Die Klimabewegung und das negative Denken

Verflixt und zugeklebt

Wichtiger, als der Klimabewegung strategische Ratschläge zu erteilen, wäre es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie die kapitalistischen Verhältnisse einer vernünftigen Einrichtung der Welt – und damit auch einen vernünftigen Reaktion auf die drohende Klimakatastrophe – im Wege stehen.
Disko Von

Die Aufregung über die »Klima-Kleber« hält an. Alexander Dobrindt (CSU) warnte vor der »Klima-RAF«, zahlreiche Aktivisten standen bereits vor Gericht. Dem Aktionismus fehlt Kapitalismuskritik, ist das Anliegen deshalb zu verwerfen? Es wäre die originäre Aufgabe für Linke, eine kapitalismuskritische Antwort auf den Klimawandel zu formulieren, meinte Peter Bierl. Mira Landwehr forderte die Klimabewegung auf, sich einen Begriff vom Gesellschaftssystem zu machen. Jörn Schulz kriti­sierte, dass sie keine Umgestaltung der Produktionsverhältnisse fordere. ­Philip Broistedt und Christian Hofmann argumentierten für konkrete Forderungen zur Umgestaltung des Wirtschaftssystems.


Lässt sich über das emanzipatorische Potential von Klimaprotesten anhand von Klebstoff und Kartoffelbrei disku­tieren? Möglicherweise wäre der Kampf um Lützerath ein ergiebigerer Ausgangspunkt gewesen. Trotzdem wurde in den bisherigen Beiträgen zum »Sinn des Klebens« viel Treffendes dazu geschrieben, was notwendig wäre, damit die Klimabewegung der zerstörerischen Verfasstheit der Gesellschaft gefährlich würde: Das Kapitalverhältnis müsste als Grundproblem erkannt werden, die Kritik an diesem organisiert und politische Strategien auf dessen Überwindung ausgerichtet werden. Ebenso – und mit dieser Interpretation wird dem Text von Mira Landwehr hoffentlich keine Gewalt angetan – wäre es kein Fehler, »die Gewaltfrage« selbst zu stellen, anstatt sie CDU und Bild-Zeitung zu überlassen. Ebenso richtig: »Doch anstatt sloganhaft die Überwindung des Kapitalismus zu fordern, sollten konkrete Forderungen erarbeitet werden« (Broistedt/Hofmann).

Das Klischee, dass die Klima­aktivist:innen oft mit der Einrichtung der Welt im Großen und Ganzen zufrieden seien, hat einen wahren Kern.

Zu diesen Strategievorschlägen, die alle nicht ganz neu, aber wohl trotzdem zutreffend sind, sei an dieser Stelle noch die direkte Aktion hinzugefügt. Blockaden von Autobahnbaustellen und Kohlegruben haben einen anderen Nachdruck und setzen die Teilnehmenden in ein anderes Verhältnis zu den herrschenden Verhältnissen als eine Petition, doch bitte weniger Autobahnen zu bauen oder weniger Kohle zu verstromen. Auch in der Diskussion über das Tempolimit ist das Abmontieren von Verkehrsschildern, die Geschwindigkeitsbegrenzungen aufheben, eine bereits praktizierte und auch ­näherliegende Alternative zum Kartoffelbrei auf dem Stillleben. Letzteres ist zwar, ebenso wie auf Asphalt geklebte Hände, wesentlich spektakulärer als die klassische Petition; durch die Kosten und den Ärger, die dadurch verursacht werden, vermutlich auch weniger leicht zu ignorieren; in der inhaltlichen Beschränkung auf Appelle an die Regierenden gleichen sie letztlich doch der Bittschrift an die Herrschaft.

Peter Bierl und Mira Landwehr scheinen sich darin einig zu sein, dass ­»radikales Handeln radikales Denken zur Voraussetzung hat« (Landwehr); Bierl fordert gar einen marxistischen »Think Tank«, der die Klimabewegung »koordiniert und leitet« – als sei diese ohne theoretische Führung nur zu ­einem konsumkritischen Bewusstsein fähig und bedürfe einer organisierten Avantgarde, um zur revolutionären Kraft zu werden.

Jörn Schulz kritisiert die strategischen Unzulänglichkeiten der Bewegung. Zu Recht konstatiert er, dass nur mehr Spektakel im Namen des Klimas nicht zu den notwendigen Veränderungen führt. Warum seine Neuformulierung eines radikalen Reformismus aber mehr taugen soll als die Vulgärbasisdemokratie der lobbyfreien Bürgerversammlung, bleibt offen. Er scheint in der Tradition des linken Reformismus den Staat als potentiellen Vertreter des ­Gemeinwohls und Antipoden des Kapitals zu sehen – das richtige Wahlergebnis respektive das richtige gesellschaftliche Kräfteverhältnis vorausgesetzt.

Bierl und vielleicht auch Landwehr würden hier möglicherweise widersprechen. Zustimmen würden sie Schulz aber vermutlich darin, dass der geforderte »system change« »ein unverbindliches Schlagwort« bleibe, »solange unklar bleibt, worin er bestehen und wie er durchgesetzt werden soll«. Die Aktionen, Strategien und Ziele der Letzten Generation sind den bestehenden Verhältnissen verhaftet, darüber kann auch ihre apokalyptische Rhetorik nicht hinwegtäuschen. In der bisherigen Jungle World-Diskussion wurde zu Recht darauf verwiesen, dass die Radikalität einer Aktion nicht am Spektakel, das um sie gemacht wird, gemessen werden kann. Die Radikalität einer Aktion kann auch nicht an ihrer Ordnungswidrigkeit gemessen werden oder an dem Ärger, den sie verursacht; und auch nicht an den Unbequemlichkeiten und Risiken, welche Aktivist:innen in Kauf nehmen – auch wenn das alles durchaus Bestandteile einer radikalen Praxis sein mögen. Zielt die Aktion primär auf mediale Aufmerksamkeit, wird sie zur Propaganda. Wird die individuelle Opferbereitschaft nicht als ein manchmal leider erforderliches Übel betrachtet, sondern womöglich gar als sinnstiftendes individuelles Bedürfnis, dann droht ein Opferkult.

