Interview mit Matthias Thaden über Exilkroaten in der Bundesrepublik

»Rechte Gewalt war ein blinder Fleck«

Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden zahlreiche Anhänger der faschistischen kroatischen Ustaša-Bewegung Unterschlupf in der Bundesrepublik Deutschland. Dort verübten sie Anschläge auf Einrichtungen und Repräsentanten des sozialistischen Jugoslawien, dessen Agenten wiederum gezielt gegen die Exilkroaten vorgingen. Der Historiker Matthias Thaden hat in seiner Studie »Migration und Innere Sicherheit« diese weitgehend unbekannte Episode der hiesigen Einwanderungsgeschichte ausführlich untersucht und erzählt im Interview mit der »Jungle World«, wie die westdeutschen Behörden auf den Terror reagierten.
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An den gewaltsamen Konflikt zwischen kroatischen Rechtsextremisten und den Agenten von Titos Jugoslawien, der einst auf westdeutschem Boden ausgetragen wurde, erinnern sich heute fast nur noch ältere Menschen jugo­slawischer Herkunft. Warum ist diese Auseinandersetzung, die etwa 30 Todesopfer forderte, aus der politischen Erinnerung verschwunden?

Das ist eine Frage, die ich mir während der Arbeit an dem Buch natürlich auch immer wieder gestellt habe. Sie betrifft ja nicht nur die Exilkroaten, sondern auch viele andere migrantische Gruppen mit unterschied­licher politischer Orientierung. Die Gewalt von Exilkroaten sticht jedoch hervor. Ich glaube zudem, dass sie nicht nur aus der Erinnerung verschwunden ist, sondern schon in den sechziger und siebziger Jahren nur wenigen in Westdeutschland bewusst war. Das hat sicherlich mit ­einem geteilten gesellschaftlichen Selbstverständnis zu tun: In dem »Nicht-Einwanderungsland« Deutschland gab es lange Zeit eine große Ignoranz gegen migrantischen Täter und vor allem gegen ihre migrantischen Opfer. Zudem hat es mit einem Denkmuster des Kalten Kriegs zu tun, das politische Gewalt vor allem mit der politischen Linken in Verbindung br­achte. Rechte Gewalt – und erst recht migrantische rechte Gewalt – war demgegenüber ein blinder Fleck. Das beginnt sich nun langsam zu ändern.

Wer waren die Konfliktparteien?

Vereinfacht könnte man sagen, dass es sich um eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs auf dem Territorium der Bundesrepublik handelte: kroatische Ustaše gegen jugoslawische Partisanen. Die Realität war ­natürlich komplexer: Die kroatische politische Emigration war sehr divers, was vor allem mit der Migration der »Gastarbeiter« ab den sechziger Jahren und mit Kontakten zu jugoslawischen Reformbewegungen zu­sammenhing. Anfangs bestanden die Exilgruppierungen vor allem aus Angehörigen des faschistischen Regimes und seiner Streitkräfte. Viele waren an Verbrechen an der serbischen Bevölkerung, an Juden oder Roma beteiligt gewesen. Ab den Sechzigern setzte insgesamt eine Verjüngung ein. Es kam zur Organisa­tion klandestiner Gruppen, die auch vor Terror nicht zurückschreckten. Der jugoslawische Staat sah hierin eine echte Bedrohung und bekämpfte diese Gruppen bis hin zur gezielten Tötung ihrer Anführer. Die Gewalt von Exilkroaten und diese Reak­tionen des jugoslawischen Geheimdiensts setzten im Laufe der Zeit eine Radikalisierungsspirale in Gang.

Das 1968 geschlossene Anwerbeabkommen zwischen den Regierungen in Bonn und Belgrad war der letzte »Gastarbeiter«-Vertrag, er sollte vor allem die bislang ­wilde Migration aus Jugoslawien bändigen. Was für Voraussetzungen hatten kroatische Rechtsextremisten in Westdeutschland vor­gefunden?

