Die Ampelkoalition will die Arbeitsverhältnisse für den akademischen Mittelbau weiter verschlechtern

Das Hamsterrad dreht sich weiter

Die Arbeitsverhältnisse an Hochschulen sind prekär, dauerhafte Anstellungen sind die Ausnahme. Die Bundesregierung hat nun Eckpunkte für eine Reform vorgelegt, die den Druck auf Nachwuchs­wissenschaftler:innen noch weiter erhöhen könnte.

»Her mit den Dauerstellen!« lautete das Motto der Konferenz der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch vergangener Woche in Berlin. Vertreter:innen von Parteien, der Bundesregierung und der GEW diskutierten dort über die Arbeitsverhältnisse an deutschen Universitäten.

Die GEW fordert seit langem ein Ende der Dauerbefristungen und unsicheren Arbeitsverhältnisse im deutschen Wissenschaftsbetrieb. Diese Zustände haben sich seit 2007 enorm verschärft, als das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) in Kraft trat.

Dass eine Reform nötig ist, bestreitet auch die Bundesregierung nicht. Am Freitag hat das FDP-geführte Bundesforschungsministerium erste Eckpunkte für eine Neufassung des Gesetzes vorgestellt. Der Entwurf sieht vor, dass Erstverträge in der Promotionsphase zukünftig eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben sollen, nach der Promotion – in der »Postdoc«-Phase – soll die Mindestlaufzeit zwei Jahre betragen.

Nachwuchswissenschaftler:innen müssen häufig den Arbeitgeber wechseln, manche ziehen fast jährlich in eine andere Stadt.

Gleichzeitig sollen Wissen­schaft­le­r:innen nach der Promotion maximal drei Jahre lang befristet beschäftigt werden können. Wer nach diesen drei Jahren keine feste Stelle gefunden hat, wird dann meistens aus dem Wissenschaftsbetrieb ausscheiden müssen.

Gerade dieser Punkt sei eine »Verschlechterung«, sagte Andreas Keller von der GEW gegenüber Table Media. Dadurch werde der Druck auf die Angestellten nur weiter wachsen, wenn nicht gleichzeitig die Zahl der unbefristeten Stellen erhöht werde.

Auch hunderte Professor:innen kritisierten die Eckpunkte in einem öffentlichen Brief scharf. Die »jetzt schon kaum mehr zumutbaren Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen drohen sich noch weiter zu verschlechtern«, heißt es darin. Schon am Sonntag teilte eine Staatssekretärin des Bildungsministeriums auf Twitter mit, man nehme die Diskussion ernst und der Entwurf solle »zurück in die Montagehalle«. Was konkret verbessert werden könnte, wurde allerdings nicht gesagt.

#IchbinHanna
Das Thema Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich hatte vor zwei Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Ein schon älterer Film des Bildungsministeriums hatte damals in sozialen Medien für Aufregung gesorgt. Das Video sollte am Beispiel einer Biologin namens Hanna die gängige Befristungspraxis an deutschen Universitäten ­erklären. Ohne personelle Fluktuation, so hieß es in dem Video, werde das System durch eine Generation von Wissenschaftler:innen »verstopft« werden. Das Video traf einen Nerv. Unter dem Hashtag »IchbinHanna« schrieben Wissenschaftler:innen in sozialen Medien über ihre persönlichen Erfahrungen mit Prekarität und unsicheren Arbeitsverhältnissen.

Das seit 2007 geltende WissZeitVG gewährt den Hochschulen ein Sonderbefristungsrecht. Dadurch wird das Arbeitsrecht in diesem Punkt eingeschränkt. Über einen Zeitraum von zwölf Jahren können Wissen­schaft­ler:innen immer wieder befristet angestellt werden, solange dies – so die of­fizielle Begründung – ihrer Qualifizierung dient: sechs Jahre bis zur Promo­tion und weitere sechs danach. Nach­wuchs­wissenschaft­ler:innen müssen häufig den Arbeitgeber wechseln, manche ziehen fast jährlich in eine andere Stadt. Am Ende erhält nur ein kleiner Teil eine unbefristete Stelle. Jene promovierten Wissenschaftler:innen, die keine Professur erlangen, müssen deshalb die Wissenschaft verlassen oder ins Ausland wechseln. Viele von ihnen haben zu dem Zeitpunkt schon jahrelang für wenig Geld als promovierte Forsche­r:innen an der Universität gearbeitet.

Wissenschaftskarrieren lassen sich daher nur schlecht planen. Gerade für Frauen ist das ein Problem, da in den für die Familienplanung relevanten Lebensphasen große Zukunftsunsicherheit herrscht. »Ich würde auch mit einem Doktortitel noch als Nachwuchs behandelt und auf absehbare Zeit befristet angestellt werden. So sehr ich die Wissenschaft auch liebe – ich habe jetzt bereits den Entschluss gefasst, nach meiner Promotion die Universität zu verlassen, um zum Beispiel in einem Museum zu arbeiten«, sagt die Historikerin Kerstin Dembsky, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster angestellt ist, der Jungle World.