Zu kurz springt diese Kritik an der Letzten Generation und anderer Klima­bewegungen jedoch, wenn sie solche regressiven Tendenzen bloß auf »politische Naivität (…) in der Anfangsphase einer sozialen Bewegung« (Schulz) oder auf unzureichende Marx-Lektüre zurückführen, so korrekt diese Aspekte auch sein mögen. Sie sind vielmehr Ergebnis dessen, was objektiv an den Verhältnissen und subjektiv in der psychischen Konstitution der Individuen einer vernünftigen Einrichtung der Welt entgegensteht.

Eine emanzipatorische Reflexion ökologischer Probleme sollte sich nicht nur mit dem Verhältnis von Überleben und den Bedingungen eines guten ­Lebens befassen – also etwa mit einer Kritik an Ökoprimitivismus und ge­nereller Fortschrittsfeindschaft –, sie muss auch die aus der Zurichtung von Mensch und Natur zum bloßen Material für die Kapitalverwertung resultierenden Deformationen ernst nehmen. Den Subjekten, ebenso wie den von ihnen geschaffenen Dingen, wohnt etwas Hässliches und Gewaltvolles inne. Dem gilt es, in der Kritik der Verhältnisse Ausdruck zu verleihen, um die Notwendigkeit der Veränderung bewusst zu machen. Die Welt wird von denen verändert, denen sie nicht gefällt, heißt es in Slatan Dudows Film »Kuhle Wampe« (1932).

Das Klischee, dass die Klimaaktivist:in­nen oft aus privilegierten Verhältnissen kommen und mit der Einrichtung der Welt im Großen und Ganzen zufrieden seien, dass sie diese aber nachhaltiger gestalten ­wollen, damit es noch lange so wie jetzt weiter gehen könne, hat seinen wahren Kern. Es besteht aber auch Mangel an Negativität in Teilen der Bewegung, die zwischen optimistischen Szenarien eines grünen Kapitalismus und einer verzweifelten Apokalyptik eines erwarteten »Aussterbens« der Menschheit changiert, sich aber eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse kaum vorzustellen wagt.

Auch die Wut und das Misstrauen der extremistischsten Leugner des Klimawandels, die heutzutage im rechtspopulistischen Lager zu finden sind, ist keineswegs Resultat einer Ablehnung der herrschenden Verhältnisse. Tatsächlich sind diese vermeintlichen Systemfeinde, gerade wo sie sich klimapolitische Maßnahmen als Ausdruck einer technokratisch-sozialistischen Verschwörung phantasieren, oft fanatische Gläubige der Unumgänglichkeit kapitalistischer Produktion. Dem Hässlichen an den Verhältnissen geben sie mit ihrem Hass einen Ausdruck – allerdings hat dieser keine emanzipatorische Potenz, sondern ist bloß Indikator für den Zustand der Welt.

Die Kritik kann das Grauen einer ­Gesellschaft kaum erfassen, die auf die wachsende Zahl und Heftigkeit von Dürren und Überflutungen nicht mit der Reduzierung des CO2-Ausstoßes ­reagiert, sondern mit der Sicherung von Grenzen gegen Geflüchtete – welche immer häufiger auch Klimaflüchtlinge sein werden. Dennoch muss die Kritik versuchen, dieses Grauen dem Bewusstsein zugänglich zu machen, um es aus einer Quelle der Regression zu einem Antrieb der Negation zu machen.

So richtig manche der konkreten Forderungen in der Klimadebatte auch sind, sollte darüber das negative Denken nicht vernachlässigt werden. Das Bewusstsein darüber, was nicht (länger) sein soll, nicht länger sein darf, anti­zipiert eine Praxis, die offen ist für das, was Broistedt/Hofmann zufolge eine Bewegung auszeichnet: Dynamik und Lernprozesse. Das Bewusstsein über das, was ist, ebenso wie über das, was sein soll, geht den Kämpfen um Befreiung nicht voraus. Emanzipatorische Vorstellungskraft und dialektische Phantasie entwickeln und konkretisieren sich vielmehr in diesen. ­»Zukunft muss gemacht werden, daran führt kein Weg vorbei«, heißt das bei Mira Landwehr. In diesem Sinne ist »jeder Schritt wirklicher Bewegung wichtiger als ein Dutzend Programme«.

Aber dieses Marx-Zitat stammt aus optimistischeren Zeiten, in denen die zunehmende Beherrschung der äußeren Natur mit der Hoffnung auf Fortschritt verbunden war. Mittlerweile hat sich die geschichtsphilosophische Perspektive, dass die Entwicklung der Produktivkräfte die Möglichkeiten einer befreiten Gesellschaft eröffnet, end­gültig verdüstert.

Mit dem Fortbestehen des Status quo droht sich der Möglichkeitshorizont für eine menschenfreundliche Einrichtung der Welt immer weiter zu verengen. Revolutionäre Ungeduld »ist in Anbetracht der derzeitigen Kräfteverhältnisse lächerlich«, aber sie ist nicht mehr nur begründet durch das individuelle Leid der Individuen, sondern auch durch die objektive Tendenz der Gesellschaft.