Homestory

Homestory #05/23

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Das Wehklagen über die Zumutungen des Berliner Wohnungsmarkts ist seit Jahren ein beliebtes Thema für Partygespräche. Fast jeder hat Geschichten zu erzählen über Wohnungsbesichtigungen, bei denen sich die Schlange der Anwärter bis draußen auf die Straße erstreckte, oder über Wohnungsbesitzer, die nach dem Kauf einer Mietwohnung prompt ihren Eigenbedarf an einer Zweitwohnung im Berliner Szenekiez entdeckten und auch nicht zögerten, diesen vor Gericht durchzusetzen.

Dabei ist es nicht so, als wäre die Lage in Berlin im Vergleich mit anderen europäischen Hauptstädten oder selbst anderen Großstädten in Deutschland besonders schlecht. Ein Redakteur weiß von Mietannoncen in London zu berichten, in denen eine Familie das unschlagbare Angebot machte, für immerhin erschwingliche 500 britische Pfund im Monat in einem Zelt in ihrer Küche zu wohnen beziehungsweise zu campieren. Was viele Berliner jedoch so besonders schmerzt und oft zu nostalgischen Wehklagen motiviert, ist die Geschwindigkeit, mit der sich in den vergangenen Jahren die Neumieten verteuert haben. Viele erinnern sich an noch gar nicht so lange zurückliegende Zeiten, als der Wohnraum selbst in den mittlerweile beliebtesten Innenstadtlagen zwar nicht komfortabler, aber leichter verfügbar und vor allem erschwinglicher war. Ein Redakteur denkt mit Wehmut an seine erste Wohnung in Kreuzberg zurück: »Kohleofen, Dusche in der Küche, Toilette auf dem Flur, Miete: 90 Euro im Monat.« Klar, das war minimalistisch, und zwar auf eine andere Weise als der derzeitige Trend zum minimalistischen Wohnen, aber eben auch ohne Vollzeitarbeit bezahlbar.

Offenkundig sind Bohemiens, die ihr Leben nicht nach der Erwerbsarbeit ausrichten wollen, weil sie anderes zu tun haben, nicht die wichtigsten Opfer der Verdrängung aus Innenstadtlagen, aber viele der künstlerischen und musikalischen Szenen des 20. Jahrhunderts wären kaum möglich gewesen, hätte man nicht in Städten leben können, ohne ums finanzielle Überleben kämpfen zu müssen. In Berlin wohnen heutzutage in den ehemaligen Szenebezirken stattdessen die meisten Menschen mit hohen Einkommen, Software-Konzerne bauen dort ihre Zentralen und Agenturbüros statt politischer Projekte nehmen die Ladenlokale in Beschlag. Immerhin, Platz für die neuen Büroräume dieser Wochenzeitung findet sich dazwischen auch noch, denn nach vielen Jahren steht wieder ein Umzug bevor. Darüber hoffentlich sehr bald an dieser Stelle mehr.