Eine Frage der Perspektive
Die Zahl antisemitischer Straftaten in Berlin hat einen neuen Höchststand erreicht. Mitte März hat die Berliner Generalstaatsanwaltschaft die Zahlen für 2022 veröffentlicht. Es wurden 691 entsprechende Verfahren verzeichnet, 30 mehr als im Vorjahr. »Damit hat sich leider der stetige Anstieg fortgesetzt und wir verzeichnen einen wirklich signifikanten Anstieg«, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft, Florian Hengst. 2019 wurden 386 Verfahren registriert, 2020 waren es 417. Allerdings werden bei den Zahlen der Generalstaatsanwaltschaft nur solche Fälle berücksichtigt, bei denen es tatsächlich auch zur Anklage kam; nicht jede Anzeige führt zu einer Anklage. Einer Umfrage der EU-Grundrechtsagentur von 2018 zufolge werden nur 79 Prozent der antisemitischen Vorfälle zur Anzeige gebracht.
Warum verzichten nicht wenige Betroffene darauf, Anzeige zu erstatten? Unter anderem diese Frage war Gegenstand einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. Zwischen 2017 und 2020 hat die Meldestelle über 150 Interviews mit Vertretern und Vertreterinnen jüdischer Gemeinden aus dem ganzen Bundesgebiet geführt.
Der Bericht will darstellen, wie Antisemitismus von Juden und Jüdinnen wahrgenommen wird. Die ständig erzwungene Auseinandersetzung mit Antisemitismus führe zu Erfahrungen und Wahrnehmungen, die »für die nicht-jüdische Bevölkerung meist völlig unbekannt« blieben, heißt es dazu im Bericht.
Befragte aus Nordrhein-Westfalen schätzten, dass mehr als die Hälfte der Menschen aus ihrem jüdischen Umfeld antisemitische Vorfälle nicht zur Anzeige bringe.
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