Das Computerspiel »Star Citizen« wird einfach nicht fertig

Nur eine Verheißung

Das durch Spenden in Rekordhöhe finanzierte Simulationsspiel »Star Citizen« wird einfach nicht fertig. Dafür sind die bereits spielbaren Teile des Weltraumsimulators nicht bestimmt von endloser Weite, sondern erschreckend utopielos.

So viele Jahre sind vergangen, erkennt Caden Cotard (Philip Seymour Hoffman) im Film »Synecdoche, New York« von 2008: Über zehn Jahre hat der Regisseur wie im Rausch an seinem grö­ßenwahn­sinnigen Theater­projekt gearbeitet. Das Leben an sich wollte er in einer Inszenierung nachbilden und ließ dafür in einer riesigen Lagerhalle Man­hattan als Kulisse nachbauen und unzählige Schauspielerinnen und Schauspieler ihren trivialen Alltag nachstellen. Groß und wahr sollte sein Werk sein. Aber der abgehalfterte Künstler verliert sich in der Arbeit, die immer komplizierter, aber nicht fertig wird – bis schließlich alles im Wahnsinn kollabiert.

Cotards Trachten haftet etwas Symptomatisches an. Das Bedürfnis, große und bedeutende Kunst zu machen und aus sich selbst die ganze Welt erschaffen zu wollen, ist Teil jener »Flucht aus der Welt in das Selbstbewusstsein«, die Hannah Arendt einmal als »neuzeitliche Weltentfremdung« beschrieb. Diese habe seit jeher ein Gegenstück, nämlich die »Flucht von der Erde in das Universum«. Daher ist der Größenwahn des Künstlers, der sich als Inbegriff der Menschheit versteht, vergleichbar mit dem »Overview-Effekt« der Astronauten, die auf die Erde als Ganzes blicken und plötzlich über Weltfrieden sinnieren. Gemeinsam ist jenen, die eines der beiden Phänomene zeigen, zumindest, dass die Welt und die Wirklichkeit sie auf ihrer Flucht irgendwann einholen.

Mittlerweile wurden über Crowdfunding knapp eine halbe Milliarde US-Dollar eingenommen und ausgegeben – damit ist »Star Citizen« die größte Crowdfunding-Kampagne der Welt.

In mehrfacher Hinsicht von der Wirklichkeit eingeholt wurde auch die spektakuläre Weltraumvision des Videospiels »Star Citizen«, dessen erste spielbare Vorabversion dieses Jahr ihr zehntes Jubiläum feiert. Das latent größenwahnsinnige »Massively Multiplayer Online Game« (MMOG) soll ein wahres Paralleluniversum werden und stößt dabei nicht nur an die Grenzen des technisch Machbaren. Das Projekt zeigt auch, wie wenig Utopie man sich von der Grenzenlosigkeit ferner Welten erhoffen kann.

Das Besondere an »Star Citizen« ist, dass das Spiel genau genommen in Gänze noch nicht existiert. Dem angestrebten Meisterwerk Cotards ähnlich, ist das Spiel bis heute nicht mehr als eine Verheißung. Geplant und sehnlich erwartet wurde es als epische Weltraumsimulation eines sogenannten persistenten Universums: Spieler:in­nen sollen sich in der First-Person-Perspektive frei auf Planeten, in ganzen Sternsystemen und dazwischen bewegen können, die eine fortbestehende und eigenständige Spielwelt bilden. Wer in einer Raumstation seine Kaffeetasse auf einem Tisch abstellt, würde sie dort auch am nächsten Tag wiederfinden. Das Unterfangen fand eine loyale Community von Spieler:in­nen, die trotz aller Widrigkeiten an dem Traum festhalten. Nach über zehn Jahren Entwicklung gibt es von diesem Universum erst ein paar wenige Planeten mit jeder Menge Spielfehlern, dafür wuchsen die Versprechungen immer weiter.

Im April 2012 hat der Spieleentwickler Chris Roberts sein Unternehmen Cloud Imperium Games – im wahrsten Sinne ein Luftschloss – gegründet, das einzig zu dem Zweck existiert, »Star Citizen« zu entwickeln. Roberts war bekannt als Schöpfer der Spieleserie »Wing Commander«, deren erster Titel 1990 erschien und half, den PC als Spieleplattform zu etablieren. An das Format der 3D-Weltraumsimulation mit Kampfraumschiffen wollte Roberts anknüpfen und stellte 2014 das Einzelspielerabenteuer »Squadron 42« in Aussicht, dessen Handlung und Spielumgebung sich in das offene Universum von »Star Citizen« integrieren sollten. Für »Squadron 42« und seine Verlängerung als Online-Spiel veranschlagte Roberts damals eine Fördersumme zwischen zwei und vier Millionen US-Dollar, die er über Crowdfunding einwerben wollte. Mittlerweile hat das Unternehmen auf diesem Weg knapp eine halbe Milliarde Dollar eingenommen und ausgegeben – damit ist »Star Citizen« die größte Crowdfunding-Kampagne der Welt.

Doch Anspruch und Wirklichkeit fielen schnell auseinander. Die angekündigten Veröffentlichungstermine konnten kaum eingehalten und die überdimensionierten Erwartungen – die zudem, so oft der Vorwurf, künstlich geschürt wurden – nur enttäuscht werden. Das Studio führte lange eine Roadmap der Spieleentwicklung, an der die zahlende Community die geplanten Arbeitsschritte nachvollziehen konnte. Die Schritte, in ­denen das Universum tatsächlich wuchs, erwiesen sich als vergleichsweise winzig. Zu Beginn etwa konnte man lediglich die Landezone einer Raumstation begehen und sich im Hangar das Raumschiff ansehen, das man für seine Geldspende erstanden hatte. Bis heute lebt das Spiel von seiner großen Community, an der mittlerweile etwa 4,2 Millionen Menschen ­be­teiligt sind und die von den Entwicklern mit Videos und Events versorgt wird, sich aber größtenteils selbst organisiert.