Nachbesserung des WissZeitVG
Die unsicheren Arbeitsbedingungen führen dazu, dass sich viele gegen die Wissenschaft entscheiden. »Wir haben bei uns am Institut immer wieder Fälle, wo wir wirklich sehr gute und engagierte Hilfskräfte, die auch Interesse an der Forschung haben, nicht halten können, weil eine Verbeamtung als Lehre­r:in an einer Schule so viel attraktiver erscheint«, sagt Christoph Wolf von der Universität Hannover der Jungle World. Einige hätten dann vor, »nach dem Referendariat wieder zurückzukommen, aber das passiert nur sehr selten. Was sind ein paar unsichere Jahre an der Uni gegen eine Verbeamtung auf Lebenszeit?«

Es gab bereits 2016 eine Nachbesserung des WissZeitVG, das allzu kurzen Befristungen einen Riegel vorschieben sollte. Doch hat das die Lage bisher kaum verbessert. Eine Evaluation ergab, dass im Jahr 2020 die Laufzeit der Arbeitsverträge für junge Wissen­schaft­ler:innen im Durchschnitt 17,3 Monate betrug. Jeder dritte Arbeitsvertrag habe eine Laufzeit von weniger als zwölf Monaten.

Die GEW fordert deshalb eine »radikale Reform« des Gesetzes, um »Dauerstellen für Daueraufgaben« an den Hochschulen zu schaffen. Sie fordert eine Regellaufzeit der Verträge von sechs Jahren sowie eine »verbindliche Entfristungsperspektive für Postdocs«. Wer nach der Promotion an der Hochschule als Wissenschaftler arbeite, treffe »eine Entscheidung für die Wahr­neh­mung von Daueraufgaben in der Wissenschaft«, heißt es in einem Entwurf der GEW für eine Reform des WissZeitVG. Das müsse »und muss entsprechend auf Dauerstellen erfolgen oder mindestens verbindlich auf eine Dauerstelle hinführen.«

Die Arbeitgeberseite wird von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vertreten. Sie will die Möglichkeit der Befristung erhalten und sie lediglich auf einen Zeitraum von zehn Jahren beschränken. Eine Mindestlaufzeit soll es nur für den Erstvertrag von Promovierenden geben, sie soll lediglich drei Jahren betragen. Die durchschnittliche Promotion nimmt 5,7 Jahre in Anspruch (ohne die Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften gerechnet, wo die Promotion meist sehr zügig geht).

Ein grundlegendes Problem für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen besteht im geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad an Hochschulen.

Die Ampelkoalition versprach eine Reform und zitierte im Koalitionsvertrag sogar den Slogan der GEW: »Dauerstellen für Daueraufgaben«. Dass sich etwas ändern muss, ist weithin anerkannt, auch die Vertreter der CDU und FDP bejahten dies auf der Konferenz der GEW. Allerdings zeigte sich dort auch die Uneinigkeit zwischen den Vertretern der Regierungskoalition. Die FDP neigt eher zur Position der HRK, während die Bundestagsfraktion der SPD und die Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft der Grünen kürzlich Positionspapiere vorstellten, die der Position der GEW näher sind. Die Ausarbeitung der Reform wird sich wohl noch bis in den Herbst ziehen.

Bei der Wissenschaftspolitik haben auch die Bundesländer einen gewissen Spielraum, den sie allerdings bisher kaum genutzt haben. Eine Ausnahme ist das Land Berlin. Die scheidende ­Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei verabschiedete 2022 eine Novelle des Hochschulgesetzes, die eine Entfristung für Post­doktor­an­d:innen vorschreibt.

Arbeitsrechtliche Lage an den Hochschulen
Das Gesetz stieß auf großen Widerstand, unter anderem von der CDU, die dagegen sogar vor dem Verfassungsgericht klagte – das Urteil steht noch aus. Bei den kürzlichen Wiederholungswahlen in Berlin wurde die CDU stärkste Partei, derzeit verhandelt sie mit der SPD über einen Koalitionsvertrag. Hinsichtlich des Hochschul­gesetzes gebe es dabei »Diskussionsbedarf«, sagte ein Sprecher der CDU dem Tagesspiegel.

Eine Forderung im Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion könnte, sollte sie erfüllt werden, die arbeitsrechtliche Lage an den Hochschulen grundlegend verändern. Sie betrifft die sogenannte Tarifsperre, die im WissZeitVG vorgeschrieben ist. An den Hochschulen dürfen Arbeitgeber und Gewerkschaften keine eigenen Verträge aushandeln, die vom Gesetz abweichen. Die Gewerkschaften könnten also nicht durch Arbeitskämpfe versuchen, ein Ende der Befristungen durchzusetzen. Das SPD-Positionspapier schließt sich der GEW an, die ein Ende der Tarifsperre fordert.

Ein grundlegendes Problem für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen besteht im geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad an Hochschulen. Die prekären Arbeitsbedingungen und der Konkurrenzdruck führen eher zu Einzelkämpfertum, Arbeitskämpfe oder Streiks erscheinen vielen unrealistisch.

Dass es auch anders geht, zeigten 2018 die studentischen Beschäftigten an den Berliner Hochschulen, die nach langer Auseinandersetzung die Erneuerung des bundesweit einzigen Tarifvertrags für diese Beschäftigtengruppe erreichen konnten. Auf einer Aktionskonferenz in Göttingen im Februar haben sich studentische Organisationen kämpferisch gegeben. Ihr Ziel sei es, im Herbst bei der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes der Länder Tarifverträge nach dem Berliner Vorbild zu erreichen, hieß es dort.