Aidan Hehir, Politikwissenschaftler, über die geplante Gründung von serbischen Gemeindeverbänden im Kosovo

»Der Vorschlag ist unfassbar unbeliebt«

Im Kosovo gibt es eine kleine serbische Minderheit. Die Gemeinden im Norden und Süden des Lands, in denen hauptsächlich Menschen serbischer Abstammung leben, sollen einen eigenen Gemeindeverband und dadurch stärkere Autonomierechte erhalten.
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Die Regierung im Kosovo will auf Druck der USA und der EU der Errichtung eines Verbands serbischer Gemeinden nicht mehr im Wege stehen. Die hauptsächlich von Serben bewohnten Gemeinden im Norden und Süden des Kosovo sollen einen Verband gründen, um die Selbstverwaltung der serbischen Minderheit zu stärken und weitreichende Autonomierechte zu bekommen. Wie ist deren derzeitige Situation?

Die serbische Minderheit macht weniger als vier Prozent der Gesamtbevölkerung aus, die hauptsächlich aus Albanern besteht. Durch die 2008 entworfene, bei Minderheitsfragen ambitionierte Verfassung haben sie weitreichende Rechte, vor allem für ein Land, dessen Bevölkerung relativ homogen ist. Die serbische Minderheit hat eine reservierte Anzahl an Plätzen im kosovarischen Parlament. Die Verfassung garantiert den Minderheiten, dass sie 15 Prozent der Richter an allen Gerichten, auch dem Obersten, stellen dürfen. Die Gemeinden, auch die mehrheitlich von Serben bewohnten, haben ein hohes Maß an Befugnissen. Natürlich gibt es auch Vorfälle, in denen Menschen aus der albanischen Mehrheitsgesellschaft sich Serben gegenüber ablehnend verhalten. Viele Serben wünschen sich eine bessere Umsetzung des Sprachgesetzes. Albanisch und Serbisch sind Amtssprachen, viele berichten aber, dass Unterlagen nicht übersetzt, wichtige Informationen vorenthalten werden. Die Situation ist nicht perfekt. Aber es ist kein systemisches Problem.

»Die Strategie der serbischen Regierung ist es, Instabilität zu schaffen, wo Serben leben.«

Der Kosovo hat sich erst 2008 für unabhängig erklärt, die einstige Teilregion Serbiens gilt dort als abtrünnige Provinz. Grundlage für die derzeitigen Verbandspläne ist ein Abkommen, das im Jahr 2013 vom Kosovo und von Serbien unterzeichnet wurde. Internationale Organisationen pochen jetzt auf eine Umsetzung. Wie kam es dazu?

Die Regierung Serbiens möchte ihren politischen Einfluss innerhalb des Kosovo absichern. Die EU und die USA sind primär daran interessiert, dass es keinen Konflikt, keine Instabilität gibt, auch wenn das Appeasement-Politik gegenüber der serbischen Regierung bedeutet. Die damalige Regierung des Kosovo stimmte der Vereinbarung zu, wohl wissend, dass die internationale Gemeinschaft im Gegenzug ein Auge hinsichtlich der herrschenden Korruption zudrücken würde – die wuchs im Übrigen so weit, dass die Weltbank den Kosovo im Jahr 2017 als ein Beispiel von state capture bezeichnete …

… also als ein Beispiel für die Vereinnahmung und Aushöhlung staatlicher Institutionen, insbesondere durch Korruption.

Die internationale Gemeinschaft ist seit langem vor Ort, ließ die korrupten Po­litiker im Kosovo aber davonkommen, solange die zur Kooperation bereit waren. Die Menschen im Kosovo, ob albanischer oder serbischer Abstammung, werden aber keinen positiven Einfluss der jetzigen Reformpläne auf ihr alltägliches Leben bemerken. Die Kosovo-Serben werden von der Belgrader Regierung instrumentalisiert. Die gibt zwar vor, sich um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen zu kümmern, ist aber nur daran interessiert, den Kosovo zu destabilisieren.

