Schau mit Werken von Wayne Thiebaud

Der Tauschwert der Kuchen

Wer hier reinzubeißen versucht, riskiert seine Zähne. Die Fondation Beyeler in Basel zeigt die Bilder des US-amerikanischen Malers Wayne Thiebaud (1920–2021) erstmals in einer Einzelausstellung im deutschsprachigen Raum.

»The proof of the pudding is in the eating«, den Pudding testet man beim Essen, lautet ein englisches Sprichwort, das schon der hartgesottene Materialist Friedrich Engels bemühte, um auf die Notwendigkeit praktischer Erfahrung zu verweisen. Die Bilder des US-amerikanischen Künstlers Wayne Thiebaud, die derzeit in der Fondation Beyeler in Basel zu sehen sind, stellen dazu eine Gegenthese auf, indem sie sich auf das abstrakte Moment der Gegenständlichkeit konzentrieren.

Die Süßwaren auf seinen Gemälden wirken nicht einfach appetitanregend, vermögen aber dennoch, den Betrachter ganz in ihren Bann zu schlagen. Und zwar nicht aufgrund von ans Konkrete gemahnender Üppigkeit, sondern im Gegenteil aufgrund einer maßlos sorgfältigen Symmetrie und einer Reduktion auf klare Linien: spitzwinklige Kuchendreiecke mittig im Kreis des Tellers platziert.

Es ist Kunst, die hinters Licht führt. Hier ist nichts zum Reinbeißen, auch wenn es zunächst so scheinen mag. Die Überschreitung der Grenzen zwischen Konkretion und Abstraktion, die sich genauer als eine Rückübersetzung aus dem Abstrakten in das gegenständliche Motiv hinein fassen ließe, zeitigt mitunter verblüffende Effekte und zieht sich durch Thiebauds Werk, das darum spektakulär genannt werden darf.

Mit Form, Farbe und Nichtfarbe spielend, zeigt Thiebaud, wie die Warenwelt den sinnlichen Zugang zu den Dingen versperrt.

Thiebaud, 1920 in Arizona geboren und 2021 im Alter von 101 Jahren in Kalifornien gestorben, wird gelegentlich der Pop Art zugerechnet, doch damit wird man ihm kaum gerecht. Zwar ist auch sein Werk nur vor dem Hintergrund der boomenden Konsumwelt der sechziger Jahre samt ihrer funkelnden Warenästhetik zu verstehen. Doch hier geschieht mehr. Denn Thiebaud gelingt, wie am Beispiel der Kuchen angedeutet, das wahrhafte Kunststück, an Alltagsgegenständen und selbst an Menschen eines abstrakten Moments gewahr zu werden.

Merkwürdige Unwirklichkeit
Eindrücklich wird das etwa am Bildnis einer Studentin. Auf den ersten Blick wird eine aufmerksame Frau auf einem Seminarstuhl sitzend gezeigt. Doch tatsächlich handelt es sich weniger um das Bild von einer Studentin, die als konkretes Individuum erfasst werden könnte, sondern vielmehr um eine malerische Studie des Typus »Studentin«. Ihre Pose ist steif wie die eines Modells, das für einen Maler sitzt, der die Formen ihres Körpers geduldig erkundet. Von ihr geht eine merkwürdige Unwirklichkeit aus, wie man sie in solchen hyperkonkreten Darstellungen selten findet.

Mit Form, Farbe und Nichtfarbe spielend, zeigt Thiebaud, wie die Warenwelt den sinnlichen Zugang zu den Dingen versperrt: Der für den Verkauf produzierte Gegenstand verschwindet als konkreter hinter seiner marktschreierischen Präsentation, wird auf diese reduziert. Das ist das Prinzip der Werbung: Unstillbare Begehrlichkeiten werden erweckt, während aufs Stoffliche gerichtete Sinnlichkeit verhindert wird und wirkliche Befriedigung kaum eintreten kann.

Durch das Schillern in ungeahnter Farbintensität werden einerseits die Effekte des Unwirklichen verstärkt, zugleich entsteht ein schüchterner Frohsinn.

