Teile der sogenannten Friedens­bewegung suchen den Schulterschluss mit Rechtsextremen

Ein Jahr Realitätsflucht

Der von Sahra Wagenknecht initiierte »Aufstand für Frieden« am Samstag in Berlin wird wohl eine Querfront-Veranstaltung. Teile der sogenannten Friedensbewegung heißen Rechtsextreme offen willkommen.

Als Russland 2014 Teile der Ukraine eroberte, gab es hierzulande sogenannte Mahnwachen für den Frieden, die das zum Anlass nahmen, gegen die Nato zu demonstrieren. Die Proteste wurden weithin als »Querfront« eingeordnet – dafür brauchte es damals allerdings noch ein wenig Rechercheaufwand und Ideologiekritik. Inzwischen ist das oft einfacher, Bündnisse mit Rechtsextremen werden ganz offen gesucht.

Das zeigt sich auch international, wie am Sonntag in Washington, D.C., wo eine vom Fox-News-Moderator Tucker Carlson beworbene »Anti-Kriegs-Kundgebung« stattfand, an der Linke wie Jill Stein von der Green Party ebenso teilnahmen wie der rechtsextreme Putin-Anhänger und Journalist Jason Hinckle.

Ebenso zeigte es sich am selben Wochenende in München, wo der Linkspartei-Politiker Dieter Dehm bei einer Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz gegen die »ukrainischen Nazi-Faschistenfreunde« der Nato hetzte und im Publikum russische Fahnen und »Ami Go Home«-Transparente des Magazins Compact zu sehen waren. Und es wird sich voraussichtlich auch dieses Wochenende in Berlin zeigen, beim »Aufstand für Frieden«, zu dem Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gemeinsam mit dem ehemaligen Bundeswehrgeneral Erich Vad aufgerufen haben.

AfD-Wähler bei "Friedensdemonstration" am Samstag in Berlin willkommen

Unter den Erstunterzeichnern von Wagenknechts und Schwarzers »Manifest für Frieden« waren keine Rechts­extremen. Doch direkt nach Erscheinen der Petition haben der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla und andere Rechtsextreme das »Manifest« begeistert aufgenommen und ihre Anhänger dazu aufgefordert, zur entsprechenden Demonstration nach Berlin zu kommen. Dass AfD-Wähler dort willkommen seien, bestätigte Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine vergangene Woche in einem Interview. Wichtig sei, dass »sich alle versammeln, die ehrlichen Herzens Frieden wollen, da sind alle willkommen«.

Der Bundesvorstand der Linkspartei distanzierte sich von Wagenknechts Demonstration. Es fehle »die klare Abgrenzung nach rechts«

Der Bundesvorstand der Linkspartei distanzierte sich von Wagenknechts Demonstration. Es fehle »die klare Abgrenzung nach rechts«, sagte Bundes­geschäftsführer Tobias Bank. Wagenknecht sieht sich als »rechtsoffen diffamiert«, Alice Schwarzer meint: »Ein paar Dutzend Rechtsextreme gegen bald eine Million Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unseres Friedensappells. Was wiegt das schon.« Die Frage, warum ihr »Friedensappell« bei Rechten Zuspruch finden kann, stellt sich ihr offenbar nicht.

Das Manifest enthält viel blumige Rhetorik, aber nur zwei konkrete Forderungen: Waffenlieferungen an die ­Ukraine einzustellen und Friedensverhandlungen zu forcieren. Man müsse »den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: ›Schaden vom deutschen Volk wenden‹.« Es geht als um nichts Geringeres als Deutschland, das den Aufrufern so lieb und teuer ist, dass sie der Ukraine die Unterstützung entziehen und sie zu Verhandlungen mit dem Aggressor Russland zwingen wollen.

Der praktische Effekt eines solchen Kurses hätte mit Frieden nichts zu tun, ganz im Gegenteil – er würde den Krieg wohl eher verlängern. Russland hat im vergangenen Herbst Hunderttausende weitere Soldaten mobilisiert und Teile der Ukraine offiziell annektiert. Dadurch signalisierte Wladimir Putin, dass er trotz der bisherigen Rückschläge weiter die Unterwerfung der Ukraine anstrebt. Derzeit beginnt eine weitere Großoffensive der russischen Truppen im Donbass.

Das russische Regime geht offenbar immer noch davon aus, dass es sich in einem langen Zermürbungskrieg durchsetzen kann – nicht zuletzt, weil irgendwann die westliche Unterstützung für die Ukraine schwinden könnte. Eine Verhandlungslösung, die die Ukraine nicht opfert, dürfte erst möglich werden, wenn sich das als Fehlkalkül erweist.

