Bulgarische Politiker stehen vor schwierigen Koalitionsgesprächen

Bulgariens Politisches Dilemma

In dem Balkanland wurde wieder gewählt - zum fünften Mal binnen zwei Jahren. Die Chancen, dass sich eine stabile Regierung bilden kann, stehen weiter schlecht. Derweil erschweren die Behörden Journalist:innen ihre Arbeit.

Bulgarien ist im Dauerwahlmodus. Die rechtskonservative Partei »Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens« (GERB) holte am 2. April bei vorgezogenen Neuwahlen erneut die meisten Stimmen, hatte es aber schon nach den vorigen Parlamentswahlen im Oktober 2022 nicht geschafft, eine Regierung zu bilden. Bei keiner Wahl der vergangenen beiden Jahre kam eine tragfähige Regierungsmehrheit zustande, auch diesmal zeichnen sich schwierige Koalitionsverhandlungen ab.

Das nach eigenen Angaben westlich ausgerichtete Parteienbündnis aus der langjährigen Regierungspartei GERB und der Union der Demokratischen Kräfte (SDS) gewann gegen ein pro­euro­päisches und liberales Bündnis jüngerer Parteien. Der Wahlsieger und dreimalige Ministerpräsident Bojko Borissow (GERB) bot der zweitplatzierten Listengemeinschaft aus der sozial-liberalen »Wir setzen den Wandel fort« (PP) und dem liberal-konservativen Bündnis Demokratisches Bulgarien (DB), dem seinerseits die Parteien »Demokraten für ein starkes Bulgarien« (DSB), »Ja. Bulgarien!« (DaB!) und »Grüne Bewegung« (ZD) angehören, umgehend eine Regierungskoalition an.

Allerdings sind viele dieser neueren Parteien an­getreten, um die etablierten Parteien abzulösen, nicht um mit ihnen zu koalieren. Zudem war im Juni 2022 die Regierung, die zum Teil aus diesem Wahlbündnis bestand, durch ein von GERB und SDS eingebrachtes Misstrauensvotum gestürzt worden.

Die Wahlbeteiligung lag bei 40,6 Prozent, geringfügig höher als bei der vorigen Wahl. Es hatte anonyme Bombendrohungen per E-Mail gegen Schulen gegeben, die als Wahllokale dienen. Wenige Tage vor der Wahl räumte die Polizei Dutzende Schulen sowie die Wirtschaftsuniversität in der Hauptstadt Sofia, fand aber keine Sprengsätze. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen »Verbrechen gegen die Repu­blik« ein.

Wenige Tage vor der Wahl räumte die Polizei Dutzende Schulen sowie die Wirtschaftsuniversität in der Hauptstadt Sofia, fand aber keine Sprengsätze.

Der geschäftsführende Innenminister Iwan Demerdschiew teilte mit, man gehe davon aus, dass es sich um »hybride Angriffe« handle, die in »irgendeiner Weise mit Russland verbunden sind«. Russische Propaganda ist in Bulgarien weit verbreitet, im Land sympathisieren starke politische Kräfte mit dem Kreml. Die Kluft zwischen den Parteien, die gegen, und jenen, die für die Politik der russischen Regierung sind, ist groß.

Borissow musste im Januar 2017 wegen anhaltender Protesten gegen ihn und seine Regierung zurücktreten. Im Februar verhängten die USA gegen mehrere vormalige Mitglieder der Regierung Borissow Sanktionen aufgrund von Korruption, des Glücksspielgesetzes der GERB und einer ausstehenden Justizreform. Betroffen war auch der ehemalige Finanzminister Wladislaw Goranow (GERB). Das hielt Manfred Weber, den Vorsitzenden Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), nicht davon ab, sich für die Wahl von GERB auszusprechen, die im EU-Parlament Teil der EVP ist. Weber, der auch der bayerischen CSU angehört, hatte im vorigen Jahr Borissow verteidigt, als dieser wegen Korruptionsvorwürfen kurzfristig verhaftet wurde.

