Neue Lösungsvorschläge für den Lehrermangel

Achtsamkeit gegen Lehrermangel

Derzeit sind mindestens 12 000 Lehrerstellen unbesetzt. Besonders groß ist das Problem an Schulen für sozial benachteiligte Kinder. Kürzlich hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultus­ministerkonferenz Vorschläge veröffentlicht, wie das Problem zu lösen sei. Sie laufen darauf hinaus, die Arbeitsbedingungen der Lehrer­schaft noch mehr zu verschlechtern.

An einer Förderschule im Hamburger Osten steht ab kommender Woche ein gelernter Koch vor einer Klasse mit 14 Halbwüchsigen; alle haben einen Förderbedarf im Bereich Lernen, viele auch in der eher schwammig definierten »emotional-sozialen« Entwicklung. Ursprünglich sollte er nur einen Kochkurs an der Schule übernehmen, doch nun steht Mathe, Deutsch oder ein beliebiges Fach auf dem Stundenplan. Mit einem Honorarvertrag. Einarbeitung? Keine. Vorkenntnisse im Bereich Schule? Ebenfalls Fehlanzeige.

Das Beispiel der Hamburger Förderschule ist extrem, doch das Problem gibt es bundesweit an den meisten Schulen. Landauf, landab macht er sich bemerkbar – der Lehrermangel. Die Schätzungen der Größenordnung des Mangels gehen weit auseinander. Während die Kultusministerien der Länder von rund 12 000 offenen Stellen sprechen, vermutet der Deutsche Lehrerverband eher 32 000 bis 40 000 fehlende Pädagogen.

In sozial benachteiligten Vierteln ist der Lehrermangel ausgeprägter – zu diesem Ergebnis kam schon 2019 eine Studie des Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozialforschung.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat ihre Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) um Empfehlungen gebeten, wie man des Mangels Herr werden könnte. Herausgekommen ist eine Liste von Maßnahmen, die einen nicht allzu attraktiv erscheinenden Beruf noch bedeutend unattraktiver machen würden. »Die SWK spricht sich dafür aus, die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu begrenzen«, heißt es in dem Bericht der Kommission. Eine »Reduktion auf unter 50 Prozent der Arbeitszeit etwa sollte nur aus besonderen Gründen möglich sein, ebenso sollten Sabbaticals befristet eingeschränkt werden.« Darüber hinaus sollen Klassen vergrößert und die Arbeitszeit »maßvoll« erhöht werden. Wer den Stress nicht aushält, dem empfiehlt einer der Experten im Interview mit der Zeit »Achtsamkeitstraining oder andere Entspannungstechniken«.

»Das ist blanker Hohn«, empörte sich die GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Ihre Kollegin und stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg, Yvonne Heimbüchel, sagte: »Der Angriff auf die Teilzeitmöglichkeiten ist hochproblematisch. Niemand arbeitet grundlos in Teilzeit. Vielfach sind die Arbeitsbedingungen das Problem.«

Der Lehrermangel ist in ostdeutschen Bundesländern besonders groß, und dort vor allem in ländlichen Gebieten. Matthias Schulz arbeitet an einem Gymnasium im Leipziger Osten. Vor vielen Jahren, als er Berufsanfänger war, habe die Schulbehörde ihn zunächst an einer Grundschule auf dem Land in Ostsachsen einsetzen wollen, erzählte er der Jungle World. Er habe abgelehnt, weil er sich als ausgebildeter Gymnasiallehrer an einer Grundschule deplatziert gefühlt hätte. Vor allem im ländlichen Raum sei der Anteil an Quereinsteigern hoch. »Die werden dann auch mal unvorbereitet vor Klassen gestellt mit der Ansage: Bitte auf die Oberstufe vorbereiten«, sagte Schulz.

Auch in anderen Bundesländern fehlen Lehrkräfte nicht überall. »An meinem Gymnasium in Eims büttel haben wir keinen Lehrermangel«, sagte Silke V., die als Gymnasiallehrerin in dem Hamburger Szenestadtteil arbeitet. Die Schule findet auch in der jetzigen angespannten Lage immer noch geeignetes und gut ausgebildetes Personal. »Wenn man sich aber die Gymnasien oder Stadtteilschulen in Lohbrügge oder Mümmelmannsberg anschaut, sieht die Situation ganz anders aus«, so die 52jährige Pädagogin.

Deutschland wird seit jeher für seine ungerecht verteilten Bildungschancen kritisiert, die auch heutzutage oftmals vom Bildungsgrad oder dem Einkommen der Eltern abhängen. In Zukunft droht die Kluft zwischen Blankenese und Steilshoop oder Leipzig und Reichenbach in der Oberlausitz nicht nur aufgrund des Einkommens und des sozialen Status der jeweiligen Elternhäuser größer zu werden. Denn besonders in den Problemstadtteilen ist der Schulalltag geprägt von Unterrichtsausfall und unzureichend ausgebildeten Quereinsteigern in den Lehrerberuf.

In ärmeren Vierteln ist der Lehrermangel ausgeprägter – zu diesem Ergebnis kam bereits 2019 eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, die Berliner Schulen untersuchte. An »sozial benachteiligten Schulen ist die Personalabdeckung schlechter, Unterricht muss häufiger vertreten werden oder fällt aus und an ihnen arbeiten mehr Lehrkräfte ohne Lehramtsstudium als an Schulen mit einer besseren sozialen Zusammensetzung«, hieß es darin.

Die GEW kritisiert, dass der Lehrkräftemangel seit langem abzusehen war. »Bildungsforschende, Verbände und auch die GEW weisen seit Jahren auf die Schönrechnerei der KMK hin. Passiert ist: nichts«, sagte Finnern. In einem 15-Punkte-Programm fordert die Gewerkschaft unter anderem eine Entlastung der Lehrer, um den Beruf wieder attraktiver zu machen. Darüber hinaus sollen schnellstmöglich Studienplätze ausgebaut werden und das Entgeltniveau für beamtete Lehrer soll überall auf A13 (oder für angestellte Lehrer E13) angehoben werden. Die Gehaltsstufe A13 entspricht einem Bruttogehalt von mindestens 4 592 Euro. Schnell lassen sich die Konsequenzen der jahrelang falschen Bedarfsrechnungen allerdings wohl nicht beheben, es geht wohl nur noch darum, noch Schlimmeres abzuwenden.

In einer vom Verband Bildung und Erziehung im Deutschen Beamtenbund beauftragten Studie kam der Bildungsforscher Klaus Klemm zu dem Ergebnis, dass die Kalkulationen der Kultusministerkonferenz hinsichtlich der Entwicklung der Schülerzahlen korrekt seien. Diese rechne mit einem Anstieg der Schülerzahl bis 2030/2031 um 9,2 Prozent. Wegen der »drei schulpolitischen Reformmaßnahmen Ganztagsausbau, Inklusion und die Unterstützung von Kindern in herausfordernden sozialen Lagen« sei der Bedarf an Lehrern aber deutlich höher als angenommen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 2030 insgesamt 81 000 Lehrkräfte fehlen dürften. Achtsamkeitsübungen werden dagegen sicher nicht helfen.