Großbritannien und die EU haben sich im Handelsstreit um Nordirlands Grenze geeinigt

Gezerre um die Grenzen

Die EU und Großbritannien haben im Streit über das Nordirland-Protokoll eine Einigung erzielt. Es folgen noch innerbritische Verhandlungen.

Nach langjährigen, zähen Verhandlungen nun eine Einigung. Der britische Premierminister Rishi Sunak und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben am Montag in Windsor bei London ein Modifikationsabkommen zum Nordirland-Protokoll des Austrittsvertrags zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich besiegelt, den sogenannten Windsor-Rahmenvertrag. Mehrere Jahre haben die Parteien um Änderungen am 2019 vom ehemaligen Premierminister Boris Johnson vereinbarten Protokoll gerungen. Mit dem Austritt aus der EU hat das Vereinigte Königreich den EU-Binnenmarkt verlassen. Das Protokoll ist Teil des Austrittsabkommens und sieht vor, dass England, Schottland und Wales von der EU abgenabelt werden, Nord­irland aber weiter den EU-Regeln des Binnenmarkts, der Zollunion, für Subventionen und Mehrwehrsteuersätze unterliegt, damit es keine Kontrollen an der Landgrenze zu Irland gibt. Damit aber ist ein Teil des Vereinigten Königreichs in bestimmten Bereichen immer noch der EU-Rechtsprechung unterstellt. Das Protokoll sollte Zollgrenzen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland verhindern. Allerdings wurde so eine Zollgrenze in der Irischen See zwischen den britischen Inseln geschaffen, da in Nordirland eintreffende Waren aus Großbritannien kontrolliert werden.

All dies lehnen die protestantischen Unionisten in Nordirland ab, denn sie sehen darin den Anfang vom Ende der Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien. Die probritischen Kräfte in Nordirland, vor allem die dominierende Democratic Unionist Party (DUP), blockieren seit vorigem Jahr auch die Bildung einer Regionalregierung. Sie haben ihrerseits Unterstützung unter den Befürwortern eines »harten« Austritts aus der EU im britischen Parlament, allen voran die sogenannte European Research Group (ERG). In dieser Fraktion organisieren sich konservative Abgeordnete, die auf einen harten Bruch mit der EU pochen und es ablehnen, dass als letzte Instanz in Nordirland für Fragen des Handels der Europäische Gerichtshof gilt.

Johnson hatte in der britischen Öffentlichkeit nie zugegeben, was das Protokoll für den Handel zwischen Nord­irland und dem Rest des Königreichs bedeuten würde, sondern darauf bestanden, dass Grenzkontrollen nicht notwendig seien. Das stand im Widerspruch zu dem Vertrag, den er selbst unterzeichnet hatte. Unter seiner Führung forderte Großbritannien die Aufhebung oder kompromisslose Neuverhandlung des Protokolls. Er untermauerte diese Forderung durch einen Gesetzentwurf, der es den Briten ermöglicht hätte, den völkerrechtlich bindenden Vertrag einseitig außer Kraft zu setzen. Johnsons Regierung verweigerte die Umsetzung der im Nordirland-Protokoll vorgesehenen Maßnahmen.

Der Ärger über seine Alleingänge sorgte indes auch dafür, dass einige der Probleme durch das Protokoll von der EU zunächst kaum anerkannt wurden. Bis dato sind Zollerklärungen nötig, um private Pakete zwischen Nordirland und Großbritannien zu senden, der Online-Handel wurde ebenfalls behindert. Auch konnten britische Supermarktketten bestimmte Produkte nur mit kostspieligen bürokratischen Hindernissen nach Nordirland bringen. Vielen Nordiren waren diese Regeln ein Dorn im Auge. Die Regelung stärkte zwar die Handelsbeziehungen zwischen Irland und Nordirland, schwächte aber die zum Königreich.

Der Windsor-Rahmenvertrag vereinfacht nun den Handel und den Verkehr zwischen Nordirland und dem rest­lichen Königreich maßgeblich. Grenzkontrollen fallen weg für alle Güter, die lediglich für den nordirischen Markt bestimmt sind, was fast den gesamten Handel betrifft. Die Einfuhr britischer Medizin und der Transport von Haustieren werden vereinfacht, Zollerklärungen für private Pakete sind nicht länger vorgesehen. Bisher galt auch, dass Nordirland neue EU-Regeln schlicht akzeptieren muss. Das könnte in Zukunft die nach dem nordirischen Regionalparlament benannte »Stormont-Bremse« verhindern. Einzelne Regeln können durch eine Petition von mindestens einem Drittel der Stormont-Abgeordneten, die aus mindestens zwei Parteien kommen müssen, in Frage gestellt werden. Ultimativ entscheidet die Regierung in London, ob sie solch eine Petition übernimmt und zum Gegenstand von Verhandlungen mit der EU macht.

Zur Einigung im langen Streit kam es zuletzt durch eine Veränderung der politischen Umstände. Für die EU und das Vereinigte Königreich hatte Russlands Angriff auf die Ukraine etwaigen Streit über die Regeln zur Zertifizierung von Haustieren im Grenzverkehr hintanstehen lassen. Beide Seiten haben bei Sanktionen gegen Mitglieder der russischen Führungsschicht sicherheitspolitisch kooperiert, die einzelnen EU-Mitgliedsländer mit Großbritannien in der Nato eng zusammengearbeitet. Aus Sicht der EU half auch der Rücktritt Boris Johnsons im vergangenen Jahr. Premierminister Sunak, der in der EU-Administration als verlässlich gilt, sucht Stabilität und kann sich angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Lands einen Dauerkonflikt mit der EU, nach wie vor der wichtigste Handelspartner, nicht leisten.

Sunak sagte am Montag, man habe der EU substantielle Zugeständnisse abringen können, was auch von führenden Politikern der DUP anerkannt wurde. Unklar ist jedoch, ob die DUP-Basis und die ERG Sunaks Vereinbarung unterstützen werden. Die Tatsache, dass das Protokoll trotz weitreichender Änderungen weiter besteht, ist für einige aus dem konservativen Lager Grund genug, den neuen Vertrag abzulehnen. Wie viel politisches Gewicht diese Kritiker bekommen werden, hängt auch von Boris Johnson ab. Ihm wird nachgesagt, er könnte versuchen, das Abkommen zu torpedieren, nicht zuletzt um sich selbst innerparteilich in Posi­tion zu bringen, um vielleicht am Ende erneut zum Premierminister ernannt zu werden. Oppositionsführer Keir Starmer von der Labour-Partei hat bereits angekündigt, das Abkommen im Parlament im nationalen Interesse zu unterstützen. Doch für die Ratifikation des Vertrags von den Stimmen der Opposition abhängig zu sein, wäre der politische Ruin für Sunak.