Ein Band zum 125. Geburtstag von Bertolt Brecht

Hier spricht Brecht

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Neues vom alten Brecht? Bis zum letzten Vers, zur letzten Liebesnacht scheinen Werk und Leben erforscht, die Sekundärliteratur füllt ganze Bibliotheken, auf der Bühne herrscht die »aufhaltsame Wirkungslosigkeit eines Klassikers«, wie es Jost Hermand einmal nannte. Nun veröffentlicht der junge Literaturwissenschaftler Noah Willumsen bisher unbekannte Interviews, die Brecht in der Zeit von 1926 bis kurz vor seinem Tod 1956 gegeben hat. »Unsere Hoffnung ist die Krise« lautet der Titel des 750 Seiten umfassenden Bands, der pünktlich zum 125. Geburtstag des Autors am 10. Februar erscheinen soll. Brecht ist von dem damals neuen Format der Befragung durch Zeitungen fasziniert. »Ich werde mich an allen Umfragen beteiligen, von der Qualität einer Zahnpasta bis zu politischen Problemen«, schreibt er. Brecht nutzt die Aufmerksamkeit der Medien, um sich zu äußern – sei es zur Krise des Theaters oder zur Weltpolitik. Offenbar will er auf sein Gegenüber Eindruck machen: Er wählt schlichte Kleidung, tritt höflich auf und verbindet theoretische Überlegungen mit spitzen Pointen. Die knapp 100 Archivfunde zeigen, wie Brecht das Gespräch zu einer Kunstform macht. Jahre später wird Heiner Müller daran anknüpfen. Nachdrucke in internationalen Zeitungen bescheren Brecht ein Publikum in Indien oder dem Libanon. Nur ein Fernsehinterview, das die BBC noch kurz vor seinem Tod mit ihm machen wollte, lehnte er ab.

Ob in Berlin, Dänemark, der Sowjetunion oder den USA – Brecht ist ein gefragter Gesprächspartner. Mit ihm reist man in die Frühzeit des Interviews, als das Gespräch nicht als Abschrift einer Tonbandaufnahme, sondern aus Sicht des Journalisten – darunter der junge Marcel Reich-Ranicki – geschildert wird. Vorzüglich kommentiert von Willumsen, taucht man in eine größtenteils untergegangene Zeitungslandschaft und ein Geflecht von Biographien ein, die durch die Begegnung mit dem Jahrhundertdichter verbunden sind.

Bertolt Brecht: Unsere Hoffnung heute ist die Krise. Interviews 1926–1956. Suhrkamp 2023, 750 Seiten, 35 Euro