Kleinunternehmer in Sachsen finanzieren Rechtsextreme

Sponsoren der Bewegung

Einer Studie zufolge spielen Kleinunternehmer in der sächsischen Provinz eine wichtige Rolle bei der Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts.

Die organisierte Zerschlagung der ostdeutschen Industrie nach der Wende sorgte für eine durch Arbeits- und Perspektivlosigkeit motivierte Abwanderung vor allem jüngerer und gebildeter Menschen. Das wiederum bereitete den Boden für eine rechtsextreme Graswurzelbewegung. Was einst neonazis­tische Jugendgruppen waren, entwickelte sich über die Jahrzehnte hinweg zu Netzwerken erwachsen gewordener Rechtsextremisten. Dabei entstanden nicht nur terroristische Gruppierungen wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), sondern auch neue Verbindungen auf wirtschaftlicher Ebene.

Einige rechtsextreme Jugendliche von einst sind zu Unternehmern geworden. Das zeitigt viele Vorteile. Rechtsextreme können sich gegenseitig Jobs zuschustern, obwohl sie aufgrund »ihrer Einstellung auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben«, sagte der Leiter des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Müller, bereits 2018 der Zeit. Dies sei ein Versuch der Szene, »wirtschaftlich autark zu werden«, so Müller weiter. Laut dem Kulturbüro Sachsen ergänzten solche Unternehmen die gerade im ländlichen Raum gängige rechte Strategie, Immobilien zu erwerben und Freizeitangebote zu schaffen.

Im Januar haben das an der Universität Leipzig angesiedelte Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) und das antifaschistische Rechercheprojekt 15 Grad Research in einem Strategiepapier eine Analyse über rechte Unternehmer in der sächsischen Provinz vorgelegt. Es untersucht deren Einfluss »auf die politische Kultur« im sächsischen Landkreis Görlitz.

Im östlichsten Landkreis Sachsens und somit auch Deutschlands sind den Autoren der Studie zufolge »eine Vielzahl rechter Akteure (Reichsbürger, Rechtsextreme, Verschwörungsgläubige, Esoteriker) aktiv, die beruflich kleine oder mittlere Unternehmen (KMU) betreiben«. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) war im Landkreis bei der Bundestagswahl 2021 mit 32,5 Provinz stärkste Partei. Der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla gewann dort das Direktmandat.

Gab es Anfang der neunziger Jahre vor allem einzelne Szeneläden der neonazistischen Subkultur, hat sich die extreme Rechte in den vergangenen Jahren ein Netzwerk von Unternehmen verschiedener Branchen geschaffen. »Heute lassen sich in der Region einige Unternehmer finden, die den Reichsbürgern, den Freien Sachsen oder der AfD angehören oder kulturellen Vereinen, die extrem rechten Gruppierungen ideologisch nahestehen«, heißt es in der Studie.

Im Landkreis Görlitz fänden nach Angaben des Rechercheprojekts 15 Grad Research bekannte Größen der neonazistische Szene mit »Querdenkern«, Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und völkischen Esoterikern zusammen

Diese Unternehmer spielen laut dem stellvertretender Direktor des EFBI, Johannes Kiess, »eine relevante Rolle bei der Normalisierung extrem rechten Gedankenguts«. Sie seien in der Lage, »Infrastruktur, Sozialkapital sowie finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen«, sagte Kiess der Jungle World. Antonia Mertsching, sächsische Landtagsabgeordnete der Linkspartei, beklagt gegenüber der Jungle World, dass es durch diese Entwicklung »immer weniger Berührungsängste mit Rechtsex­­tremen« gebe. Kiess zufolge waren »bis vor einigen Jahren Verbindungen in neonazistische Kreise noch stärker sozial geächtet«, doch inzwischen sei »die extreme Rechte zunehmend hy­brider und heterogener geworden, und das erleichtert solches Engagement«.