Da bis 1968 offiziell nicht einmal diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern bestanden, war die Situation bis dahin tatsächlich recht unübersichtlich und vor allem arbeitsrechtlich prekär gewesen. Mit dem Anwerbeabkommen gingen dann Beratungs-, Betreuungs- und Freizeitangebote einher, die der ju­goslawische Staat bereitstellte und die es zuvor so nicht gegeben hatte. Das war eine Lücke, die die Exilkroaten in den fünfziger und sechziger Jahren recht erfolgreich für sich genutzt hatten. Sie halfen bei der ­Wohnungs- und Jobsuche oder stellten Bescheinigungen für die Behörden aus. Vor allem die katholischen Gemeinden und die kroatischen Exilpriester waren wichtig, da sie Räume und Infrastrukturen für zum Teil offen faschistische Exilgruppen bereitstellten. Dort wurden auch Mitglieder gewonnen, die bisweilen zur Beteiligung oder zu Spenden ­genötigt oder erpresst wurden.

Welche Anschläge und Morde stechen besonders hervor?

Ein wichtiger Wendepunkt war der Angriff auf die jugoslawische Handelsmission nahe Bonn 1962. Bewaffnete Exilkroaten verwüsteten das Gebäude und töteten einen Menschen. In den nächsten zwei Jahrzehnten kam es dann immer wieder zu Anschlägen auf jugoslawische Institutionen und Gebäude in der Bundesrepublik bis hin zur gezielten Ermordung staatlicher Repräsentanten, so etwa des Stuttgarter Konsulatsmitarbeiters Sava Milovanović 1966 und des Frankfurter Konsuls Edvin Zdovc 1976. Hervorzuheben ist auch der vermutlich von einem jugosla­wischen Agenten verübte Dreifachmord an den Exilkroaten Vid Maričić, Krešimir Tolj und Mile Rukavina in München 1968. In Westdeutschland lebende kroatische Aktivisten waren auch grenzüberschreitend aktiv. Die Drahtzieher der Sprengstoffatten­tate auf den Belgrader Bahnhof und ein Kino 1968 kamen aus der Bodenseeregion. Auch der bewaffnete Einfall der exilkroatischen Bugojno-Gruppe in Jugoslawien 1972 mit 13 Toten auf Seiten der jugoslawischen Armee wurde in der Bundesrepublik mitorganisiert.

Wie reagierten die Bundesbehörden darauf?

Die Exilkroaten waren in gewisser Hinsicht ein frühes Beispiel für transnational agierende Gewaltakteure, wie wir sie von heutigen Terrorgruppen kennen. Die grenzüberschreitende Vernetzung stellte die bundesdeutschen Behörden vor neue Herausforderungen. Tendenziell wurde das Problem lange Zeit verschleppt. Das hing auch mit einer unklaren Verteilung der Kompetenzen bei Polizei und Verfassungsschutz zwischen Bund und Ländern zusammen, wodurch vorhandenes Wissen häufig versickerte.

Und die jugoslawischen Geheimdienste?

Sie waren zu jedem Zeitpunkt besser über die exilkroatischen Strukturen informiert als ihre westdeutschen Kollegen. Vor allem in den siebziger Jahren verließ man sich in der Bundesrepublik zunehmend auf dieses Wissen, das auch Grundlage mehrerer Festnahmen und Vereinsverbote war. Wirkliche Schritte zur effektiven Überwachung und Verfolgung kamen erst in den frühen achtziger Jahren zustande. Sie richteten sich gegen Exilkroaten, aber auch gegen ihre Kontrahenten vom jugoslawischen Geheimdienst, gegen die ­zuvor kaum ermittelt worden war.

1978 wurden die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann, Peter-Jürgen Boock und Rolf Clemens Wagner in Zagreb verhaftet. Die westdeutsche Regierung bestand auf deren Auslie­ferung, die jugoslawische forderte dafür jedoch die Überstellung von acht Exilanten, sechs davon kroatische Rechtsextremisten. Woran scheiterten die Verhandlungen?