Welche konkreten Ziele verfolgt die Belgrader Regierung mit der Vereinbarung zum Serbenverband?

Die serbische Regierung möchte mehr Einfluss innerhalb des Kosovo ausüben. Sie möchte eine Situation schaffen, in der Kosovos Zentralregierung weniger Befugnisse hat. Und ein Weg, das zu erreichen, ist, entscheidend mehr Macht an serbische Gemeinden zu übertragen. Sollte die Vereinbarung umgesetzt werden, dann wird Serbien sehr direkten Einfluss im Kosovo haben, denn sie sieht vor, dass Serbien den Verband direkt finanziert.

Welche Konsequenzen hätte der Verband für das Zusammenleben von Albanerinnen und Serben im Kosovo?

Für die serbische Bevölkerung im Kosovo wäre es ein Desaster. In vielen Teilen des Kosovo, in denen Serben leben, gibt es ein hohes Maß an Integration und Kooperation. Es ist nicht wahr, dass Albaner und Serbinnen nicht friedlich und produktiv zusammenleben können. Und es stimmt auch nicht, dass die serbische Minderheit nicht mit der Zentralregierung zusammenarbeitet. Das ist ein Mythos, der von der Belgrader Regierung verfestigt wird. Natürlich gibt es Beispiele wie Mitrovica, eine Stadt im Norden des Kosovo, in der die Trennung zwischen serbischer und albanischer Bevölkerungsgruppe sehr klar verläuft. Die meisten Serben im Kosovo leben südlich des Flusses Ibar. Sie haben gezeigt, dass ein gutes Zusammenleben innerhalb des bestehenden politischen Systems möglich ist. Sollte der Verband gegründet werden, dann sind die Kosovo-Serben gezwungen, sich an das neue Gemeindesystem anzupassen. Es würde sie weg­leiten von der Zentralregierung, es würde weniger Integration und Kooperation geben. Hardliner-Nationalisten würden dann über die Serben im Kosovo bestimmen. Das Geld der Belgrader Regierung für den Verband wird Nationalisten in den jeweiligen Gemeinden zugute kommen. Es wird sicher nicht in Projekte investiert, die eine Versöhnung zwischen Albanern und Serben fördern.

Kritiker vergleichen den Vorschlag zum Serbenverband im Kosovo mit der Republika Srpska, also der serbischen Entität Bosnien-Herzegowinas. Deren politische Führung fällt immer wieder durch scharfen ser­bischen Nationalismus und Abspaltungsdrohungen auf.

Die Strategie der serbischen Regierung ist es, Instabilität zu schaffen, wo Serben leben. Die Situation in Bosnien ist ein Beispiel dafür, wie sich diese Strategie auswirken kann und was die Verbandsvereinbarung zur Folge haben könnte. Die Serben dort sind über die Jahre nationalistischer geworden, wohl auch, weil die Republika Srpska per Verfassung dazu ermächtigt wird, als Kleinstaat innerhalb eines dezentralisierten Bosnien zu existieren. Natürlich ist der Serbenverband im Kosovo in vielen Aspekten anders. Es wird nicht plötzlich ein großer Landesteil serbisch regiert sein, weil die mehrheitlich serbischen Gemeinden im Kosovo nicht territorial zusammenhängen. Aber der Kosovo ist ein winziges Land. Und wenn es darin eine offizielle ­juristisch separate Struktur gibt, dann wird es schwieriger für die Zentral­regierung, ihre Macht auszuüben.

Die Republika Srpska wird vom Kreml unterstützt. Wie würden Sie den geplanten Serbenverband im Kosovo im größeren politischen Rahmen einordnen?

