Am Samstag mit Verdi für höhere Löhne und bezahlbares Wohnen spazieren

Eingespielter Protest

Raucherecke Von

Zumindest in Anbetracht der Teilnehmerzahl war die Kundgebung von Verdi am Samstag vor dem Brandenburger Tor ein Flop. Anstelle der 5 000 Angemeldeten kamen letztlich nur 700 bis 900 Teilnehmer, um unter dem Motto »Wir sind Berlin – Wir zahlen nicht für eure Krise« zu demonstrieren. Zwischen den Warnstreiks voriger und dieser Woche hatten viele Beschäftigte wohl nicht so viel Lust auf den samstäglichen Protest. Dass die Anwesenden sich die Stimmung trotzdem nicht vermiesen ließen, mag zum einen am passablen Wetter, zum anderen an den Veranstaltern gelegen haben, die durch die Krisenproteste der vergangenen Zeit sehr eingespielt wirkten.

Zur Kundgebung, deren Teilnehmer sich anschließend zum Sitz der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände aufmachten, hatte Verdi zusammen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), mit Organisationen aus der Berliner Mieterbewegung, mit der Protestplattform »Genug ist genug«, der Twitter-Initiative unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen und der Berliner Krankenhausbewegung aufgerufen. Die Kundgebung wollte man mit dem bundesweiten Streik im Verkehrs­sektor am Montag verknüpfen. Zu den vorgetragenen Forderungen zählten nicht nur Lohnerhöhungen, sondern auch bezahlbare Mieten, bezahlbarer öffentlicher Personennahverkehr und erschwingliche Energiepreise. »Es geht darum, dass wir uns diese Stadt nicht mehr leisten können«, sagte ein Krankenpfleger aus dem Berliner Charité.

Wer die bisherigen Aktionen von »Genug ist genug« verfolgt hatte, dem bot sich auf der Kundgebung ein vertrautes Bild. Seit Beginn der Krise versucht die Plattform, verschiedene Forderungen nach einem Ende der Umverteilung von unten nach oben öffentlichkeitswirksam zu vereinigen, und sucht hierbei ­insbesondere die Zusammenarbeit mit streikwilligen Beschäftigten. In diversen ­Redebeiträgen ging es um die Vielfältigkeit, aber auch die Gemeinsamkeit derzeitiger Verteilungskämpfe. Die routinierten Redner trafen den richtigen Ton.

Eine Auszubildende der Berliner Wasserbetriebe sagte, sie habe wegen den Preissteigerungen für ­Lebensmittel nur noch 200 Euro im Monat für Klamotten und Freizeit übrig. Und dabei zahle sie mit 300 Euro für Berliner Verhältnisse nicht einmal eine hohe Miete. »Das Geld reicht hinten und vorne nicht«, sagte sie. Ein Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung rechnete den anwesenden »Streikdele­gationen« verschiedener Berliner Betriebe vor, dass die 15 Milliarden, welche die Kommunen das geforderte Lohnplus im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst kosten würde, im Vergleich zu 815 Milliarden Steuereinnahmen im Jahr 2022 nicht viel seien. Und ein Krankenpfleger bemerkte: »Montag ist kein ­Megastreik, sondern der Normalfall in einem Land, in dem sich Menschen nicht mehr leisten können, zu arbeiten.« Lediglich der Intensivpfleger Ricardo Lange war enttäuscht ob der geringen Teilnehmerzahl: »Wo sind die Kollegen, die immer rumjammern, wie schlecht alles ist, und die heute zu Hause auf der Couch liegen?«

Anwesend waren hingegen die beiden Bündnisse »Heizung, Brot und Frieden« und »Aufstehen«, die Sarah Wagenknecht nahestehen. Mit insgesamt vier großen Bannern versuchten sie etwas aufdringlich das Erscheinungsbild der Kundgebung zu prägen.