In Frankreich sollen Hausbesetzer:innen härter bestraft werden

Straße oder Gefängnis

In Frankreich soll ein neues Gesetz erlassen werden, das höhere Strafen für Haus­be­setzer:in­nen vorsieht und Mieter:innen bei Zahlungs­rückständen schlechter stellt. Gleichzeitig gibt es immer mehr Obdachlose.

Kein Ton ist zu hören auf der dunklen Straße vor dem unscheinbaren Haus in einem Randbezirk der nordfranzösischen Stadt Lille. Keine Banner, keine Graffiti. Dabei handelt es sich um das einzige Hausprojekt der Stadt, genannt »le Klub«. Hinter der schweren Eisentür und den fünf Personen, die auf der Innenseite aufmerksam Wache stehen, herrscht allerdings ein ziemlicher Trubel. Circa 40 Leute essen bei der wöchentlichen »Küche für alle« gemeinsam zu Abend, Kinder und Hunde lümmeln auf Sofas.

»Ich komme fast jede Woche her«, sagt Aiso; sie trägt kurze Haare und eine Mütze mit Leopardenfellmuster. »Bis vor kurzem habe ich hier auch noch gewohnt.« Im Klub finden Vorträge statt, es gibt regelmäßig Partys und Selbstverteidigungskurse. Außerdem wohnen hier auch etwa zehn Menschen, mal sind es mehr, mal weniger.

Wer »Propaganda oder Werbung« für Hausbesetzungen verbreitet, muss nach Verabschiedung des Gesetzes mit einer Geldstrafe von 3 750 Euro rechnen.

Ob das noch lange so bleibt, ist allerdings unklar. Anfang des Monates stimmte der französische Senat nach einer ersten Lesung mit großer Mehrheit für einen Gesetzentwurf, der die rechtliche Lage deutlich verändern würde. Das nach seinen Initiatoren benannte Kasbarian-Bergé-Gesetz soll die Strafen für Hausbesetzungen deutlich verschärfen. Hintergrund waren häufigere Medienberichte über Zusammenstöße zwischen Eigentümer:innen und Menschen, die illegal in deren Häusern wohnten. Teilweise handelte es sich dabei um Zweitwohnsitze in Ferienregionen, die immer wieder längere Zeit leer standen und daraufhin von Menschen ohne festen Wohnsitz als Schlafquartiere genutzt wurden.

Der Gesetzentwurf »zum Schutz von Wohnraum vor illegaler Besetzung« wurde der französischen Nationalversammlung bereits im Oktober 2022 von Guillaume Kasbarian und Aurore Bergé, zwei Abgeordneten der Partei Emmanuel Macrons, Renaissance (bis September 2022 hieß die Partei La République en Marche), vorgelegt und zur Freude von Vermieterverbänden von dieser Anfang Dezember in erster Lesung angenommen. Am 2. Februar stimmte auch der Senat nach einigen kleinen Änderungen des Gesetzestexts dem Entwurf in erster Lesung zu.

Ähnliche »Anti-Squat«-Gesetze wurden bereits in anderen Ländern eingeführt, wie 2010 in den Niederlanden und 2017 in Belgien. Das neue Gesetz in Frankreich droht schwererwiegende rechtliche Konsequenzen für Haus­besetzung an als bisher üblich. Es sieht vor, die Höchststrafen für »das Eindringen und den Verbleib in Wohn- oder Wirtschaftsgebäuden« zu verdreifachen, auf drei Jahre Gefängnis und 45 000 Euro Bußgeld.

Zudem dehnt der vorgeschlagene Gesetzestext den Tatbestand des Hausfriedensbruchs auf unmöblierte Wohnungen aus und sieht ihn auch dann als gegeben an, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass dem Aufenthalt in einem Gebäude ein gewaltsames Eindringen vorausgegangen ist. Wer »Propaganda oder Werbung« für Hausbesetzungen verbreitet, also dazu anstiftet oder dabei hilft, muss außerdem nach Verabschiedung des Gesetzes mit einer Geldstrafe von 3 750 Euro rechnen. Auch Streikende, die ihren Betrieb besetzen, sollen nach dem neuen Gesetz als Haus­besetzer:innen angesehen werden und dadurch deutlich höhere Strafen bekommen können.

