Fasching in Sachsen

Frohsinn und Pogrom

Bei einem Faschingsumzug in der sächsischen Schweiz fuhr ein Wagen mit rassistischen und queerfeindlichen Motiven mit. Das hat dort Tradition.
Der nahe Osten – eine Kolumne über die sächsischen Verhältnisse Von

Karneval gibt es fast überall auf der Welt und er hatte kulturhistorisch mal eine wichtige Funktion: Durch die zeitlich klar begrenzte, öffentliche Regelüberschreitung werden die im Rest des Jahres geltenden Regeln des sozialen Verhaltens hervorgehoben und als solche anerkannt. Der ritualisierte Bruch mit der Konvention diente dazu, diese zu festigen. Ursprünglich richtete sich die Grenzüberschreitung vornehmlich gegen die Herrschaft, also gegen jene, die die Regeln bestimmten und die man nicht kritisieren durfte – außer eben zu Karneval. So gehörte zu diesem auch die temporäre Aufhebung sozialer Hierarchien. Mittlerweile geht es oft bloß noch darum, die Sau rauszulassen, und bekanntlich treten die meisten lieber nach unten als nach oben. In Zeiten einer angeblichen »woken Diktatur« und cancel culture dient die Faschingszeit auch gerne als Gelegenheit, endlich mal wieder öffentlich gegen Minderheiten zu hetzen.

In Prossen, einem Ortsteil von Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz, fuhr am vorvergangenen Wochenende bei der sogenannten Schifferfastnacht ein Mottowagen mit der Aufschrift »Asyl-Ranch« mit. Auf dem Wagen tanzten ein Dutzend als »Indianer« verkleidete Narren und Närrinnen, einer von ihnen hatte als Kriegsbemalung die Farben des Deutschen Reichs ins Gesicht gemalt. Dazu hing an der Seite ein Schild mit dem Reim: »Deutschland dekadent und krank. Winnetou sucht Asyl im Sachsenland«. Ebenfalls auf dem Wagen war ein Marterpfahl, und daran festgebunden – offenbar als Sinnbild für das »dekadente und kranke« Deutschland – eine in Regenbogenfarben gekleidete Person. Der Marterpfahl, so kann man auf Wikipedia lesen, wurde früher für »Feinde des Stammes« benutzt, um sie der Erniedrigung und Folter auszusetzen. Das ist kein Karnevalsspaß, sondern eine Drohung – nicht zuletzt gegen die wenigen queeren Menschen in solchen Dörfern.

Den Karneval zu nutzen, um homophoben und rassistischen Ressentiments freien Lauf zu lassen, hat in Sachsen Tradition. Im Frühjahr 2015 geriet der kleine Ort Reinhardtsdorf-Schöna in die Schlagzeilen, weil sich dort eine Faschingstruppe die Gesichter schwarz angemalt und Afroperücken sowie lange, vermeintlich afrikanische Gewänder angezogen hatte. Mit einem Schild »reisefreudige Afrikaner« und einem Anhänger, auf dem »Asyllounge« stand, zogen sie durch die Straßen. Im 50 Kilometer entfernten Geising trugen andere Narren und Närrinnen zur gleichen Zeit Affen-, Schweine- und Rindermasken und hielten ein Transparent »Asyl für alle!?« hoch.

Auch die Bad Schandauer werben nicht das erste Mal mit negativen Schlagzeilen für ihren Karneval. Im November 2021 war eine Feier des Karnevalsclubs auf dem Markt eskaliert, als Polizei und Ordnungsamt die Bestimmungen zum Pandemieschutz kontrollierten wollten – bei einer Siebentageinzidenz über 1 100. Der Club brach daraufhin die Feier ab, Teilnehmer:innen gingen auf die Polizei los. Im Februar vergangenen Jahres sorgte dann ein Faschingsumzug in Postelwitz, einem weiteren Ortsteil von Bad Schandau, für Empörung. Von den Schildern und Sprüchen her sei der Aufzug von einer »Querdenker«-Demo nicht zu unterscheiden gewesen, erzählte ein Tourist dem MDR. Vorneweg lief ein Mann in stilisierter SA-Uniform, mit braunem Hemd und roter Armbinde. Der Tourismusverein Elbsandsteingebirge e. V. konnte die Aufregung damals nicht nachvollziehen, sondern beklagte vielmehr fehlende »Toleranz und Meinungsvielfalt« für die Narren und Närrinnen. Kein Wunder, schließlich ist der Vorsitzende des Tourismusvereins, Ivo Teichmann, zugleich AfD-Abgeordneter im Sächsischen Landtag.

Aber auch Jens George, der Vorsitzende der Schiffergesellschaft, die den Aufzug in Prossen organisiert hatte, verteidigte den als Witz verpackten Hass im Spiegel: »Das ist alles von der Meinungsfreiheit gedeckt.« Das mag er auch schon vor drei Jahren gedacht haben, als bei der Schifferfastnacht ein »Fuck you Greta«-Wagen mitfuhr, mit abgetrennten Köpfen, die die schwedische Klimaaktivistin darstellen sollten. Oder 2017, als manche seiner Faschingskamerad:innen in Burkas mitliefen und dazu ein Schild »Fastnacht 2048« trugen – eine Anspielung auf die von rechtsextremen Kreisen geschürte Angst vor Islamisierung.

Derlei Ausfälle zu Karneval, von denen sicherlich nur die wenigsten bekannt werden, wirken noch bedrohlicher, wenn man bedenkt, dass sie niemanden im Aufzug selbst oder im Publikum zu stören scheinen oder sich zumindest niemand traut, dagegen aufzubegehren – und die Faschingsvereine anschließend gar stolz Bilder und Videos davon in den sozialen Medien teilen. »Wo der Frohsinn herrscht, ist das Pogrom nicht weit«, sagte Thomas Ebermann neulich. Dass dies nicht übertrieben ist, lässt sich jedes Jahr bei Faschingsumzügen in Sachsen beobachten.