Das ist erklärungsbedürftig, zumal alle vier Verhafteten an der Entführung von Hanns Martin Schleyer beteiligt gewesen waren und dringend gesucht wurden. Wäre die Sache von Seiten jugoslawischer Medien nicht publik gemacht worden, hätte die Auslieferung wohl stattgefunden; die Bundesregierung hatte in dieser Sache wenig Skrupel. Unterschiedliche Akteure machten jedoch zum Politikum, ob Menschen einem Staat überstellt werden dürfen, in dem ihnen möglicherweise die Todesstrafe droht. Auch die jugoslawischen Auftragsmorde wurden in dieser Situation auf einmal skandalisiert. Um eine Diskussion über das Wissen der Behörden gar nicht erst aufkommen zu lassen, stimmte die Bundesregierung einem Austausch letztlich nicht zu. So konnten die acht Exilanten in Westdeutschland bleiben – darunter auch Stjepan Bilandžić, der bereits 1962 beim Attentat auf die Handelsmission dabei gewesen war. Die vier RAF-Mitglieder hingegen durften von Belgrad in den Irak ausreisen.

Bemerkenswerterweise geht der heute noch verwendete Begriff »Ausländerextremismus« auf die Überwachung der kroatischen Rechtsextremisten zurück.

Hierbei handelt es sich um eine Ausgeburt der bundesdeutschen Extremismustheorie, deren Grundlage die Annahme einer demokratischen »Mitte« mit Feinden an den rechten und linken »Rändern« ist. Anhand der Exilkroaten wurde in den Sechzigern erstmals debattiert, ob und nach welchen Kriterien und Kategorien eine Beobachtung und Verfolgung stattfinden könne. Dass ihre Taten tatsächlich als Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu fassen seien, wurde letztlich verneint, war aber das Kriterium für die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes. Das Konzept »Ausländerextremismus« entwickelte sich dann ab den frühen siebziger Jahren als eine Art Behelfsformel. Es war grundlegend für den Kompetenzausbau der Sicherheitsorgane zur Verfolgung migrantischer Akteure. Bis heute taucht der Begriff in praktisch jedem Verfassungsschutzbericht auf.

Warum wurde diese Auseinandersetzung dennoch lange als »Kleinkrieg« karikiert?

Diese Bezeichnung verrät, dass man die Exilkroaten und ihre jugoslawischen Widersacher als Ärgernis, aber nicht als grundlegendes Problem wahrnahm. Das änderte sich ab den späten siebziger Jahren, als – zu­mindest in progressiven Kreisen – immer mehr das Bewusstsein, ein Einwanderungsland zu sein, Einzug ins politische Selbstverständnis hielt. Die Auslieferungsdebatte führte zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Taten der Exilkroaten sowie den jugoslawischen Aktivitäten in der Bundesrepublik. Zudem wurde das exilkroatische Anliegen immer stärker als Menschenrechtsfrage verhandelt, was es aus der ­politisch obskuren Ecke holte. Der Tenor war nun: Eine Diktatur, die ihre Gegner in Westdeutschland ungestört verfolgen kann, muss in ihre Schranken gewiesen werden. Das galt übrigens auch für iranische oder türkische Oppositionelle, die hier von den Geheimdiensten ihrer Herkunftsstaaten drangsaliert wurden. Es ist wichtig zu sehen, dass die Debatte über die Exilkroaten nicht isoliert, sondern auch vor diesem Hintergrund stattfand.

Mit Kroatiens Sezession wurde 1991 das Hauptziel der rechtsex­tremen Exilanten erreicht und ihre Agitation obsolet, der Bürgerkrieg allerdings für deutsche Neonazis attraktiv. Gehört diese gesamte Episode nicht auch zur hiesigen Rassismusgeschichte?

Das Label »rassistisch« trifft sicherlich auf viele Alltagssituationen zu, in denen Exilkroaten gezielt Serben angegriffen oder Orte jugoslawischer Migranten attackiert haben. Die genannten Anschläge waren jedoch eher durch Nationalismus und Antijugoslawismus motiviert. Die Verbindungen zwischen kroatischen Exilanten und deutschen Faschistenbetrafen zwar nicht alle Gruppen, waren aber tatsächlich ein wichtiger Baustein für die Kroatien-Begeisterung unter Neonazis. Wir wissen immer noch erschreckend wenig darüber – und dies ist definitiv ein Aspekt der deutschen Rassismusgeschichte.

Matthias Thaden: Migration und Innere Sicherheit. Kroatische Exilgruppen in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2022, 357 Seiten, 24,95 Euro