Der Gesetzentwurf betrifft auch Mie­ter:innen. Nachdem sich Ver­mie­ter:in­­nen lange darüber beklagten, dass sich Gerichtsverfahren mit säumigen Mie­ter:innen zu lange hinziehen würden, könnten Zwangsräumungen mit dem neuen Gesetz deutlich schneller erfolgen. Dazu soll künftig in alle Mietverträge eine Klausel aufgenommen werden, die eine automatische Kündigung bei Mietrückständen erlaubt, ohne dass Vermieter:innen ein Gerichtsverfahren einleiten müssen. Säumige Mieter:innen müssten dann selbst bei ­einem Gericht einen Zahlungsaufschub beantragen. Gleichzeitig sollen Fristen in Verfahren zu Mietrückständen durch das neue Gesetz verkürzt und der Vorstand des Amtsbezirks soll dazu verpflichtet werden, innerhalb von sieben Tagen nach einer Räumungsentscheidung den Einsatz der öffentlichen Gewalt anzuordnen.

Frankreich blickt wie viele andere Länder auf drei Jahrzehnte steigender Miet- und Immobilienpreise zurück. Die derzeitigen zusätzlichen Belastungen durch steigende Energiekosten, Inflation und die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise machen nun viele Haushalte endgültig zahlungsunfähig.

Nachdem während der Corona-Lockdowns weniger Zwangsräumungen vorgenommen worden waren als in den Jahren zuvor, stieg die Zahl der Räumungsverfahren in den vergangenen zwei Jahren wieder stark an. Die Abbé-Pierre-Stiftung schätzt die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen in ihrem jährlich erscheinenden Bericht zu Wohnungsnot in Frankreich für das Jahr 2022 auf 330 000. Das sind deutlich mehr als noch im Jahr davor. Die Stiftung stellt in ihrem Bericht außerdem einen Anstieg der Zahl prekär untergebrachter, also etwa in Notunterkünften oder Wohnungen ohne fließendes Wasser lebender Menschen auf über 4,1 Millionen fest.

Gleichzeitig stehen in Frankreich 3,1 Millionen Häuser und Wohnungen leer, dazu kommen noch stillgelegte Fabriken und leere Büros. Die Gewinne aus Immobilienspekulationen sind trotz Wirtschaftskrise nach wie vor hoch.

Auch deswegen trifft der neue »Anti-Squat«-Gesetzentwurf bei vielen auf Unverständnis. Nach der Annahme des Entwurfs im Senat gibt es scharfe Kritik von linker Seite. Das Gesetz bringe »eine Verschlechterung der Mieterrechte und der Menschenrechte« mit sich, heißt es in einem Text, den die CRCE (die linke, überwiegend aus Mitgliedern der Kommunistischen Partei bestehende Fraktion im Senat) kürzlich veröffentlichte.

Doch nicht nur im Parlament wird Kritik laut. In vielen Städten gehen Menschen zusätzlich zu den regelmäßigen Streiks wegen der neuen Rentenreform auch gegen die Senatsentscheidung für das Kasbarian-Bergé-Gesetz auf die Straße. Die Demonstrierenden fordern, dass der Staat seiner Aufgabe nachkommt, das Menschenrecht auf ausreichende Unterbringung für alle zu gewährleisten. Auf den Straßen kann man an Hauswände gesprühte Sprüche lesen wie: »Loyers chers, énergie et inflation, c’est la rue ou la prison!« (Teure Mieten, Energie und Inflation, das bedeutet Straße oder Gefängnis!)

Der Klub, das besetzte Haus in Lille, organisiert Informationsveranstaltungen zu dem neuen Gesetzentwurf. »Besetzte Häuser haben für die Menschen, die dort wohnen, sich dort aufhalten und sie am Leben erhalten, eine große Bedeutung«, sagt Aiso. »Sie bieten nicht nur einen Schlafplatz, der Menschen, die nicht über die wirtschaftlichen Mittel oder die richtigen Papiere verfügen, vor der Gewalt der Straße schützt. Sie sind auch Freiräume der Selbstbestimmung, wo Leute hinkommen können, die von der ­Normalgesellschaft nicht akzeptiert werden.«

Der Kasbarian-Bergé-Gesetzentwurf geht nun zurück an die französische Nationalversammlung. Sollte diese mit den vom Senat vorgenommenen geringfügigen Änderungen am Gesetzestext einverstanden sein, wird das Gesetz höchstwahrscheinlich verabschiedet.

Diese Aussicht versetzt der sonst ausgelassenen Stimmung bei der ­»Küche für alle« im Klub in Lille einen Dämpfer. Aiso ist besonders ­wütend: »Besetzte Häuser sind Orte, an denen wir Solidarität zwischen uns schaffen und pflegen können, Orte der Freiheit. Deswegen werden wir ­unsere Squats verteidigen und die Verabschiedung des Gesetzes nicht tatenlos hinnehmen.«