Ohne westliche Unterstützung verliert die Ukraine den ungleichen Kampf 

Das dürfte umso eher geschehen, je deutlicher die westlichen Staaten machen, dass sie die Ukraine so lange wie nötig unterstützen werden. Sollte die Bundesregierung hingegen tun, was Wagenknecht und Co. fordern, käme dies einem Signal an das russische Regime gleich, dass es nur weiter Krieg führen muss, um irgendwann zu siegen. Denn ohne westliche Unterstützung wird die Ukraine den ungleichen Kampf verlieren, wenn nicht in einem Jahr, dann in zwei oder drei.

Diese Sicht der Dinge ist trostlos, und es ist durchaus nachvollziehbar, dass manche lieber an die Möglichkeit sofortiger Friedensverhandlungen glauben wollen. In Teilen der Linken zeigt sich darüber hinaus aber eine Verleugnung der Realität, eine ideologisch verzerrte Sicht des Konflikts, der zufolge die Nato und insbesondere die USA für die Fortdauer des Kriegs verantwortlich seien. Ein Beispiel ist die kürzlich von Gregor Gysi (Die Linke) auf Twitter aufgestellte Behauptung, »es wäre sehr schnell nach Kriegsbeginn zu einem Waffenstillstand gekommen, dem sowohl Putin als auch Selenskyj zugestimmt hatten«. Dies sei gescheitert, weil »US-Präsident Biden und der damalige Premierminister von Großbritannien Johnson diese Übereinkunft nicht akzeptierten«.

Es häufen sich schon lange die Zeichen, dass die US-amerikanische Regierung die Chancen eines eindeutigen ukrainischen Siegs gering einschätzt.

Mit der Realität hat das nichts zu tun. Eine kürzlich erschienene Recherche des russischen Mediums Meduza, die auf Quellen basiert, die an den Verhandlungen teilgenommen hatten, zeigte, was auch schon vorher offensichtlich war: Ein Friedenskompromiss, auf den sich beide Seiten hätten einigen können, war damals undenkbar – und die russische Delegation, die zum Teil zumindest den Anschein von Verhandlungsbereitschaft zeigte, sprach keineswegs im Namen Putins.

Die Chancen eines eindeutigen ukrainischen Siegs sind gering

Es häufen sich schon lange die Zeichen, dass die US-amerikanische Regierung die Chancen eines eindeutigen ukrainischen Siegs gering einschätzt und vielmehr einen langen Krieg vermeiden will. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war zwar von den Vertretern der Nato-Staaten allenthalben zu hören, das Ziel sei ein ukrainischer »Sieg« – sogar der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Verteidigungsminister äußerten sich in dem Sinne. Jenseits großer Bühnen klingen die Einschätzungen aber stets differenzierter.

Die Financial Times zitierte vergangene Woche den Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs der US-Streitkräfte, Mark Milley, mit den Worten, es sei »sehr, sehr schwierig, die Russen in diesem Jahr« aus der gesamten Ukraine zu vertreiben. Die Voraussetzung dafür wäre »im Grunde der Kollaps des russischen Militärs«. Russland müsse mit militärischer Gewalt aufgehalten werden, aber man müsse gleichzeitig bedenken, dass man es mit einem »großen und nuklear bewaffneten Land« zu tun habe, und sich deshalb der Gefahr einer Eskalation »sehr, sehr bewusst« sein.

Der Abgeordnete Adam Smith, der führende Demokrat im Verteidigungsausschuss im US-amerikanischen Repräsentantenhaus, sagte Politico zufolge in München, es gebe »einen viel größeren Konsens, als vielen klar ist, dass die Ukraine die Krim militärisch nicht zurückerobern wird«. Der FAZ sagte er, man müsse jetzt »mit der ukrainischen Führung ins Gespräch« kommen, »wie ein mögliches Kriegsende aussehen kann«. Das sei »nicht mehr so weit weg«.

Ein eventueller Sieg der Ukraine würde wohl hauptsächlich darin bestehen, dass Putin seinen Eroberungsplan aufgeben müsste und die Ukraine als eigenständiger Staat überleben könnte, so dass die dort lebenden Menschen Chancen auf eine erträgliche Zukunft hätten.

Vertreter der ukrainischen Regierung betonen zwar stets, dass sie die Krim zurückerobern und Russland keinerlei territorialen Zugeständnisse machen werden. Aber das sagt wenig über tatsächliche strategische Absichten aus, geschweige denn darüber, was mitzutragen die ukrainische Bevölkerung bereit wäre. Ein eventueller Sieg der Ukraine würde wohl hauptsächlich darin bestehen, dass Putin seinen Eroberungsplan aufgeben müsste und die Ukraine als eigenständiger Staat überleben könnte, so dass die dort lebenden Menschen Chancen auf eine erträgliche Zukunft hätten. Das ginge nicht ohne Sicherheitsgarantien und ohne Aufrüstung, um durch Abschreckung eine erneute Invasion zu verhindern.