Natürlich ist der Verband primär ein Werkzeug für die serbische Regierung, im Kosovo zu intervenieren. Auf geopolitischer Ebene gilt das Gleiche für Russland. Der Kreml hat derzeit nicht die Kapazität, viel Geld in den Balkan zu pumpen oder gar dort einzufallen. Aber er kann für Ärger und Konflikte sorgen und die Gruppen vor Ort unterstützen, die selbiges tun – ob die orthodoxe Kirche in Montenegro oder die Republika Srpska in Bosnien. Der Verband serbischer Gemeinden wäre ein weiteres Mittel für Russland, den Einfluss in Südosteuropa zu vergrößern. Gleichzeitig würde die Umsetzung der Vereinbarung Russland als Beweis dienen, dass der Westen an Macht und Einfluss verliert. Die Europäische Union büßt stetig Glaubwürdigkeit und ihren Ruf ein, demokratische Prinzipien zu verfechten. In vielen europäischen Ländern schwindet derzeit der Wille, sich zu demokratisieren, wie in Ungarn, Slowenien, der Slowakei.

Wie schätzen Sie die Reaktion der Bevölkerung im Kosovo ein, sollte es zu der Umsetzung des Vorschlags kommen?

Die Kosovo-Albaner hatten sehr viel Hoffnung, erst 1999 nach Kriegsende, dann 2008 nach der Unabhängigkeitserklärung. Seither mussten sie viele Zugeständnisse machen, wie bei der Visa-Liberalisierung zur Einreise in die EU. Die Bevölkerung wird seit über ­einem Jahrzehnt hingehalten, ständig knüpft die internationale Gemeinschaft neue Bedingungen an das Versprechen der Reisefreiheit. Gibt man die Hoffnung auf, kann das zu zwei Dingen führen: Verzweiflung oder Wut. Ersteres zeigte sich 2014/2015, als es zu einem Massenexodus aus dem Kosovo kam. Fast Hunderttausend machten sich auf den Weg nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Die Wut über die politischen Missstände im Land führte auf konstruktive Weise zum Aufstieg der linken Partei Lëvizja Vetëvendosje (Bewegung für Selbstbestimmung, LVV), die die Regierungskoalition anführt.

Auch die LVV, die als Bürgerrechtsbewegung entstand, hat sich in der Vergangenheit an provokativen Aktionen beteiligt, wie 2012, als Protestierende unter ihrer Führung Parlament und Regierungssitz stürmen wollten, um die Aufnahme von Verhandlungen zwischen Kosovo und Serbien zu verhindern.

Aber sie ist nicht gewalttätig, nicht konfessionell und richtet sich nicht gegen die internationale Gemeinschaft. Im Gegenteil: Sie befürwortet die EU, die Nato, und sie glaubt an die Demokratie. Diese Partei konnte die Wut der Bevölkerung aufnehmen. Mit der Umsetzung des Serbenverbands haben wir eine Situation, in der die LVV, die als eine Art Puffer funktionierte, versagt. Ihre Wirkmacht wird von der internationalen Gemeinschaft untergraben, die sagt: »Wir werden den Verband ohnehin einrichten.« Es könnte wieder massenhaft Auswanderung geben. Es kann auch passieren, dass gewalttätigere Organisationen mehr Unterstützung finden – ob Islamisten oder religiöse Nationalisten. Die Menschen im Kosovo fühlen sich aufgegeben vom Westen. Dieser Frust könnte sich entladen, sollte die Vereinbarung umgesetzt werden. Der Vorschlag ist unfassbar unbeliebt in der Bevölkerung. Das kann man nicht auf lange Frist ignorieren.
 

Aidan Hehir forscht an der University of Westminster in London zu Internationalen Beziehungen. Dort ist er Mitglied des Centre for the Study of Democracy, spezialisiert auf den Bereich Sicherheitspolitik und humanitäre Intervention. In seinen Veröffentlichungen beschäftigt er sich mit dem kosovarischen Staat und »transitional ­justice« in Südosteuropa. Letzteres beinhaltet die Entwicklung von Maßnahmen, die die Folgen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den neunziger Jahren aufzuarbeiten versuchen.