Der inhaftierte italienische An­archist Alfredo Cospito befindet sich im Hungerstreik

Hungern gegen harte Haft

Der zu langjährigen Haftstrafen verurteilte Anarchist Alfredo Cospito sitzt unter Bedingungen ein, die ansonsten für Mafiosi gelten.

Alfredo Cospito ist seit über 115 Tagen im Hungerstreik, genauso lange wie Italiens rechte Regierung im Amt ist. Da sie mit dem Versprechen strikter Haftstrafen angetreten ist, lehnte Justizminister Carlo Nordio (Fratelli d’Italia, FdI) noch am Freitag vergangener Woche jede Verhandlung über die Haftbedingungen für den als Terroristen angesehenen Anarchisten ab. Die Entscheidung über die Aufhebung seiner Isolationshaft liegt nun bei Gericht. Wenn sie nicht im Eilverfahren erfolgt, könnte es für Cospito zu spät sein.

Während am Wochenende in Mailand und Turin einige Hundert Anhängerinnen und Anhänger der anarchistischen Bewegung in einem militanten Protest »Freiheit für Alfredo« und »eine Welt ohne Gefängnisse« forderten, wurde Cospito aus seiner Mailänder Haftanstalt in den Gefängnistrakt eines nahegelegenen Krankenhauses verlegt. Eine Vorsichtsmaßnahme, da die Ärzte einen baldigen Zusammenbruch durch multiples Organversagen nicht mehr ausschließen können. Der einst stämmige 55jährige hat 50 Kilo Gewicht verloren, aber schon vor Wochen schriftlich festgelegt, dass er in keinem Fall zwangsernährt werden will. Das Justizministerium lässt derweil den Nationalen Ethi­krat prüfen, welche medizinischen Maßnahmen gegebenenfalls dennoch verordnet werden können.

Italiens Regierung propagiert eine autoritäre Null-Toleranz-Politik gegen ihre politischen Gegner, dafür instru­mentalisiert sie auch den »Fall Cospito«.

Die italienische Justiz rechnet Cospito zu den führenden Köpfen der Federazione anarchica informale, die sie als eine international vernetzte kriminelle Vereinigung beschreibt. Ihre Mitglieder werden beschuldigt, mit Publikationen, Sabotageakten und Brandanschlägen den anarchistischen Aufstand gegen den Staat zu propagieren. Cospito wurde 2013 für seine Beteiligung am Anschlag auf Roberto Adinolfi verurteilt, den Vorstandsvorsitzenden des Atomenergiekonzerns Ansaldo Nucleare. Dieser war im Frühjahr 2012 mit Schüssen in die Beine niedergestreckt, aber nicht lebensgefährlich verletzt worden.

Während der Haft erfolgte eine weitere Verurteilung wegen eines 2006 verübten Anschlags auf eine Rekrutenschule der militärisch organisierten Polizeieinheit Carabinieri. Cospito und seine Partnerin Anna Beniamino hatten dem Urteil zufolge zwei selbstgebaute leichte Sprengsätze in Müllcontainern deponiert und nachts gezündet – es gab Sachschaden, aber keine Verletzten. Das Gericht wertete die Tat zunächst als »Anschlag auf die öffentliche Sicherheit« und verurteilte Cospito zu 20 Jahren Haft.

Mitte 2022 entschied Italiens Kassationsgericht, dass die Tat als »politischer Anschlag auf den Staat« einzustufen sei. Damit droht Cospito die Höchststrafe: ergastolo ostativo – lebenslänglich ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung. Zugleich wurden im vergangenen Frühjahr seine Haftbedingungen verschärft. Um jeden Einfluss Cospitos auf anarchistische Gruppen zu unterbinden, wurde er nach Artikel 41-bis des Strafvollzugsgesetzes mit Isolationshaft belegt. In seiner Zelle sind ihm nur noch wenige persönlich Gegenstände erlaubt. Der Kontakt zu Mitgefangenen ist reduziert und beschränkt sich auf drei andere 41-bis-Häftlinge. Besuche sind maximal einmal pro Monat für eine Stunde hinter einer Trennwand gestattet, sie werden überwacht und abgehört.