Derzeit sind vier Planeten inklusive ihrer Trabanten spielbar und ermöglichen bereits Raumfahrten und -schlachten. Verschiedene Spielmechaniken stehen zur Verfügung, um sich so etwas wie eine virtuelle Existenz zu erspielen. Denn erst einmal besteht das Spiel darin, Geld zu verdienen, um sich ein Raumfahrzeug, Ausrüstung oder Waffen von jenen Unternehmen kaufen zu können, die die ­Galaxie unter sich aufgeteilt haben. Um an Geld zu kommen, kann man sich in sogenannten Loops wie etwa Handel, Kopfgeldjagd oder Mining, also Bergbau, betätigen. In letzterem Metier müssen Erze und Mineralien gesammelt, transportiert sowie raffiniert werden, und all das kann sehr lange dauern. Die Wirtschaft in »Star Citizen« lässt die Preise abhängig von den Kapazitäten in der Lieferkette schwanken, so dass in der Weltraumgesellschaft buchstäblich gearbeitet werden muss. Die Verheißung, dass sich die Spieler:innen an der Erschaffung eines Spieluniversums beteiligen, Unbekanntes entdecken und besiedeln können, erschöpft sich erst einmal in der Banalität von Erwerbsarbeit, garniert mit dem altbekannten Versprechen, vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen zu können.

Zusätzlich gibt es ausgelagerte Spielmodi, in denen die Spieler:in­nen Raumschlachten oder Ego-Shooter gegeneinander oder mit der KI spielen können – eine Simulation in der Simulation. Hier kann man mal die Sau rauslassen, denn das persistente Universum, in dem Handlungen eben Konsequenzen haben, braucht auch eine Ordnung, die Gewaltexzesse und Devianz reguliert, schließlich spielt man hier einen Star Citizen. Es gibt Gesetze und Strafen, Waffenverbotszonen sowie entsprechend die Spieler:innen, die diese durchsetzen, und diejenigen, die sie brechen. Genutzt werden Arenen, in denen man sich in nicht gesetzeskonformer Weise austoben kann, jenseits der persistenten Spielwelt aber immer weniger, je mehr die Elemente langsam in das Spiel integriert werden, beispielsweise in wiederkehrenden Events.

Theoretisch aber funktionieren die Arenen und auch jene Großveranstaltungen nach dem Prinzip Brot und Spiele. Wiederkehrende Kampfevents oder etwa die Messe IAE2952, die dieses Jahr in der Hauptstadt New Babbage auf dem Planeten »MicroTech« stattfand und bei der die zahlreichen Anbieter die neuesten Fluggeräte vorführten, täuschen über die relative Trostlosigkeit des Universums hinweg – und die hat erst einmal banale technische Ursachen. Es ist unfassbar kompliziert, einen ganzen Planeten als spielbare Oberfläche zu programmieren, geschweige denn eine Galaxie, die für unzählige Spieler:innen weltweit synchron zugänglich ist. Und auch die Spielwelt zu gestalten, ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Um das Spiel verfügbar zu machen, müssen eben erst einmal Tatsachen geschaffen werden. Die galaktische Gesellschaft braucht eine Entstehungsgeschichte.

Aber – so zumindest eine Hoffnung, die durchaus im Spiel angelegt ist – die Spieler:innen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie dann doch irgendwann selbst. Denn zum einen sollen mit kommenden Sternsystemen auch Möglichkeiten anderer Gesellschaftsentwürfe jenseits des korporatistischen Staats verbunden werden. Und zum anderen haben die Spieler:innen schon bewiesen, dass sie gegen das Spiel spielen können. So findet auf dem Mond Daymar seit längerem eine selbstorganisierte Rallye statt. Am eindrucksvollsten ging aber das Event Jumptown in die Geschichte des »‘Verse« ein, wie die Entwickler das Universum nennen: Auf dem Mond Yela wurde ein illegales Drogenlabor entdeckt und führte zu Auseinandersetzungen zwischen Gesetzlosen und Gesetzestreuen. Jedoch erkannten die Spieler:in­nen auf einigen Servern, dass Zusammenarbeit für alle viel lukrativer war, als sich in dem ewigen Streit zwischen Gut und Böse instrumentalisieren zu lassen. Stundenlang bildeten Spieler:in­nen mancher Instanzen eine Kette, luden das begehrte Material zusammen ab und verdienten sich eine goldene Nase.

Insgesamt sticht die Community von »Star Citizen« durch hohe ­Kooperationsbereitschaft und gegenseitige Unterstützung in der sonst oft toxischen, von Incels durchsetzten Gaming-Kultur heraus. Dazu passt, dass die Freuden des Spiels in der Faszination für große Träumereien und in ner­digen Details liegen: etwa die Machart der Raumschiffe, dass die Scheibe beschlägt, wenn man in die Atmosphäre eintritt, oder dass die Kabel im Innenraum des eigenen Fliegers räumlich animiert sind.

All das zusammen macht aber noch keine Utopie. Die Visionen einer anderen und besseren Welt – sei es in der Sinnsuche bei sich selbst oder den Weltraumträumen der Videospiele bis zur Marsbesiedlung der Milliardäre – kommen nicht über das Bestehende hinaus. Die Spieler:innen von »Star Citizen« finden sich eher in den Ruinen kapitalistischer Expansion wieder als in jenem Abenteuer, das ihnen einmal versprochen wurde. Ohne befreite Gesellschaft bleibt das entfernteste Sternsystem ein Spiegelbild der ganz alltäglichen Zwänge.