Als drittstärkste Kraft erlangte die kremlnahe und ultrarechte »Wiedergeburt« 14,2 Prozent der Stimmen. Die Partei ließ jedoch durch ihren Vorsitzenden Kostadin Kostadinow verlauten, dass sie keinerlei Interesse habe, mit anderen im Parlament vertretenen Parteien zusammenzuarbeiten.

Die ­liberale »Bewegung für Rechte und Freiheiten« (DPS), die zumeist von der türkischen Minderheit sowie von Roma und Pomaken gewählt wird und ebenfalls bereits durch Korruptionsfälle auffiel, erhielt 13,6 Prozent der Stimmen, die als russlandfreundlich geltende Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) nur noch knapp neun Prozent. Die populistische Partei »Es gibt ein solches Volk« (ITN) schaffte es wieder ins Parlament, jedoch hatte sie sich als schwieriger Bündnispartner erwiesen, als sie im Jahr 2022 wegen eines Haushaltsstreits und der Beziehung zu Nordmazedonien plötzlich aus der Regierungskoalition austrat.

Kurz vor der Wahl wurde der Journalist Iwan Atanasow für fast 24 Stunden verhaftet.

Derweil wird es für Journalist:innen im Land immer schwerer, ihrer Arbeit nachzugehen. Kurz vor der Wahl wurde der Journalist Iwan Atanasow für fast 24 Stunden verhaftet. Er betreibt die lokale Nachrichtenplattform Sakar News und schreibt auch für die investigative Plattform Za Istinata (Für die Wahrheit). »Die Polizei durchsuchte meine Wohnung, weil es einen Hinweis gab, dass ich im Besitz von kulturell und historisch wertvollen Münzen sei. Es gab aber keinen von einem Richter ausgestellten Durchsuchungsbefehl«, sagte Atanasow der Jungle World.

Dem Journalisten zufolge durchsuchte die Polizei auch das Büro von Sakar News und beschlagnahmte Gegenstände. Atanasow hatte nach eigenen Angaben zu der Zeit über Wahlmanipulation zugunsten von GERB recherchiert. In den vergangenen Monaten hatte er kritische Artikel über Bürgermeister und lokale Verwaltungen veröffentlicht. Nach ­einer seiner Recherchen wurde Ende 2022 zudem die Richterin Tanya Stan­kowa entlassen, deren Vater der frühere GERB-Abgeordnete Georgi Stankow ist. »Ich werde zwar nicht direkt von den Behörden bedroht, aber Leute von GERB haben mir gegenüber bereits angedeutet, dass ich Probleme bekommen könnte, wenn ich kritisch über sie schreibe«, sagte Atanasow.

Eine Veröffentlichung eines europäischen Medienkollektivs über das brutale Vorgehen gegen Flüchtlinge an der türkisch-bulgarischen Grenze bezeichneten die bulgarischen Behörden als »Propaganda westlicher Medien«; Sonya Momichlowa, die Vorsitzende der bulgarischen Medienregulierungsbehörde, kritisierte nicht nur die Recherche, sondern griff auf ihrem privaten Facebook-Account die beteiligte bulgarische Journalistin Maria Cheresheva persönlich an. Ihr Kommentar ist dort mittlerweile nicht mehr zu finden. Im Februar 2023 sagten bulgarische Behörden einen Drehtermin an der Grenze mit dem deutschen ZDF ab, an dem Cheresheva als freie Mitarbeiterin beteiligt gewesen wäre. Bei einer repräsentativen Umfrage des Verbands Europäischer Journalisten (AEJ) in Bulgarien aus dem vergangenen Jahr gab über die Hälfte der befragten Journalist:innen an, dass Kolleg:innen unter Druck gesetzt wurden, jedem Zehnten wurde bereits mit Gerichtsverfahren gedroht.