Als Beispiel wird in dem Strategiepapier unter anderem der Gartenbau-Unternehmer Helge Hilse aus dem Kurort Oybin genannt. Der Mitgründer des bundesweit aktiven rechtsextremen Vereins Ein Prozent versucht, mittels eines weiteren Vereins mit dem unverdächtigen Namen Landleben 19 e. V. in der Region zu wirken. Neben der »Weckung und Förderung vertiefter Heimatliebe« und der »Förderung des Brauchtums, der gewachsenen Traditionen und Werte« hat sich der Verein seiner Internetpräsenz zufolge die »Unterstützung von Existenzgründern zur Verbesserung der ländlichen Infrastruktur« auf die Fahnen geschrieben. Als Partner und Unterstützer listet die Web­site des Vereins Firmen aus dem Landkreis Görlitz sowie aus Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf – vom Naturkostladen bis zum Gerüstbauunternehmen.

Dem im Oktober 2022 gegründeten sogenannten Aktionsbündnis sächsischer Unternehmer haben sich nach eigenen Angaben mehr als 300 Firmen angeschlossen. Belegt ist diese Zahl nicht, sie stammt aus einem offenen Brief »an die Regierungen der Bundesrepu­blik Deutschland und der Russischen Föderation sowie das russische Volk«. Darin wird »an alle Beteiligten« ap­pelliert, »sich gemeinsam und diplomatisch für das friedliche Wohlergehen unserer Völker einzusetzen«. Ins Leben gerufen wurde der Verein von Frank Liske, Hauptgeschäftsführer eines Fahrsicherheitszentrums in Görlitz und ehemaliges Kreisvorstandsmitglied der lokalen AfD, zusammen mit dem ehemaligen Stadtratskandidaten der rechtsextremen Gruppierung Pro Chemnitz, Dieter Jörg List.

Das Beraternetzwerk Oberlausitz/Niederschlesien wiederum unterstützt lokale Unternehmer in Fragen der Buchhaltung oder der Existenzgründung. Dessen Geschäftsführer, Jörg Domsgen, sitzt für die AfD im Stadtrat von Zittau. In seiner Funktion wurde er zum Aufsichtsratsmitglied der »Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zit­tau GmbH« gewählt, ein Theater mit zwei Spielstätten, das sich der Förderung durch Landesmittel erfreut.

Das Erstarken der Rechtsextremen im ländlichen Ostdeutschland führt Kiess darauf zurück, dass »die Szene die politische Krise über das Thema Migration 2015 und nun die Corona-Pandemie als Möglichkeitsfenster genutzt hat, um stärker Verbindungen in mittelständische Milieus auszubauen«. Laut den Autoren der Studie beteiligte sich Liske zum Beispiel an den verschwörungstheoretisch orientierten und rechtsex­trem dominierten »Montagsdemonst­rationen« gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie und vertrat die Maßnahmengegner auch als Sprecher in der Öffentlichkeit.

Im Landkreis Görlitz fänden nach Angaben des Rechercheprojekts 15 Grad Research bekannte Größen der neonazistische Szene mit »Querdenkern«, Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und völkischen Esoterikern zusammen. Lokale Unternehmer unterstützen deren Aktivitäten, ihr Engagement trage zudem zur Normalisierung antidemokratischer Positionen bei. Vor dem Hintergrund der großen Relevanz von Sponsoring und Spendentätigkeit im ländlichen Raum, vom Engagement im Kreisligafußball bis hin zu Parteispenden, sollte die Rechtsextremismusforschung diesen Strukturen mehr Beachtung schenken, resümiert die Studie.

»Wie auch beim Ankauf von Immobilien durch neonazistische Akteure geht es vor allem um eine Sensibilisierung der zuständigen Behörden«, sagt Kiess der Jungle World. Dabei seien die Denkmalschutzämter genauso gefordert wie die Aufsicht bei öffentlichen Ausschreibungen.