angriff auf einen der Mitgliedstaaten – Russland, Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, Belarus und Armenien – soll als Angriff auf alle gewertet werden. Als im September vergangenen Jahres Aserbaidschan Ziele in Armenien attackierte, machte dessen Ministerpräsident Nikol Paschinjan von der Beistandsklausel Gebrauch. Der russische Präsident Wladimir Putin lehnte das Gesuch allerdings ab und schickte lediglich eine Beobachtermission nach Armenien.

Russland pflegt gute Beziehungen zum Regime Alijews. Neben der Türkei und Israel ist Russland Aserbaidschans wichtigster Waffenlieferant. Der russische Ölkonzern Lukoil kaufte 2022 zehn Prozent der Anteile am aserbaidschanischen Gasprojekt Shah Deniz im Kaspischen Meer. Im November vereinbarten Aserbaidschan und Russland, dass Gazprom der Nachrichtenagentur Reuters zufolge mehr als eine Milliarde Kubikmeter Gas bis März 2023 nach Aserbaidschan liefern soll. Und auch die EU handelt trotz bekundeter Besorgnis um die Sicherheit der Armenier in Arzach wirtschaftlich im Sinne Aserbaidschans: Im Dezember 2022 unterzeichnete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Vertrag mit Alijew. Demnach soll Strom aus Offshore-Windparks aus dem Kaspischen Meer über Georgien nach Rumänien und Ungarn geleitet werden.

Auch das Erdgas Aserbaidschans wird immer interessanter. Bislang war es für die EU nur ein kleiner Posten, zwei Prozent der Gasimporte stammen von dort. Nach Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufgrund des Ukraine-Kriegs und dem Ausfall der russischen Gaslieferungen daraufhin ist die EU auf der Suche nach anderen Lieferanten. Neben Ländern wie Katar will Aserbaidschan seine Lieferungen erhöhen: Alijew bekräftigte Anfang Januar im aserbaidschanischen Fernsehen, dass sein Land 2023 zwölf Milliarden Kubikmeter Gas in die EU exportieren werde. Bislang wurden jährlich rund acht Mil­liarden Kubikmeter geliefert. Ab 2027 sollen jedes Jahr mindestens 20 Milli­arden Kubikmeter fließen. Um diese Absichtserklärung zu besiegeln, hatte von der Leyen Alijew bereits im Sommer 2022 in Baku besucht.