Wolfgang Fritz Haug arbeitete dies 1970 in seiner »Kritik der Warenästhetik« heraus, eine Theorie, die der Epoche des Massenkonsums entspringt – wie Thiebauds ­Bilder aus den sechziger Jahren. Haug wie Thiebaud erteilen dabei nicht der Schönheit eine Absage, sondern dem falschen Schein. Was daran zutiefst melancholisch anmutet, wird bei Thiebaud stets gebrochen, häufig durch eines seiner Markenzeichen: dicke Konturstriche um die Figuren in kräftigbunten Farben, die erst bei näherem Herantreten ganz deutlich werden. Durch das Schillern in ungeahnter Farbintensität werden einerseits die Effekte des Unwirklichen verstärkt, zugleich entsteht ein schüchterner Frohsinn, der etwas vom versprochenen Genuss einlöst und dabei in seiner Plakativität zugleich auch ein ver­störendes Moment enthält.

Der gekonnten Hängung in der Fondation Beyeler gelingt es, Thiebauds künstlerisches Anliegen zu unterstreichen, zum Beispiel indem Bilder von Flipperautomaten und Jukeboxen neben Figurenbildern präsentiert werden. Umso unangenehmer fällt die kuratorische Entscheidung für eine warnende Anmerkung auf. Sie gilt einem der schwächeren Bilder, zu dem der Zugang aber dennoch durch Belehrung verstellt wird: Es zeigt Kuscheltiere im Regal, mutmaßlich eines Geschäfts. Sie haben leere Augen und starre Körper, zum Exzess ist hier getrieben, was in den Frauenbildnissen schon angedeutet war; sie ziehen Grimassen oder sehen schlicht so leblos aus, wie Kuscheltiere es tatsächlich sind.

Rassistische Stereotype
Die Anmerkung neben dem Bild weist nun völlig unvermittelt darauf hin, die Darstellung der Affen könne an rassistische Stereotype erinnern. Und es ist wie stets bei derlei Warnungen: Sie stellen sich dem Gehalt in den Weg und legen im schlimmsten Fall etwas in ihren Gegenstand, das dort nicht ist. Letztlich sagen sie mehr über die Warner als über das Werk oder die Welt. So tritt auch in diesem Fall in den Hintergrund, wie hier das Glücksversprechen der Warenwelt als Groteske gezeigt wird und die überzogenen Merkmale der Affengesichter genau dazu beitragen.

Dass Thiebaud nicht nur seine Gegenwart genau im Blick hatte, sondern auch die künstlerische Tradi­tion, zeigt sein so schelmischer wie liebevoller Umgang beispielsweise mit Cézanne, van Gogh und Hopper. Das Bild eines Paars feiner Lederschuhe mag das anschaulich machen, denn es greift das Motiv des Schuhwerks aus van Goghs berühmtem Stillleben von 1886 nicht nur auf, sondern variiert es.

Anders als van Gogh die Stiefel, platziert Thiebaud die Schuhe nicht frontal zum Betrachter, sondern lässt ihre Spitzen leicht nach links deuten; zart auf einer weißen Fläche abgestellt, wie zu vorsichtigen Tapsern oder vielleicht auch Tanzschritten bereit. Indem Thiebaud die Eleganz der nur auf den ersten Blick groben Stiefel van Goghs bewahrt und diese durch die Emphase der Künstlichkeit noch steigert, wird ganz nebenbei auch einer einflussreichen Interpretation des van Gogh’schen Gemäldes eine Absage erteilt: der Martin Heideggers, der in den Schnürstiefeln die Verkörperung des Daseins einer Bäuerin erkannt haben wollte.

Das Ausmaß der Formbeherrschung Thiebauds zeigt sich auch an seinen äußerst ungewöhnlichen und auch im Wortsinn abgründigen Landschaftsbildern, die mit Formen und Perspektiven bis an die Grenze zum Surrealen experimentieren und dadurch nahezu das Genre sprengen: seien es Darstellungen von gigantischen Canyons oder seien es riesige verzerrte und beinahe menschenleere Stadtszenarien, denen eine Dimension von Monstrosität eignet. In die Bedrohlichkeit der Umgebungen wird gestalterisch jedoch so offensiv eingegriffen, dass man meinen könnte, hier solle gezeigt werden, dass die Menschheit doch noch Meister ihres Schicksals ­werden könnte. Thiebaud muss ein furchtloser Maler gewesen sein. ­Seine Bilder transportieren etwas vom Versprechen einer Welt ohne Angst, jedoch ohne zu kaschieren, was eine solche verhindert.

Wayne Thiebaud. Fondation Beyeler, Basel. Die Ausstellung läuft noch bis 21. Mai.