Cospito führt den Hungerstreik nicht zur Verbesserung seiner individuellen Haftbedingungen, sondern fordert die Abschaffung des Artikel 41-bis. Eingeführt wurde dieser 1986 zur Bekämpfung von Gefangenenrevolten. Das Justizministerium sollte die Möglichkeit haben, den regulären Strafvollzug für rebellierende Häftlinge zeitweilig auszusetzen. Der Artikel wurde 1992 verschärft, nach den tödlichen Sprengstoffattentaten auf die Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Er ermöglicht seither die Isolation inhaftierter Mafiosi, so dass sie nicht mehr aus der Haft heraus mit ihrem Clan kommunizieren und kriminelle Geschäfte fortführen können. Darüber hinaus sollen die Häftlinge durch einen harten Strafvollzug zur Zusammenarbeit mit der Justiz gedrängt werden. Wer als Kronzeuge aussagt, wird aus dem Haftregime des Artikels 41-bis entlassen.

Über die Jahre entwickelte der Artikel sich zu einer Repressionsmaßnahme, mit der staatliche Strenge demonstriert werden soll – daher auch die umgangssprachliche Bezeichnung carcere duro (hartes Gefängnis). Gegenwärtig betrifft er mehr als 700 Männer und ein Dutzend Frauen, die wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt wurden. Seit 2005 gehören hierzu auch Mitglieder politischer Gruppierungen, wie die drei Inhaftierten der sogenannten Nuove Brigate Rosse, die sich selbst als bewaffnete kommunistische Partei bezeichneten.

Cospito ist der erste Anarchist, auf den Artikel 41-bis Anwendung findet. Nach Ansicht seiner Verteidigung handelt es sich um einen Fall von angewandtem »Feindstrafrecht«: Weil Cospito seinen anarchistischen Ideen und Taten nicht abschwöre, werde er als »Staatsfeind« behandelt. Der Anschlag vor der Schule der Carabinieri wurde als strage (etwa: Massaker) gewertet, ein Tatbestand, der üblicherweise den gewaltsamen Tod mehrere Personen beschreibt.

Seit Beginn des Hungerstreiks äußern sich Menschenrechts- und Gefangenenhilfsorganisationen, Intellektuelle und Kulturschaffende zu dem unverhältnismäßig hohen Strafmaß und den harten Haftbedingungen. Sie hegen weder eine besondere Sympathie für Cospito noch für jene anarchistischen Gruppen, die in Athen, Barcelona und Berlin mit Brandanschlägen gegen di­plomatische Einrichtungen und Botschaftsfahrzeuge »Solidarität mit Alfredo« demonstrierten. In ihrem Appell, Cospito nicht in der Haft sterben zu lassen, berufen sie sich auf Artikel 27 der italienischen Verfassung, wonach Strafen nicht gegen die Grundsätze der Humanität verstoßen dürfen. Zahlreiche Rechtswissenschaftler halten eine lebenslange Haft ohne Chance auf vorzeitige Entlassung für verfassungswidrig, 2019 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den ergastolo ostativo als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Italiens Regierung propagiert eine autoritäre Null-Toleranz-Politik gegen ihre politischen Gegner, dafür instrumentalisiert sie auch den »Fall Cospito«. Nachdem vier Parlamentarier des linksliberalen Partito Democratico (PD) den Hungerstreikenden im Januar im Gefängnis besucht hatten, unterstellte der FdI-Abgeordnete Giovanni Donzelli, »die Linke« ermutige Cospitos Kampf gegen den Artikel 41-bis und mache gemeinsame Sache mit Terroristen und Mafiosi. Donzelli bezog sich hierbei auf vertrauliche Unterlagen aus der Haftanstalt, die ihm mutmaßlich durch seinen Parteikameraden Andrea Delmas­tro, einen Staatssekretär im Justizministerium, zugetragen worden waren. Demnach sollen zwei Mafiosi, denen Cospito im 41-bis-Regime begegnete, den Anarchisten zur Fortführung des Hungerstreiks aufgerufen haben – schließlich erhoffen sich alle 41-bis-Häftlinge die Abschaffung der Isolationshaft. Der PD empörte sich über die unterstellte Komplizenschaft mit Cospito, ließ aber die postfaschistische Verdrehung der Geschichte unwidersprochen: Nachweislich waren es in der Vergangenheit rechte Parteien, die mit der Mafia verhandelten, und neofaschistische Organisationen, die 1969 in Mailand, 1974 in Brescia und 1980 in Bologna Bombenanschläge mit Hunderten Toten und Verletzten verübten. Diese Terrorakte sind als strage in die Nachkriegsgeschichte Italiens eingegangen, sie folgten einer »Strategie der Spannung«, um den Einfluss linker und gewerkschaftlicher Bewegungen zurückzudrängen. Die Postfaschisten führen den alten Kampf weiter, obwohl die parlamentarische sogenannte Linke heutzutage nicht einmal mehr als Opposition auftritt: Der PD – aber auch der populistische Movimento 5 Stelle – stellt das repressive Haftregime des 41-bis nicht in Frage.